2024 widmete sich die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) dem Schwerpunktthema "Die Menschheit im Anthropozän" und betonte, dass es nur diese eine Menschheit gibt, die diese eine Biosphäre auf ihrem Heimatplaneten sinnvoll gestalten muss. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost sowie der erneute Siegeszug Donald Trumps in den USA deuten darauf hin, dass die Menschheit möglicherweise an dieser globalen Herausforderung scheitern wird. Doch es gab 2024 auch Hoffnungsschimmer, die in eine progressivere Richtung weisen.
Januar
Kurz vor dem 9. Jahrestag des Anschlags auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo (07.01.2024) kündigt gbs-Vorstand Michael Schmidt-Salomon eine Kampagne zur Abschaffung des "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB an, der von Islamisten inzwischen effektiv dazu genutzt wird, um die Offene Gesellschaft zu untergraben. Im Interview mit der Westdeutschen Zeitung erklärt er dazu: "Die deutsche Politik zeigt sich immer betroffen, wenn im Iran oder in Saudi-Arabien vermeintliche 'Gotteslästerer' hingerichtet werden. Diese Reaktion wäre deutlich glaubwürdiger, wenn § 166 StGB aus unserer Rechtsordnung verschwunden wäre."
Am 8. Januar veröffentlicht die gbs ein 20-minütiges Video zum Schwerpunktthema "Die Menschheit im Anthropozän". Darin erläutert die Stiftung nicht nur, wie der Begriff des "Anthropozäns", also des "Erdzeitalters des Menschen", entstanden ist, sondern auch, dass er ursprünglich gar nicht so negativ gemeint war, wie er heute meist verstanden wird. Tatsächlich nämlich ging es dem niederländischen Nobelpreisträger Paul Crutzen nicht darum, das Anthropozän zu überwinden, also den Einfluss des Menschen auf das Erdsystem prinzipiell zu reduzieren. Sein Ziel bestand vielmehr darin, das "schlechte" Anthropozän, in dem wir ohne Sinn und Verstand auf die Natur einwirken, durch ein "gutes" Anthropozän zu ersetzen, in dem die Menschheit ihrer planetaren Verantwortung gerecht wird. Hierfür allerdings, so die Stiftung, "müssten wir das Anthropozän mit dem Besten anreichern, was die Menschheit hervorgebracht hat – nicht mit Plastikmüll, Umweltgiften und lebensfeindlichen Ideologien, sondern mit den großen Errungenschaften der Wissenschaft, Philosophie und Kunst."
"Entschädigung statt frommer Worte!": Unter diesem Motto demonstriert die Giordano-Bruno-Stiftung gemeinsam mit Betroffenen des sexuellen Missbrauchs am 25. Januar in Hannover gegen die Verschleppungstaktik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Protestaktion findet anlässlich der für diesen Tag angekündigten Veröffentlichung der großen Studie zu sexualisierter Gewalt in der EKD und Diakonie statt.
Februar
Vom 6. Februar bis zum 12. März findet im Nicolaus-Copernicus-Planetarium Nürnberg die hochkarätig besetzte Veranstaltungsreihe "Vom Reiz der Sinne – Wahrnehmung und Gehirn" statt. Ausgerichtet werden die Veranstaltungen vom Kortizes-Institut in Kooperation mit der gbs und dem Bildungszentrum Nürnberg.
"Free Charlie!": Zum 10. Jahrestag des Anschlags auf Charlie Hebdo am 7. Januar 2025 sollte der sogenannte "Gotteslästerungsparagraf" 166 StGB Geschichte sein! Dies ist das ambitionierte Ziel einer Bundestagspetition, die von der "Free Charlie!"-Kampagne eingereicht wurde und ab dem 20. Januar unterzeichnet werden kann. Hintergrund: Nach deutschem Recht hätten die überlebenden Mitglieder der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo verurteilt werden können, da ihre Zeichnungen Fundamentalisten dazu animierten, Terrorakte zu begehen. Laut Paragraf 166 StGB wird nämlich mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, "wer den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Parallel zur Veröffentlichung der Petition wird die "Free Charlie!"-Website freigeschaltet, der kurze Videoclip zur Kampagne erhält im Netz mehr als eine Million Aufrufe.
