Die Regionalgruppen der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) in Baden-Württemberg arbeiten bei ausgewählten Projekten als gbs-Landesverband Baden-Württemberg zusammen. Ein solches für Baden-Württemberg zentrales Thema ist der Ethikunterricht an den Schulen. Die Mehrheit der Grundschüler ist konfessionsfrei, ein signifikant höherer prozentualer Anteil als in der Gesamtbevölkerung. Diese Mehrheit wird von der Politik ignoriert und die Einführung des Ethikunterrichts an Grundschulen ist bis jetzt nicht konkret geplant, obwohl dies in allen Koalitionsverträgen der Landesregierungen von Baden-Württemberg seit 2011 vereinbart wurde. Die Ausweitung des Religionsunterrichts für eine vergleichsweise kleine Minderheit von Schülern, die dem muslimischen Kulturkreis zugeordnet werden können, treibt die Landesregierung hingegen mit bemerkenswertem Eifer voran. Die Stärkung der Religiosität scheint wichtiger als Werteunterricht für alle, auch um den Preis, die religiöse Identitätsbildung auf Kosten der Integration zu fördern.
Niemand kommt gläubig zur Welt. Die Festlegung auf ein bestimmtes religiöses Bekenntnis entsteht durch Erziehung – und genau das bezweckt der konfessionelle Religionsunterricht (RU): Der RU dient nicht der Information über Religion, sondern der Vermittlung des jeweiligen Glaubens, also der Missionierung von Kindern. Dies kostet den Staat jährlich 4 Milliarden Euro Steuergeld, wird aber inhaltlich von den Kirchen bestimmt. Öffentliche Schulen sollten jedoch keine Bekenntnisse vermitteln, sondern Erkenntnisse, Schule soll nicht vermitteln, was Schüler denken sollen, sondern ihnen beibringen, wie aufgeklärtes Denken funktioniert. Deshalb sollte der konfessionelle RU ersetzt werden, bevorzugt durch einen neutralen Werteunterricht wie "Ethik für alle" oder durch "Religionskunde". Spricht man mit Religionslehrern so bekunden diese häufig, dass sie in der Praxis eher Religionskunde- als Bekenntnisunterricht praktizieren – was dafür spricht, dies zur Norm zu machen.
Religionsunterricht in der Strukturkrise
Der herkömmliche konfessionelle RU an staatlichen Schulen befindet sich in der Bundesrepublik in einer tiefen Strukturkrise. Der bekenntnisgebundene RU ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Siehe Artikel (Die Zeit): "Der Glaube muss raus aus den Schulen!" und "Lehren sollt ihr, nicht bekehren". Die gesellschaftliche Akzeptanz des RU ist nicht mehr vorhanden. Zunehmend wirkt sich auch aus, dass im Elternhaus die Religion keine Rolle mehr spielt. Es ist nicht Aufgabe der Schule, die religiöse Unterweisung, die im Elternhaus zunehmend nicht mehr stattfindet, in der Schule nachzuholen. Die Mehrheit der Schüler ist konfessionsfrei; gleichzeitig gibt es über 100 Glaubensgemeinschaften, die eigentlich auch Anspruch hätten, ihren eigenen RU zu erhalten. Das Land Baden-Württemberg hat Lehrpläne für RU für acht Bekenntnisse eingerichtet. Durch die Vielfalt der Religionen stößt der RU an öffentlichen Schulen an Grenzen, die ihn in Frage stellen. Bis jetzt versucht die Politik noch den RU zu erhalten indem zuletzt der islamische (sunnitische) RU eingeführt wurde. Das ist im Interesse der Kirchen, die den RU beibehalten wollen, jedoch nicht im Interesse der Gesellschaft.
Hinzu kommt: Ein grundlegendes Ziel des RU, grundlegende Einstellungen der Schüler wie etwa Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Nichtreligiösen zu erhöhen, wird Studien zufolge durch den RU nicht erreicht (Quelle: Herder Korrespondenz Spezial, "DAS LIEBLINGSFACH – Warum der Religionsunterricht unterschätzt wird"). Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche verlangt von den staatlichen Institutionen strenge Unparteilichkeit im Umgang mit Religionsgemeinschaften. Parlamente und Gerichte, Regierung und Verwaltung verletzen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität, wenn sie eine Seite auf Kosten einer anderen privilegieren. Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist eine Bevorzugung der Interessen der Kirchen gegenüber den Interessen nicht-religiöser Weltanschauungen, Schülern und Eltern.
