Heidenhammer oder falsch verstandene Ethik

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Schulkreuz / Foto: politwatch.at

WIEN. (hpd/pw) Die ÖVP will ihn nur für Ungläubige, die Grünen für alle. Peter Kampits trauert ihm nach. Es geht um den Ethikunterricht. Die Debatte offenbart vor allem eines: Die Teilnehmenden haben nicht verstanden, worum es geht oder sind auf Kompromisse aus. Auffällig auch, wer alles zum Thema schweigt.

Den armen Heidenkindern fehlt es an moralischer Orientierung im Leben. Es muss etwas dagegen getan werden, dass sie Omas auf dem Schulweg ausrauben, halbe Schulen verwüsten oder ihre Klassen samt Lehrern terrorisieren oder sonst wie auf die falsche Bahn geraten. Das gilt auch für die bekanntermaßen subversiven Elemente unter den Schülern, die sich – welch furchtbare Vorstellung – vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden. Außerdem schadet zu viel Freizeit. Die zwei Stunden, die man nicht im konfessionellen Religionsunterricht vollbringt, könnten die Schüler für etwas Sinnvolles nutzen. Lernen, nachdenken oder ausschlafen etwa. Dem sei vorgesehen, findet die „Volks“partei, zuletzt in Gestalt der niederösterreichischen Familienlandesrätin Johanna Mikl-Leitner. Und sofort hat sie eine Lösung parat, die verhindert, dass die armen Heidenkinder ohne moralischen Halt durchs Leben irren müssen: Den Ethikunterricht. In den sollen alle Kinder gehen müssen, die nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, der ( © Mikl-Leitner) „wie kein anderes Schulfach, Werte und Orientierung“ vermittle.

Wer die „Volks“partei kennt, weiß, welche „Werte“ und welche „Orientierung“ hier vermittelt werden sollen: Christliche. Was bisher etwa in Kindergärten auch ohne beziehungsweise möglicherweise gegen gesetzliche Regelungen geschehen ist: Auch religionsfreie Kinder werden – je nach Bundesland – schon mal in katholische Messen mitgenommen. Ob das die Eltern wollen oder nicht. Immerhin soll man ja laut den meisten Kindergartengesetzen in Österreich die Kinder auch religiös erziehen. In vielen Pflichtschulen dürfte das nicht viel anders laufen. Und wozu hängen die Kreuze in Kindergärten und Schulklassen? Als Anschauungsmaterial für das Thema „Antike Foltermethoden“ im Geschichtsunterricht sind sie nicht gedacht. Aus Sicht der ÖVP (und der FPÖ bzw. des BZÖ, die hier die gleichen politischen Standpunkte vertreten) ist der wahrscheinlich eine überkonfessionelle Einrichtung für die Wahrung der europäischen Kultur im allgemeinen und der alpenländischen im speziellen. Was auch immer diese Kultur genau sein möge.

Die bisherigen Schulversuche gehen auch in die von der ÖVP gewünschte Richtung. An etwa 200 Schulen in ganz Österreich müssen alle Kinder, die, auch welchen Gründen auch immer, nicht in den konfessionellen Religionsunterricht gehen, in den Ethikunterricht. Der wird großteils von – erraten – katholischen ReligionslehrerInnen erteilt, die irgendeine Zusatzausbildung gemacht haben. Genormt ist die nebenbei nicht. Die Rollen lassen sich schwieriger trennen als das die meisten LehrerInnen vermutlich gerne haben würden. Es ist etwa ein Fall aus Graz bekannt, in dem eine Ethik- und Religionslehrerin einen Ethikschüler mit vollem Namen im Religionsunterricht wegen einer Äußerung bloßgestellt hat, die dieser im Ethikunterricht gemacht hatte. Was den Verdacht aufwirft, dass der Ethikunterricht nichts sein soll als ein (katholischer) Religionsunterricht durchs Hintertürl: Für religionsfreie Kinder, für Kinder muslimischer, protestantischer und jüdischer Eltern, für die es etwa am Land wegen einer zu geringen Anzahl keinen Religionsunterricht gibt. Die Unterrichtsmaterialen stammen zu einem erheblichen Teil von katholischen Theologen. Man ist versucht, das Konzept Ethikunterricht als eine Art Heidenhammer im 21. Jahrhundert zu sehen.

Professor auf Irrwegen

Peter Kampits scheint das in seiner Polemik im Standard wenig zu interessieren. Er beklagt tränenreich, dass das Unterrichtsministerium aus Einsparungsgründen den als gescheitert anzusehenden Schulversuch Ethikunterricht nicht ausbauen will. Er tut so, als sei das etwas ganz neues, mit dem alle SchülerInnen mit aktuellen ethischen Fragen konfrontiert werden sollen. Dass der Ethikunterricht nur für religionsfreie Kinder bzw. solche vorgeschrieben ist, die sich abgemeldet haben, verschweigt er. Sei es mangels Informationen – die man von einem Universitätsprofessor für Philosophie wohl erwarten könnte – sei es wider besseren Wissens. Für beide Erklärungsmöglichkeiten liefert sein Text Argumente, nicht zuletzt kennt er nicht einmal die korrekte Zahl an Schulen, an denen der Schulversuch läuft.

„Ethik, vor allem angewandte Ethik, erlebt eine nie dagewesene Hochkonjunktur: kein Symposion der Biologie, der Hirnforschung, der Medizin und vor allem der Ökonomie, aber auch der Technik und der Informatik kommt ohne Ethiker aus , auch wenn die Ethik natürlich manchmal die Funktion eines Ornaments oder Feigenblattes zu erfüllen scheint. Ethik im weitesten Sinn ist ja nicht wie Moral eine Ansammlung von Geboten und Verboten, sondern eröffnet als eine reflexive Wissenschaft bezüglich der sittlichen Ziele unseres Handelns ein weites Feld: Fragen nach dem Sinn unseres Handelns, Fragen, wie mit dem Anderen umzugehen sei, wie wir uns angesichts einer kalten und durchökonomisierten und durchtechnisierten Welt zu positionieren vermögen, wie wir mit Gut und Böse umgehen sollen, sind Fragen, mit denen gerade junge Menschen immer wieder konfrontiert werden.“

Wunderbar. Kaum mehr als eine Sammlung von Platitüden. Der Ethiker Kampits scheint kaum mehr mit dem Konzept auseinandergesetzt zu haben als es die ÖVP tut. Hätte er es getan, er hätte kritisieren können, dass offenbar nur eine Gruppe von Schülern in den Genuss dieser Erkenntnisse kommen soll. Kampits hätte auch ein flammendes Plädoyer für einen Ethikunterricht STATT des konfessionellen Religionsunterricht schreiben können.