März
"Ein unmissverständliches Signal für mehr Freiheit": Die "Free Charlie!"-Kampagne erinnert (den zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden) Bundesjustizminister Marco Buschmann an einen Aufsatz aus dem Jahr 2015, in dem er sich zusammen mit (dem ebenfalls noch amtierenden) Finanzminister Christian Lindner für die Abschaffung des Paragrafen 166 StGB ausgesprochen hat. Wörtlich heißt es in dem Artikel: "Wer die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Presse einschränken will, dem sollten wir mit mehr und nicht mit weniger Freiheit antworten. Wem diese Botschaft wichtig ist, dem steht ein deutliches Symbol zur Verfügung: die Abschaffung des Blasphemieparagrafen 166 StGB. Denn das wäre ein unmissverständliches Signal für mehr Freiheit der Meinung, der Kunst und der Presse." Der gbs-Vorstand kommentiert: "Es wäre zu hoffen, dass der Justizminister sich an seine weisen Worte aus dem Jahr 2015 erinnert und entsprechend handelt. Denn das, was man als Oppositionspolitiker vernünftigerweise gefordert hat, sollte man auch umsetzen, wenn man Regierungsverantwortung übernommen hat."
Am 24. März stellt Michael Schmidt-Salomon am gbs-Stiftungssitz sein neues Buch "Die Evolution des Denkens. Das moderne Weltbild – und wem wir es verdanken" vor, das pünktlich zum 20-jährigen Bestehen der Giordano-Bruno-Stiftung (2004-2024) im Piper-Verlag erschienen ist. Das Buch ist nicht zuletzt auch eine Hommage an jene Denkerinnen und Denker, deren Erkenntnisse die Philosophie der Giordano-Bruno-Stiftung geprägt haben: Charles Darwin, Albert Einstein, Marie Curie, Alfred Wegener, Carl Sagan, Epikur, Friedrich Nietzsche, Karl Marx, Karl Popper und Julian Huxley. Die Veranstaltung im "Haus Weitblick", in deren Rahmen auch die Preisverleihung für die besten Beiträge aus dem Essay-Wettbewerb "Wir irren uns empor!" stattfindet, ist in wenigen Tagen ausgebucht. Auch die weiteren Lesungen in der Schweiz und in Deutschland (teilweise organisiert von gbs-Regionalgruppen) sind gut besucht.
"Paragraf 166 schützt Antisemiten – er schützt nicht vor Antisemitismus": Aus dem politischen Berlin erfährt die "Free Charlie!"-Kampagne, dass einige Politiker*innen zögern, Paragraf 166 StGB abzuschaffen, weil sie einen weiteren Anstieg des Antisemitismus befürchten. In einem Interview, das am 25. März auf der gbs-Website und auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes (hpd) veröffentlicht wird, hält gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon scharf dagegen: "Wer eine solche Haltung vertritt, hat offenbar nur wenig Kenntnis von der Geschichte dieses Zensurparagrafen, der unverhältnismäßig oft gegen jüdische Intellektuelle eingesetzt wurde. Nicht ohne Grund waren es vor allem jüdische Intellektuelle wie Kurt Tucholsky, die sich vehement für die Abschaffung des Straftatbestands der Blasphemie engagierten. Klar ist jedenfalls: Wer für die Beibehaltung des Paragrafen 166 StGB plädiert, schützt nicht 'die' Juden, sondern setzt sich für eine Strafrechtsnorm ein, die de facto säkulare Juden für weniger schützenswert hält als religiöse Juden. In gewisser Weise positioniert man sich damit gegen die demokratische, anti-fundamentalistische Protestbewegung in Israel und unterstützt stattdessen den religiös-nationalistischen Wahn der ultraorthodoxen Siedler sowie der Regierung Netanjahu."
"Der Fall Kristina Hänel und seine Folgen": "Vielleicht wird man es später einmal als eine 'Ironie des Schicksals' begreifen, dass ausgerechnet radikale Abtreibungsgegner den berechtigten Anliegen der Frauenbewegung zum Durchbruch verholfen haben", schreibt die Ärztin Kristina Hänel im 5. Band der "Schriften zum Weltanschauungsrecht", der im März im Nomos-Verlag erscheint. Tatsächlich haben erst die Strafanzeigen gegen Hänel & Co. die neue Debatte über die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ermöglicht. Der frei im Internet verfügbare Sammelband des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) zeigt auf, wie es dazu gekommen ist.
Alle Jahre wieder erinnern säkulare Gruppen daran, dass das "Tanzverbot" an Karfreitag nicht für diejenigen gilt, die aus weltanschaulichen Gründen gegen die "Stillen Tage" antanzen. Aus diesem Grund finden Ende März zahlreiche "Heidenspaß-Partys" in Deutschland statt sowie Aufführungen des Monty-Python-Films "Das Leben des Brian", der aufgrund der Feiertagsgesetze nicht öffentlich gezeigt werden darf. Allein in München werden 47 Partys an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag organisiert. Ein besonderes Highlight ist dabei die "Clubrevolution – Gegen das Tanzverbot an Feiertagen" mit 14 Events an Gründonnerstag.