Religionszugehörigkeit Beispiel Stuttgart – Alle Einwohner vs. Schulanfänger
Die Säkularisierung/Entkirchlichung der Bevölkerung schreitet voran und die Mitgliedschaft in den ehemaligen Großkirchen nimmt ab. Die aktuellen Mitgliederzahlen des Statistischen Amts der Stadt Stuttgart über die Religionszugehörigkeit belegen deutlich und mit steigender Tendenz, dass immer weniger Stuttgarter*innen einer der beiden großen Kirchen angehören. Nur 20,7 Prozent der Stuttgarter Bevölkerung sind Mitglied der evangelischen Kirche (Stichtag 31.12.2022), bei der katholischen Kirche sind es 20 Prozent. Nahezu 60 Prozent der Stuttgarter*innen sind aktuell konfessionsfrei oder gehören einer anderen Religion an.
Bei den Kindern im Alter bis 6 Jahren (Schulanfänger) sind die Zahlen der Religionszugehörigkeiten signifikant geringer. Der Prozentsatz christlich getaufter Kinder ist etwa halb so hoch wie die Religionszugehörigkeit (r.-k. und ev.) der gesamten Einwohnerschaft (siehe Grafiken mit der Entwicklung der Religionszugehörigkeit der Einwohner von Stuttgart und der Kinder im Alter bis 6 Jahre). In Stuttgart sind in der Altersklasse bis 6 Jahre 17,8 Prozent christlich getauft, das heißt 82,2 Prozent haben keine oder eine andere Religionszugehörigkeit. Diese Verhältnisse gelten nicht nur für Stuttgart. Anfragen in anderen Städten von Baden-Württemberg bestätigen, dass die Religionszugehörigkeit der Kinder bis 6 Jahre in etwa halb so hoch ist wie die Religionszugehörigkeit der gesamten Einwohner der jeweiligen Stadt.
Das macht die Einrichtung des RU immer schwieriger. Dem begegnen Kirchen und Religionslehrer durch die Einrichtung von klassenübergreifendem oder "konfessionell-kooperativem" Religionsunterricht und auch durch Werbung für einen Religionsunterricht, der offen ist für Schülerinnen und Schüler anderer Religionsgemeinschaften oder Weltanschauungen sowie für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler. Allein im Bereich der Evangelischen Landeskirche in Württemberg wurden für das Schuljahr 2020/2021 rund 700 Anträge für konfessionell-kooperativen Religionsunterricht genehmigt.
Ethik für alle
Um die Haltung der Bevölkerung zum Religionsunterricht zu erfahren, hat der Bund für Geistesfreiheit Bayern eine GfK-Repräsentativ-Umfrage durchführen lassen, die zeigt, dass die Deutschen mehrheitlich für das Modell "Ethik für alle" votieren. "72 Prozent sind eine verfassungsändernde Mehrheit und ein klares Handlungssignal", kommentierte Ernst-Günther Krause, der Initiator der Studie, die Ergebnisse.
Öffentliche Schulen sollten geistige Schutzräume für Kinder sein, zu denen religiöse und nicht-religiöse Weltanschauungsgemeinschaften keinen Zugang haben. Ein gemeinsamer Ethikunterricht ab der 1. Klasse wird dem weltanschaulich neutralen Staat gerecht – so will es auch die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland. Die Landesregierung ist gefordert, die geänderten Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und die betroffenen Landesgesetze zu ändern.
Ethikunterricht für alle"
Ethikunterricht an der Grundschule
Die Grundsatzentscheidung zur Einführung des Ethikunterrichts wurde in Baden-Württemberg 1976 getroffen. Die Regeleinführung des Ethikunterrichts – mit dem Status eines Ersatzfaches – erfolgte 1983. Mit dem Schuljahr 2018 begann die stufenweise Einführung des Ethikunterrichts für die Klassen 7 bis 5, abwärts – zwei Jahre später als geplant. Seit dem Schuljahr 2021/22 ist das Fach Ethik in Baden-Württemberg für alle Klassenstufen ab Klasse 5 verbindlich. Seit dem Jahr 2011 ist die Einführung des Ethikunterrichts auch an der Grundschule in den Koalitionsverträgen der Landesregierungen (2011: Grüne-SPD; 2016 und 2021: Grüne-CDU) enthalten. Es mangelt offensichtlich am politischen Willen, den Ethikunterricht an Grundschulen einzuführen und man sollte den öffentlichen Druck erhöhen. Es ist äußerst problematisch, dass die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Einführung des Ethikunterrichts an der Grundschule auf die lange Bank schiebt und es bis jetzt keinerlei konkrete Pläne für die Einführung an der Grundschule gibt. Heute nehmen auch kirchenferne Kinder am RU an der Grundschule teil, damit sie "aufgehoben" sind. Nicht auszuschließen ist als Motivation für die Verzögerung bei der Einführung des Ethikunterrichts, dass der RU weniger nachgefragt werden könnte, wenn es Ethikunterricht für alle gibt, die nicht am RU teilnehmen.