April
"Unendliche Weiten": Vom 12. bis 14. April findet in Nürnberg das Copernicus-Symposium 2024 statt, das sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Raumfahrt beschäftigt. Ausgerichtet wird das Symposium vom Kortizes-Institut, dem Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Wissenschaftsreflexion der Friedrich-Alexander-Universität (ZIWIS) und dem Nikolaus-Copernicus-Planetarium in Kooperation mit der gbs.
Der am 15. April veröffentlichte Bericht der "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" stößt beim Direktorium des Instituts für Weltanschauungsrecht auf "weitgehende Zustimmung". "Auch wenn wir einige Aspekte kritisch sehen, ist nicht zu bezweifeln, dass dies ein wichtiger Schritt hin zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist", erklärt die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed. Wenige Tage zuvor haben die Juristinnen und Juristen des Instituts beim 8. Beiratstreffen des ifw im "Haus Weitblick" unter anderem über die Reform der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, die zivilrechtliche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, die Abschaffung des "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB und die notwendige Reform des kirchlichen Arbeitsrechts diskutiert.
Mai
Im Mai 2024 muss sich die Giordano-Bruno-Stiftung gleich von zwei langjährigen Beiräten verabschieden: Am 5. Mai stirbt Gerhard Rampp, der "Großmeister der Zahlen", der bereits lange vor Gründung der gbs die "hinkende Trennung von Staat und Kirche" kritisiert hat. Nur drei Wochen später erfährt die Stiftung vom Tod des renommierten Entwicklungspsychologen Rolf Oerter, einem "wahren Menschenfreund", der die gbs nicht nur durch seine klugen Argumente, sondern auch durch seine freundliche, offene, sanfte Art inspiriert hat.
Zum 100. Geburtstag von Karlheinz Deschner am 23. Mai 2024 veröffentlicht die gbs die 35-minütige Videodokumentation "Der Streitschriftsteller", die an das Leben und Werk des Autors der "Kriminalgeschichte des Christentums" erinnert. Deschner war, wie es im Film heißt, "ein giftiger Stachel im Fleisch seiner Zeit, an dem sich die Debatte immer wieder neu entzünden musste" und zugleich ein entscheidender Impulsgeber für die Gründung der Giordano-Bruno-Stiftung im Jahr 2004.
Wie kam es zur Evolution des moralischen Gewissens? Gibt es einen freiheitsgefährdenden Kulturkampf an den Universitäten? Welche gesetzlichen Regelungen erfordert die KI, und welches Verständnis von Bewusstsein legt sie nahe? Dies sind nur drei der vielfältigen Themen, mit denen sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Bertha von Suttner-Studienwerks bei ihrem Treffen am Stiftungssitz vom 24. bis 26. Mai beschäftigen. Entsprechende Denkanregungen erhalten sie dabei von dem Soziobiologen und Naturphilosophen Eckart Voland, der Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin Susanne Schröter sowie dem Philosophen und Kognitionswissenschaftler Thomas Metzinger.
"Katholische Missionierung auf Staatskosten": Seit zehn Jahren reist die Aktionsgruppe "11. Gebot" zu jedem Kirchen- und Katholikentag, um mit ihrer drei Meter hohen Moses-Figur an das "11. Gebot" zu erinnern ("Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!"). Beim Katholikentag in Erfurt (29.05. – 01.06.2024) wird "Moses" durch die bekannten Skulpturen des "Hängemattenbischofs" und des "Geldhamsters" unterstützt, die auf einen "doppelten Skandal" hinweisen: Während die katholische Kirche noch immer Millionenzuschüsse vom Staat kassiert, werden die Opfer sexueller Gewalt weiterhin im Stich gelassen.
Juni
Hat die Politik das Problem des Islamismus wirklich verstanden? Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim mehren sich die Stimmen, die ein härteres Durchgreifen des Staates gegen Islamisten fordern. Diese Reaktion komme allerdings reichlich spät, heißt es in einer Pressemeldung der Giordano-Bruno-Stiftung vom 5. Juni: "Seit vielen Jahren schon werden hierzulande nicht nur Ex-Muslime und Islamkritiker massiv bedroht, sondern auch Befürworter*innen eines weltoffenen Islam wie Seyran Ateş, die mit ihrer liberalen Moschee ins Fadenkreuz des IS geraten ist. Leider muss man hier ein tragisches Versagen der etablierten Parteien feststellen, deren Ignoranz nicht nur zum Erstarken des Islamismus, sondern auch des Rechtspopulismus in Deutschland geführt hat."