Es gibt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg aus dem Jahre 2011, das die Landesregierung möglicherweise als Freibrief betrachtet, den Ethikunterricht extrem zögerlich einzuführen. Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts hat mit dem Urteil vom 21. September 2011 – 2 K 638/10 – die Klage einer Mutter abgewiesen, mit der sie die Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule erreichen wollte: Kein Anspruch auf Ethik-Unterricht in der Grundschule. Dieses Urteil wurde vom Verwaltungsgerichtshof und vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt: Eltern können aufgrund von Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG nicht die Einrichtung bestimmter Schulfächer verlangen. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar 2013 wurde zurückgewiesen.
Der gbs-Landesverband will dies ändern, da das Urteil aus der Zeit gefallen ist und unseres Erachtens angesichts der Abwärts-Entwicklung bei der Anzahl der Kirchenmitglieder und der Anzahl christlich getaufter Kinder nicht mehr akzeptabel ist. In Bayern schreibt die Landesverfassung seit 1946 vor, dass als Alternative zum Fach Religion Ethikunterricht anzubieten ist. Hiermit hat sie einen Impuls gesetzt, der von sämtlichen Bundesländern umgesetzt werden sollte. In Baden-Württemberg ist es überfällig, auch in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 Ethikunterricht als Alternative zum Fach Religion einzuführen.
Staatliche Schulen müssen bekenntnisfrei/weltanschaulich neutral sein
Befürworter des RU bringen zwar gern an, dieser sei durch das Grundgesetz als ordentliches Lehrfach geschützt, doch die wichtige Einschränkung des Artikel 7 Absatz 3 GG wird dabei in der Regel verschwiegen: "mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen". Bekenntnisfreie öffentliche Schulen wurden als "weltliche" Schulen zu Beginn der Weimarer Republik im Jahr 1920 eingeführt. Hitler hat sie 1933 wieder abgeschafft. Mit welchem enormen Druck der Kirchen der Religionsunterricht 1948/49 Eingang in das Grundgesetz gefunden hat, kann man hier nachlesen. Die Väter des Grundgesetzes haben, wie oben beschrieben, bekenntnisfreie Schulen vorgesehen, dies wurde aber bis jetzt in keinem Bundesland umgesetzt. Die öffentlichen Schulen werden heute noch durch die Landesverfassungen und Schulgesetze als "christlich" definiert. Leider ist der Bevölkerung nicht bewusst, dass alle staatliche Schulen in Deutschland "christliche Gemeinschaftsschulen" sind, Schulen die nicht frei von religiösen Bezügen und damit "nicht bekenntnisfrei" sind!
Die religiösen Bezüge findet man in der Landesverfassung und im Schulgesetz, sie werden aber an den Schulen kaum sichtbar. Die Landesverfassung (LV) und das Schulgesetz enthalten zwar einige, alle Schulen betreffenden religiösen Bezüge (so bestimmt die LV beispielsweise in Artikel 12: "Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, [...] zu erziehen", und im Schulgesetz wird das in interessanter Paraphrasierung so ausgeführt, dass die Schule insbesondere gehalten sei, die Schüler "in Verantwortung vor Gott" (es wird nicht ausgeführt, vor welchem Gott) sowie "im Geiste christlicher Nächstenliebe" zu erziehen. In Artikel 15 und 16 wird die Schulform "christliche Gemeinschaftsschule" festgelegt, "die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzieht". Auf Drängen der Kirchen wurde bei der Einführung der Gemeinschaftsschule im Schulgesetz zu Paragraf 8a Absatz 1 Schulgesetz angefügt: "Die Gemeinschaftsschule wird als christliche Gemeinschaftsschule nach den Grundsätzen der Artikel 15 und 16 der Landesverfassung geführt."
Aufklärung ist angebracht. Bekenntnisfreie Schulen sind nicht religionsfeindlich oder laizistisch, sondern weltanschaulich neutral, was heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Bekenntnisfreie Schulen entsprechen der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Bekenntnis- oder Konfessionsschulen sind nach Artikel 7 Absatz 4 GG weiterhin möglich – und haben ihren Platz im Bereich privater/kirchlicher Träger.
weltanschaulichen Neutralität des Staates"
Die Landesverfassung von Baden-Württemberg hat (in Art. 18) den Halbsatz aus dem Grundgesetz Artikel 7 "mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen" nicht übernommen; das ist ein Problem der Landesverfassung (Vorrang des Bundesrechtes), wäre aber kein Hinderungsgrund bei der Etablierung bekenntnisfreier Schulen. Wenn das Land BW die Schulen zu bekenntnisfreien Schulen erklären würde, könnten staatliche Lehrer, die auch Religion unterrichten, umgeschult werden und Ethik- oder Religionskundeunterricht erteilen. Der gemeinsame Unterricht würde keine zusätzlichen Lehrerstellen erfordern, sondern zu Einsparungen führen. Der bekenntnisgebundene Religionsunterricht gemäß Artikel 7 des Grundgesetzes könnte als Wahlfach weiterbestehen; den auch kirchliche Lehrkräfte weiter erteilen könnten. Dass schon jetzt die Nachfrage nach ihm immer geringer wird, steht auf einem anderen Blatt.
Sonderfall islamischer Religionsunterricht
Der islamische RU wurde in BW im Jahr 2006 als Modell eingeführt. Zum Schuljahr 2020/21 gab es islamischen RU in Baden-Württemberg an 94 Schulen. Beim islamischen RU wird gegenüber der Presse die Akzeptanz betont, zum Beispiel: "Stuttgarter Schulleiter verteidigen Islamunterricht", ohne jedoch zu thematisieren, dass dies von Muslimen1 als Bestätigung der Abgrenzung, als Anerkennung einer muslimischen Identität und als Sonderbehandlung der Muslime – die sich teilweise in einer Opferrolle wähnen – willkommen geheißen wird. Die Opferrolle ist identitätsstiftend und der islamische RU verstärkt den Rückzug auf eine religiöse, islamische Identität.
Die Akzeptanz des islamischen RU bestätigt in fataler Weise, dass der RU die Separation und nicht die Integration begünstigt.
- Der islamische Religionsunterricht ist ein integrationshemmender Faktor, konstatiert Naïla Chikhi, Mitbegründerin des Vereins MigrantInnen für Säkularität und Selbstbestimmung und unabhängige Referentin zu den Themen Integration und Frauenpolitik.
- Ahmad Mansour schreibt in seinem Buch "Generation Allah": "konfessionsorientierter Religionsunterricht ist … meiner Überzeugung nach fatal. Warum teilt man die Kinder auf, so dass Katholiken in Klasse A, Protestanten in Klasse B, Muslime in Klasse C gehen? Was für ein Bild bekommen die Gruppen voneinander?" Die religiöse Identitätsbildung durch Separation sollte nicht staatlich gefördert werden.
Auf staatlicher Seite ergibt sich zudem ein Problem, wenn sich das Land als Religionsstifter betätigt. Das widerspricht der vom Grundgesetz geforderten staatlichen Neutralität – der Staat muss gottlos sein und alle Weltanschauungen gleichbehandeln. Die Stiftungslösung Stiftung Sunnitischer Schulrat als Trägerin des Islamischen Religionsunterrichts sunnitischer Prägung in Baden-Württemberg, die Anfang 2021 vom Land eingerichtet wurde, vermag die Probleme der Beiratskonstruktion im Ergebnis nicht zu beheben. Die Sonderkonstruktion des Beirats für den Islamunterricht führt zu rechtlichen Verwerfungen (siehe das Buch "Religionsunterricht oder Ethikunterricht? Entstehung des Religionsunterrichts – Rechtsentwicklung und heutige Rechtslage – politischer Entscheidungsbedarf", S. 171-173). Bei der Etablierung des islamischen RU "betätigt sich der Staat im Übermaß. Er stabilisiert den erodierenden konfessionellen Religionsunterricht dadurch, dass er aktiv tätig wird und ihn sogar ausweitet". "Wenn der säkulare Staat von sich aus Beiräte oder Stiftungen errichtet und er sie personell islamisch besetzt, unterläuft er die Trennung von Staat und Religion. Zudem greift er in die Religionsfreiheit und in die Selbstbestimmungsrechte von Muslimen ein". Professorin Susanne Schröter, Direktorin des "Forschungszentrums Globaler Islam" an der Goethe-Universität Frankfurt hält nichts vom Stiftungsmodell: "Der Sunnitische Schulrat hat gezeigt, dass er seine Macht missbraucht, um Theologen kaltzustellen, die einen modernen grundgesetzkonformen Islam vertreten. Er repräsentiert ein rückwärtsgewandtes undemokratisches Islamverständnis, das an staatlichen Schulen nichts zu suchen hat." (Quelle: Druckausgabe StZ, 20.09.2022, "Kultusministerin Schopper verteidigt Islam-Unterricht").