"Check your Dogma! (1)": Jede Weltanschauung hat ihr eigenes Narrativ, ein in sich schlüssiges – oder geschlossenes – Weltbild. Deshalb zielen Debatten oft nicht auf gemeinsame Erkenntnisse ab, sondern auf Dominanz über den Gegner. Wie kann man diesem Sog der Polarisierung widerstehen, der dem Ringen um eine bessere Zukunft im Weg steht? Dies ist eine der zentralen Fragen, mit dem sich das gbs-Sommerforum 2024 beschäftigt, zu dem abermals junge Menschen eingeladen sind, die sich noch im Studium oder in einer frühen Phase ihrer Karriere befinden.
Mitte Juni wenden sich 42 Verbände und Organisationen, darunter die Giordano-Bruno-Stiftung, der Zentralrat der Konfessionsfreien, der AWO Bundesverband, Amnesty International, der DGB und pro familia, an Bundeskanzler Scholz, die Bundesminister*innen und die Bundestagsabgeordneten der Regierungsparteien. In einem Offenen Brief fordern sie die Bundesregierung dazu auf, noch in dieser Wahlperiode einen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs zur Beratung und Abstimmung im Bundestag vorzulegen.
Mit rund 2.000 Besucherinnen und Besuchern feiert das Philosophie-Festival "Philo.live!" am 29. Juni eine erfolgreiche Premiere in Berlin. "Was heißt hier Freiheit?" lautet die Leitfrage, die in acht weitgehend ausverkauften Einzelveranstaltungen facettenreich behandelt wird. Nach der erfolgreichen Premiere soll die "Philo.live!" im November 2025 an mehreren Veranstaltungstagen in die Bundeshauptstadt zurückkehren. Organisiert wird die "Philo.live! 2024" vom Philosophie Magazin und der "phil.COLOGNE" in Kooperation mit der Giordano-Bruno-Stiftung, der Udo Keller Stiftung sowie der C.H. Beck Kulturstiftung.
Juli
Wie in den vorangegangenen Monaten finden auch im Juli größere Veranstaltungen am Stiftungssitz statt. Vom 5. bis 7. Juli treffen sich dort die gbs-Regionalgruppen, um die Agenda für die nächsten Monate abzustimmen. Vom 19. bis 21. Juli organisieren der hpd, die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und die gbs im Haus Weitblick ein säkulares Journalist*innentreffen, bei dem sich unter anderem Marcus Bensmann (Correctiv) und Philipp Möller (Zentralrat der Konfessionsfreien) mit der Frage beschäftigen, wie es gelingen kann, säkulare Themen in den Medien unterzubringen.
Ende Juli gibt die gbs bekannt, dass sie eine neue Skeptiker-Organisation unterstützt, die von dem langjährigen GWUP-Vorsitzenden Amardeo Sarma gegründet wurde: Scientific Temper will eine "bescheidene, wissenschaftlich aufgeschlossene Denkhaltung" fördern. Der Begriff "Scientific Temper" (zu Deutsch: wissenschaftliche Haltung oder Einstellung) wurde bereits im 19. Jahrhundert verwendet, um eine kritische, an Fakten orientierte Denkhaltung zu beschreiben, die stets dazu bereit ist, "neues Licht, neue Erkenntnisse, neue Experimente aufzunehmen, auch wenn deren Ergebnisse vorgefasste Meinungen und lang gehegte Theorien in Frage stellen".
August
"Im Lichte des Gerhard Vollmer": Kaum jemand hat die Bedeutung der Evolutionstheorie für die Philosophie so umfassend beleuchtet wie der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer. Zum 80. Geburtstag des gbs- und HAI-Beirats erscheint Anfang August der Sammelband "Im Lichte der Evolution", der eindrucksvoll belegt, dass intellektueller Anspruch und Humor keineswegs im Widerspruch zueinander stehen. Im Laufe des Jahres erscheinen unter Mitwirkung von Personen aus dem Stiftungsumfeld zwei weitere Bücher zu Ehren von Gerhard Vollmer, nämlich der Sammelband "Emporgeirrt! Evolutionäre Erkenntnisse in Natur und Kultur", an dem viele Wegbegleiter des Philosophen beteiligt sind, sowie der Essayband "Wir irren uns empor", in dem die besten Beiträge aus dem HAI-Nachwuchswettbewerb des vergangenen Jahres veröffentlicht werden.
Woelki zieht ins Haus der Geschichte ein: Die Aktionsgruppe "11. Gebot" der Giordano-Bruno-Stiftung hatte den "Zappel-Woelki" im Juni 2023 auf die Kölner Domplatte gebracht, um gegen die Vertuschung des klerikalen Missbrauchsskandals zu protestieren. Seit August 2024 steht die Skulptur des Düsseldorfer Wagenbauers (und gbs-Beirats) Jacques Tilly nun im Bonner "Haus der Geschichte". Es ist nicht das einzige Exponat der Stiftung, das es in das Museum geschafft hat. Zuvor hatte das "Haus der Geschichte" bereits das gbs-Transparent "Aufklärung auf Katholisch" in seine Sammlung integriert, um den klerikalen Missbrauchsskandal zu dokumentieren. Einige Jahre zuvor wurde dort auch schon das Plakat zur ersten "Kritischen Islamkonferenz" (2008) aufgenommen. Das Bildmotiv der jungen Frau, die ihren abgelegten Schleier triumphal in die Höhe streckt, wurde später im Zuge der Proteste der iranischen Frauenbewegung gegen das Mullahregime populär.
Abschied von der Religion: Erstmals in der deutschen Geschichte stellen die konfessionsfreien Menschen mit 46 Prozent einen ebenso großen Bevölkerungsanteil wie Katholiken und Protestanten zusammengenommen (24 + 22 Prozent). Zugleich besuchen nur noch 5 Prozent der Bevölkerung regelmäßig eine Kirche, Synagoge oder Moschee. Dies geht aus den Daten hervor, die von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) am 28. August vorgelegt werden.
September
"Check your Dogma! (2)": Rund 1.000 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland sind der Ausschreibung des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!) gefolgt und haben ihre Arbeiten zum "DA! Art-Award" eingereicht, der 2024 ebenfalls unter dem Motto "Check your Dogma!" stand. Die besten 90 Werke werden im Rahmen einer Kunstausstellung vom 6. bis 28. September im Düsseldorfer Stadtmuseum ausgestellt. Bei der Preisverleihung am 28. September erhält pikanterweise ein Werk den Publikumspreis, das nach einem Veto des Stadtmuseums in der Ausstellung gar nicht gezeigt werden durfte, nämlich die (doppelt blasphemische) Arbeit "Klagemauer auf Koran" von Ahmad Rafi.
Auf Einladung des Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe, findet am 9. September ein Fachgespräch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) statt, an dem unter anderem Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung), Philipp Möller (Zentralrat der Konfessionsfreien) und Mina Ahadi (Zentralrat der Ex-Muslime) teilnehmen. Es geht unter anderem um die religiöse Verfolgung nichtreligiöser Menschen sowie um die innen- wie außenpolitisch fatalen Wirkungen des deutschen "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB. Ergebnisse des Treffens fließen ein in eine Broschüre zur "Weltanschauungsfreiheit", die Frank Schwabe im Oktober 2024 veröffentlicht (siehe unten).
Deutschlandweite Proteste gegen Paragraf 218 StGB: Vom 21. bis 28. September findet eine Aktionswoche zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs statt. Ein entsprechender Gesetzentwurf wäre längst überfällig, heißt es in dem Aufruf des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. Der gbs-Vorstand kommentiert mit Blick auf die Empfehlungen der "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin": "Dass die Ampelregierung diese Vorlage nicht genutzt hat, um einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, ist ein schwerer politischer Fehler! Dies gilt nicht zuletzt auch für die notwendige politische Auseinandersetzung mit der AfD. Denn in Ostdeutschland plädiert die überwältigende Mehrheit für eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, während die AfD aufgrund ihres christlich-fundamentalistischen Flügels schärfere Gesetze fordert. Wenn man die AfD effektiv bekämpfen möchte, sollte man sie gezielt auf jenen Gebieten angreifen, auf denen sie komplett andere Positionen vertritt als ein Großteil ihrer Wählerschaft."
Das Bertha von Suttner-Studienwerk (BvS) reicht Klage gegen einen Bescheid des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein, das den Antrag des Studienwerks auf Anerkennung und finanzielle Förderung "mangels Bundesinteresse" (!) abgelehnt hat. Unberührt von der Klage führt das BvS, in dessen Vorstand die stellvertretende gbs-Vorsitzende Ulla Wessels mitwirkt, seine Tätigkeit fort. Es fördert auch künftig begabte junge Menschen, die in humanistischer Geisteshaltung ihre Talente und Fähigkeiten in den Dienst von Wissenschaft und Gesellschaft stellen. Die Nachfrage ist weiterhin hoch: Bei der aktuellen Ausschreibung des "Suttner-Stipendiums 2024" sind über 250 Bewerbungen beim Studienwerk eingegangen, wie das BvS auf seiner Website berichtet.