Eine Wirkung des Schulrats wurde öffentlich sichtbar durch den erbitterten Streit zwischen dem prominenten liberalen Reformmuslim Abdel-Hakim Ourghi, der seit 2011 an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet und dem Schulrat, der ihm die Lehrerlaubnis verwehrte. Eigentlich hatte man sich von liberalen Islamtheologen wie Abdel-Hakim Ourghi und Dr. Mouhanad Korchide eine wichtige Rolle beim Gelingen der Integration erhofft – die aber nicht eintreten kann, wenn von staatlicher Seite ausschließlich konservative Moscheevereine hofiert werden. Bedenklich ist die Islamisierung durch den islamischen RU auch deshalb, weil nur circa 15 Prozent der als Muslime betrachteten Einwohner Mitglied in einem Moscheeverein sind – aber alle Kinder aus dem muslimischen Kulturkreis dem sozialen Druck ausgesetzt werden, als "Muslime" den – eher konservativen als liberalen – islamischen RU zu besuchen. Das Land BW hat per Vertrag die beiden Verbände Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg e. V. (LVIKZ), und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland – Zentralrat e.V. (IGBD) als Träger für den islamischen Religionsunterricht sunnitischer Prägung verpflichtet – mutmaßlich Verbände, die dem Politischen Islam zuzuordnen sind. Laut verschiedenen Berichten vertritt das VIKZ ein ultrakonservatives Weltbild, bekennt sich formal jedoch zum Grundgesetz.
Verkehrte Welt: Eine staatliche Stuttgarter Schule hebt hervor, dass die meisten Schüler für den islamischen RU den Ethikunterricht verlassen haben – als wäre das eine wünschenswerte Entwicklung. Paradoxerweise gibt es in Stuttgart auch staatlich anerkannte private Schulen (Lessing-Schulen), deren Gründer nachgesagt wurde, Gülen nahezustehen. Diese Schulen werden überwiegend von türkischstämmigen Schülern besucht. Sie werben im Umkreis der Schule um weitere Schüler, indem sie betonen, dass es dort nur Ethikunterricht gibt – "wir haben uns bewusst gegen Islamunterricht entschieden", sie aber bei Bedarf auch evangelischen oder katholischen RU einrichten würden (Quelle: "Wie im Hallschlag um Schüler geworben wird" – StZ Plus/Bezahlschranke).
1 Der Begriff "Muslim" wird hier als Sammelbegriff verwendet für alle, die einen Migrationshintergrund haben oder aus sogenannten "muslimischen Herkunftsländern" stammen. Der Begriff ist eigentlich ungeeignet und irreführend, da mit "Muslim" Menschen zu bezeichnen sind, die Kinder muslimischer Eltern oder Angehörige des Islams sind. Man könnte auch die weder politisch korrekten noch zutreffenden Bezeichnungen: "Ausländer", "Gastarbeiter", "Migrant" oder (neutraler) "Mensch mit familiärer Einwanderungsgeschichte" verwenden. Viele Migranten aus muslimischen Herkunftsändern stören sich an der Zuordnung zu der Gruppenidentität "Muslim"; sie sehen sich als liberale oder säkulare Muslime, als "Ex-Muslime" oder "Kulturmuslime" und möchten nicht als Muslime bezeichnet werden – genauso wie der Autor (Atheist) im Ausland nicht als Christ bezeichnet werden möchte, nur weil er aus einem angeblich christlichen Herkunftsland stammt.
12 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Ich habe immer noch nicht herausgefunden, an welchem Baum die Ehrfrucht so wächst.
G.B. am Permanenter Link
Wie lange blockieren unsere Kirchenhörigen Politiker und Richter noch den freiheitlichen
Drang zur Selbstbestimmung der Bürger, in Bezug auf RU und dem realisieren von Ethik-
Je mehr Konfessionen sich in den Schulen etablieren, desto gespaltener wird die Gesellschaft in Zukunft werden und Konflikte sind vorprogrammiert.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Begrüßenswerter, problembewusster, kenntnisreicher Beitrag!
Ludwig am Permanenter Link
Als inzwischen pensionierter Lehrer für Ethik in Baden-Württemberg möchte ich Werner Koch für seine umfassende Darstellung herzlich danken.
Helmut-Otto Manning am Permanenter Link
An Schulen gehört nur Unterricht zur Realgeschichte der Religionen! Also wie aus Mithras Jesus wurde, aus der arabischen Mondgöttin Allaht per Geschlechtsumwandlung Allah wurde etc. Habe dazu publiziert!
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Auf welchen Mithras beziehen Sie sich?
Auf den indischen? Steht die Geburtsgeschichte, die Sie erwähnen, in den Veden?
Oder auf den persischen? Gibt es persische Quellen der Geburtsgeschichte?
Wie viel der römische Mithraskult wirklich vom persischen/vedischen Kult übernommen hat, ist ja reichlich umstritten. Man kann jedenfalls nicht einfach voraussetzen, dass die Mithraslegenden der Römer eine mehrhundertjährige Tradition haben.
Das Datum des Weihnachtsfestes ist wieder eine andere Baustelle. Dass das Christentum sich hier teils bei anderen Religionen (z.B. Saturnalien), teils schlicht an der Astronomie (die Tage werden länger - das Licht kommt in die Welt (Joh 1)) orientiert hat, ist ein alter Hut, den ich bereits im Religionsunterricht in den 80er-Jahren gelernt habe.
Die "Geschichte von Joseph dem Gerechten und seiner Frau Asenat" ist hingegen wahrscheinlich jüdisch, vielleicht auch christlich, jedenfalls nicht altägyptisch, und ist höchstwahrscheinlich erst nach Beginn unserer Zeitrechnung entstanden. Oder kennen Sie etwa ein altägyptisches Märchen, das der mir bekannten jüdischen Geschichte zugrundeliegt? Dann bitte ich um Aufklärung.
"Allah" hat etymologisch dieselbe Wurzel wie das hebräische "El" und "Elohim" und heißt ursprünglich "der Mächtige". Im Alten Testament wird "El" sowohl für den Gott der Juden als auch für andere Götter verwendet. Die arabische Mondgöttin hieß Al-Lat, was einfach "die Göttin" bedeutet. Aus der Namensähnlichkeit kann man also nicht schließen, dass Mohammed aus der Göttin einen Gott gemacht hätte. Allah ist nämlich gar kein Name, sondern ein Wort und bedeutet "Gott".
Roland Fakler am Permanenter Link
Danke, lieber Werner, für die umfassende Beschreibung der Lage in BW. Wir müssen daran arbeiten, dass es in die richtige Richtung geht: Ethik für alle ab Kindergarten!
G.B. am Permanenter Link
Am besten nicht nur in BW, sondern weltweit lieber Roland, das wäre ein guter Schritt in eine
aufgeklärte, friedliche Welt.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Guter Artikel!
Die Landeshauptstadt Stuttgart mit 600.000+x Einwohnern als Beispiel für die Religionszugehörigkeit des ganzen Bundeslandes (ca. 11 Mio. Einwohner) zu nehmen ist methodisch fragwürdig. Im Allgemeinen gibt es große Stadt-Land-Unterschiede. Den berühmten „Piet-kong“ im Ländle habe ich dann noch nicht erwähnt.
Werner Koch am Permanenter Link
Die Religionszugehörigkeit bei den Kindern ist - bei allen kleinen und größeren Städten in Baden-Württemberg von denen ich die Zahlen erhalten habe - etwa halb so hoch wie die Religionszugehörigkeit der gesamten Einwo
Andreas Leber am Permanenter Link
Danke, Werner Koch, für den hervorragenden Artikel!