Oktober
"Im Keller des Geistes": Schon Sigmund Freud ahnte, dass wir nicht "Herr im eigenen Haus" sind. Wahrnehmungsinhalte werden gefiltert, Aufmerksamkeit abgelenkt, Handlungsmotive verrechnet, Erinnerungen konstruiert und Gefühle aufgebaut – alles ohne bewusste Steuerung. Aber sind wir den Entscheidungen unseres Gehirns tatsächlich hilflos ausgeliefert? Beim Kortizes-Symposium 2024, das mit Unterstützung der gbs und der Zeitschrift Gehirn & Geist vom 4. bis 6. Oktober im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg stattfindet, ergründen renommierte Expertinnen und Experten die spannenden Facetten des Unbewussten.
2024 wird erstmalig der bundesweite "GöthE"-Schülerpreis ausgeschrieben. Dabei steht "GöthE" für "Götterfreie Humanistische Ethik". Stifter des Preises ist die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland, die auch Mitglied im Förderkreis der Giordano-Bruno-Stiftung ist. Bis zum 31. Dezember können Schülerinnen und Schüler (sowohl als Einzelpersonen als auch in Gruppen) Arbeiten einreichen, die ethische Fragen der Gegenwart beleuchten, Grundsätze der eigenen Lebensführung hinterfragen und Begründungen für humanistische Werte entwickeln, ohne dabei auf religiöse Vorstellungen zurückzugreifen. Die Giordano-Bruno-Stiftung unterstützt die Preisvergabe nicht zuletzt auch mit Blick auf ihr Schwerpunktthema 2025 "Mein Kopf gehört mir!", das sich mit der Frage auseinandersetzen wird, wie Kinder in einer offenen Gesellschaft aufwachsen sollten.
"Kann Philosophie die Welt verändern?": Vor 20 Jahren wurde die Giordano-Bruno-Stiftung gegründet. Das bruno.-Jahresmagazin 2024 nimmt dies zum Anlass, um an einen ihrer zentralen Impulsgeber (Karlheinz Deschner) zu erinnern, die bewusstseinsverändernde Macht der Bilder, Philosophie und Rechtspolitik zu ergründen und darzulegen, dass die Menschheit möglicherweise doch zu mehr noch taugen könnte als bloß zu einem "geologischen Ereignis", das die Klimaerwärmung ausgelöst hat.
Bevor der SPD-Politiker Frank Schwabe sein Amt im BMZ übernahm, trug seine Stabstelle den Titel "Beauftragter für Religionsfreiheit", was der neue Amtsinhaber durch den Begriff der "Weltanschauungsfreiheit" ergänzt hat. In der im Oktober erschienenen Broschüre "Weltanschauungsfreiheit weltweit stärken!" erläutert Schwabe nun, was er unter diesem Begriff versteht. Die gbs bewertet die Veröffentlichung als "ausgesprochen positiv": "Frank Schwabe hat die zentrale Bedeutung der Weltanschauungsfreiheit im modernen Rechtsstaat klar erkannt. Leider ist diese Einsicht noch längst nicht bei den anderen Bundesministerien angekommen. Noch immer werden religiöse Weltanschauungen gegenüber nichtreligiösen in vielerlei Hinsicht privilegiert, obgleich dies eklatant gegen das Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates verstößt. In dieser Hinsicht werden wir wohl noch einige dicke Bretter bohren müssen."
November
Die Kirche vor Gericht: Jens Windel wurde zwischen seinem neunten und elften Lebensjahr in rund 90 Fällen von einem katholischen Pfarrer missbraucht, der bereits 20 Jahre zuvor auffällig geworden war und von der Kirche insgesamt fünfmal versetzt wurde. Um dem wegweisenden Schmerzensgeldprozess vor dem Landgericht Hildesheim die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist die gbs-Aktionsgruppe "11. Gebot" mit dem "Hängemattenbischof" vom 6. bis 8. November in Hildesheim vor Ort. Dass die Kirche in dem Verfahren "Einrede auf Verjährung" erhebt, ist für David Farago, Leiter der Aktionsgruppe "11. Gebot", eine "Ungeheuerlichkeit ersten Ranges": "Eine Kirche, die für vorgebliche Enteignungen vor mehr als 200 Jahren Jahr für Jahr Hunderte Millionen vom deutschen Staat kassiert, weigert sich, Schmerzensgeld für Taten zu zahlen, die in ihrem Verantwortungsbereich vor gerade einmal 40 Jahren passiert sind! Hier sind wirklich alle Dimensionen verrutscht!"
Es ist so gekommen, wie es viele befürchtet haben: Donald Trump zieht abermals ins "Weiße Haus" ein, was die "Internationale der Nationalisten" noch einmal stärken wird. Die Gründe für seinen Wahlerfolg sind im Grunde dieselben wie bei seiner ersten Kandidatur 2016. In ihrem Kommentar zur US-Wahl greift die gbs daher auf den Artikel "Die offene Gesellschaft steht auf dem Spiel" zurück, den gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon Anfang 2017 für den Piper-Band "Wir haben die Wahl" geschrieben hat.
Der "Politische Islam" ist zu einer Bedrohung für die Freiheit und Sicherheit in Deutschland geworden. In dieser Einschätzung sind sich liberale Muslime, säkulare Muslime und religionsfreie Islamismusexpert*innen einig. Vom 22. bis 24. November treffen sich führende Vertreter*innen der Islamismuskritik am gbs-Sitz in Oberwesel, um zu beratschlagen, wie es besser gelingen kann, der Gefahr des Politischen Islam sowie des Rechtsextremismus entgegenzuwirken. Dabei wird unter anderem ein ausführlicher Resolutionstext erarbeitet, der konkrete Schritte zur Islamismusbekämpfung aufzeigt. Bilder von dem Treffen sind schon ins Netz gelangt, mit ihren Positionen und Aktivitäten will die Gruppe allerdings erst 2025 in die Öffentlichkeit gehen.
Die Giordano-Bruno-Stiftung erweitert ihr Medienangebot um ein neues Audio-Format: Der Podcast "SINNERFÜLLT: Humanistische Lebensgeschichten" lädt seit Ende November zu persönlichen Begegnungen mit Menschen ein, die humanistische Werte in ihrem Leben und Wirken verkörpern. Anders als theoretische Abhandlungen stellt das von Susanne Bell moderierte Format die individuellen Erfahrungen und Biografien in den Mittelpunkt.
Dezember
Durch den Bruch der Ampelkoalition ist es fraglich, ob es tatsächlich zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kommt, die nach 30 Jahren Debattenstillstand möglich erschien. Davon lassen sich die rund 100 Organisationen jedoch nicht entmutigen, die für den 7. Dezember zu Großdemos aufgerufen haben. Gestützt wird ihr Anliegen durch Bundestagsabgeordnete, die einen Gesetzentwurf eingereicht haben, um den Schwangerschaftsabbruch doch noch bis zur nächsten Bundestagswahl zu legalisieren. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Gesetzentwurf nach der ersten Lesung aufgrund wahltaktischer Überlegungen von CDU/CSU, FDP und AfD im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags steckenbleibt. Um dies zu verhindern, hat das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung am 12. Dezember eine Online-Petition gestartet, die fordert, dass das Parlament über den Entwurf abstimmen kann: "JETZT ist keine Zeit mehr für Partei- und Wahltaktik: Eine demokratische Entscheidung darf nicht unterlaufen werden! Machen Sie den Weg frei für eine überfällige Neuregelung, die insbesondere ungewollt Schwangeren endlich die Unterstützung gibt, die sie verdienen!" Die Petition kann unter diesem Link unterzeichnet werden.
Auch die von der gbs forcierte Abschaffung des "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB ist durch den Bruch der Ampelkoalition unwahrscheinlicher geworden. Dies hält die "Free Charlie!"-Kampagne jedoch nicht davon ab, an ihren wohlbegründeten Zielen festzuhalten. Zum 10. Jahrestag des Anschlags auf "Charlie Hebdo" (07.01.2025) wird die Kampagne einen Film veröffentlichen, der die "subversive Kraft des Humors" preist und die fatalen Konsequenzen beleuchtet, die mit dem "Gotteslästerungsparagrafen" seit jeher verbunden sind. Der Film ist derzeit in der Mache und wird am 7. Januar an verschiedenen Orten Deutschlands gezeigt werden. Am gleichen Tag wird auch das Kampagnen-Buch "Free Charlie! Satire kann man nicht töten" erscheinen, das mit einigen der schärfsten religionskritischen Karikaturen der letzten Jahre aufwartet. Erste Infos zum Buch findet man auf der "Free Charlie!"-Website.
Fazit
2024 war abermals ein hochdramatisches Jahr – nicht zuletzt aufgrund der außenpolitischen Entwicklungen (Kriege in der Ukraine und in Nahost, Sturz des Assad-Regimes in Syrien, Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten). Innenpolitisch gab es zunächst begründete Hoffnung, dass sowohl der alte Abtreibungsparagraf 218 StGB als auch der ebenso überkommene Gotteslästerungsparagraf 166 StGB endlich abgeschafft werden könnten, worauf die gbs schon lange hinarbeitet. Doch das Aus der Ampelregierung und die Blockadehaltung der FDP, die sich offenkundig schon weit von ihrem bürgerrechtlichen Liberalismus der 1970er Jahre entfernt hat, lassen dies gegenwärtig mehr als fraglich erscheinen. Immerhin: In Teilen des linksliberalen Lagers ist inzwischen die Erkenntnis gereift, dass es nicht progressiv sein kann, Islamofaschisten zu unterstützen, was unter anderem zum überfälligen Verbot des "Islamischen Zentrums Hamburg" (IZH) geführt hat. Nicht klar ist allerdings, ob diese Schritte wirklich aus Einsicht eingeleitet wurden oder bloß aus Angst vor weiteren Wahlerfolgen der AfD.