SG aus E am Permanenter Link
Die Zahlen, die dieser Artikel und die verlinkten liefern, sind interessant. Wir wissen: Seit einigen Monaten sind die Konfessionslosen gegenüber den KdöR-Kirchenmitgliedern in der Mehrheit.
Stuttgart z.B., obwohl im eher religiösen Süden der Republik gelegen, hat als Großstadt relativ weniger Großkirchenmitglieder. Dazu kommt der demographische Faktor: Bei den Kindern sind nur noch halb so viele getauft. Das muss man sich klarmachen: Wenn die sog. Babyboomer (die letzte fast durchgängig getaufte Generation in Deutschland) demnächst wegstirbt, werden nur noch wenige Kirchenmitglieder übrigbleiben.
Andererseits bedeutet konfessionslos noch nicht gleich religionsfrei. In Nordostdeutschland vielleicht, aber nicht im südwestdeutschen Ballungsraum. Dem verlinkten Artikel der Stuttgarter Zeitung entnimmt man: An einer Grundschule im Stuttgarter Westend (beliebtes, gut durchmischtes Wohngebiet) sind, wie im Bundesdurchschnitt, nur noch die Hälfte Christen. Von der anderen Hälfte ist aber nur wiederum die Hälfte religionsfrei. Genauso viele, nämlich ein Viertel von allen, sind Muslime. Bei einem Gymnasium in der Vorstadtsiedlung beträgt der Anteil der Muslime an den Nicht-Christen 67 Prozent. Andersherum: Nur ein Drittel der Konfessionslosen dort ist tatsächlich religionsfrei (22 % von allen, also wieder nur ca. ein Viertel). Klar, das sind einzelne Stichproben, und der Besuch bzw. Nicht-Besuch des Religionsunterrichts ist kein Bekenntnis (vor allem nicht bei Kindern unter 14 Jahren). Trotzdem: Eine gewisse Zuordnung und auch Selbstverortung kann man dem schon entnehmen, zumindest das Herkunftsmilieu.
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Und da ich schon kommentiere, auch noch etwas Kritik: So einige Aussagen im Artikel könnte man, wenn möglich, bitte, besser belegen. Was soll z.B. bedeuten: "Die gesellschaftliche Akzeptanz des RU ist nicht mehr vorhanden." Woher hat Herr Koch das? Eigentlich ist das Gegenteil richtig. Die im Artikel ebenfalls verlinkte GfK-Umfrage zeigt ja nicht nur, dass sich 72 % der Befragten für gemeinsamen Ethik-Unterricht aussprechen, sondern auch, dass 78 % sich für Religionsunterricht (in irgendeiner Form) aussprechen. Abgesehen davon halte ich die Fragestellung mit der Verknüpfung von gemeinsamem Unterricht und friedlichem Miteinander immer noch für ziemlich suggestiv (auch wenn Herr Frerk wohl anderes behauptet). Meiner Meinung nach kann man die Umfrage so zusammenfassen: Die große Mehrheit will, dass alle bekommen, was sie wollen.
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Zum Abschnitt "Sonderfall islamischer Religionsunterricht" könnte und sollte man unbedingt einen eigenen Kommentar schreiben. (Hoffentlich komme ich noch dazu.) Vielleicht möchte sich aber auch der gbs-Landesverband vorher schlau machen darüber, wie, durch wen und nach welchen Regeln islamischer Religionsunterricht an baden-württembergischen Schulen wirklich stattfindet. Kompetente Ansprechpartner könnte man z.B. am Ausbildungsseminar für Lehrkräfte des Landes finden. (Nur mal so als Vorschlag.) Als kurze Vorab-Info zu den Anforderungen, die an islamische Religionslehrer* gestellt werden, empfehle ich diesen Link: https://t1p.de/esopt (S. 83 ff) = https://seminare-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Seminare/seminar-stuttgart-gym/Ausbildung/Gesamt_Ausbildungsplan_2016_April.pdf
Ich meine: Noch steht Art. 7 Satz 3 im Grundgesetz. Da erfordert die Neutralität des Staates (d.h. der Staat soll Staat aller Bürger sein) dafür zu sorgen, dass auch zugewanderte, schlecht organisierte und von manchen misstrauisch beäugte Religionsgemeinschaften zu ihrem Recht kommen. Wenn dieser Satz 3 irgendwann abgeschafft sein wird, sieht die Sache anders aus.