Erfreulich aus Sicht der Giordano-Bruno-Stiftung war 2024 die Erkenntnis, dass viele ihrer Positionen inzwischen von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden. Dies war bei der Gründung der gbs vor 20 Jahren noch deutlich anders: 2004 wurde sie in den Medien noch wegen ihres vermeintlich "militanten Atheismus" attackiert – und als sie kurz darauf auf die schwere psychische, physische und sexuelle Gewalt hinwies, die viele Kinder und Jugendliche in kirchlichen Institutionen erlitten hatten, wurde sie sogar in die Nähe des "Kirchenkampfs" der Nationalsozialisten gerückt. Wie sehr sich das gesellschaftliche Klima mittlerweile gewandelt hat, zeigte beispielhaft die dreiteilige "Terra X"-Doku "Macht der Götter", die an Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag zur besten Sendezeit im ZDF ausgestrahlt wurde und in der Michael Schmidt-Salomon als Interviewpartner und wissenschaftlicher Berater mitwirkte. Erstaunlich positive Resonanz erzielte auch das Jung & Naiv-Gespräch mit dem gbs-Vorsitzenden, das im Mai online ging und seither über 650.000 mal aufgerufen wurde.
Bemerkenswert war auch ein im November erschienener Artikel der taz, der die Kritik der gbs an der religiösen Besetzung des Deutschen Ethikrats aufgriff. Autor Ralf Nestmeyer forderte darin, dass "gerade bei kontroversen Themen wie der Sterbehilfe oder Fragen zu reproduktiven Rechten auch die Perspektive konfessionsloser und säkularer Menschen vertreten sein" sollte: "Ulla Wessels, die Praktische Philosophie an der Universität des Saarlandes lehrt und Vorstandsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung ist, wäre beispielsweise eine gute Wahl gewesen. Ohne die Berücksichtigung dieser Stimmen entsteht das Risiko ethischer Empfehlungen, die die Interessen und Überzeugungen eines großen Teils der Bevölkerung unberücksichtigt lässt."
Bezüglich der eingangs gestellten Frage, ob die Menschheit ihrer globalen Verantwortung im "Anthropozän" gerecht wird, hat sich 2024 allerdings als sehr ernüchternd erwiesen. Möglicherweise lag die "Internationale Union der Geowissenschaften" doch richtig, als sie in diesem Jahr vorschlug, das Anthropozän von einer "geologischen Epoche" zu einem "geologischen Ereignis" herabzustufen. Damit käme der Menschheit erdgeschichtlich eine ähnliche Rolle zu wie dem Kometeneinschlag vor 66 Millionen Jahren, der das Ende der Dinosaurier einleitete. Die Gefahr ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass die "Internationale der Nationalisten" mit ihrem Mix aus nationalem Chauvinismus und reaktionären religiösen Werten alle Chancen auf eine effektive internationale Zusammenarbeit untergräbt, die mit Blick auf die Herausforderungen des Anthropozäns so dringend erforderlich wäre.
Allerdings: Für eine Kurskorrektur ist es noch nicht zu spät. Noch haben wir die klimatische Nische einer eiszeitlichen Warmzeit nicht vollends zerstört. Doch es wird Zeit, dass die Menschheit erwachsen wird, die kosmischen Realitäten anerkennt und sich ihrer planetaren Verantwortung stellt. Die Giordano-Bruno-Stiftung wird an diesen Themen auch in Zukunft weiterarbeiten und – trotz allen Widerständen, die gerade auch in diesem Jahr offenkundig wurden – die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir die Dinge besser machen können als in der Vergangenheit.
Die Philosophie des evolutionären Humanismus ist eben nicht zuletzt auch mit dem Glauben an die Entwicklungsfähigkeit unserer Spezies verbunden. Zumindest sollten wir es nicht prinzipiell ausschließen, dass wir Menschen uns doch noch, wie es im Schwerpunktartikel der aktuellen bruno.-Ausgabe heißt, "des ungeheuren Privilegs als würdig erweisen, das uns zuteilwurde, nämlich, dass dieser uralte Kosmos in uns zu einem Bewusstsein seiner selbst erwacht ist. Schließlich ist es alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass wir Sternenstaub sind, der weiß, dass er Sternenstaub ist. Schon allein diese Erkenntnis sollte uns davon abhalten, die Menschheit schlechtzureden."
Erstveröffentlichung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung.