Wie die Medien Donald Trump zum nackten Kaiser krönten

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Bild generiert mit KI
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Es ist schockierend, aber nicht überraschend, dass Donald Trump heute erneut das Amt des US-Präsidenten antritt. Die Gründe hierfür sind vielfältig, einen allerdings halte ich für sträflich unterschätzt: das systematische Versagen der vierten Gewalt im Umgang mit Trump und der "flooding the zone"-Strategie.

Zu Beginn brauchen wir eine Definition: Was sind Medien eigentlich?

Jedes einzelne Medium ist letztendlich eine Linse, durch die wir die Welt betrachten und verstehen können. "Das Medium", schrieb der US-amerikanische Medientheoretiker Neil Postman, "ist die Metapher".

Funktional gesehen können wir uns den Medienapparat als Ganzes vorstellen wie eine riesige Sortiermaschine. Diese Maschine nimmt Daten oder Informationen auf und versucht, diese in einen logischen Kontext zu setzen, sodass sie Wissen vermitteln kann. Was gute und schlechte Medien voneinander unterscheidet, ist just diese kontextuelle Einordnung.

Jede freie Gesellschaft braucht zuverlässige, seriöse Medien als Transportmittel für den politischen Diskurs. Das gilt umso mehr in einer Nation, in der sich 17 Prozent der Erwachsenen auf oder unter der niedrigsten Alphabetisierungsstufe für die englische Sprache befinden – 21 Prozent, wenn man diejenigen mitzählt, die aufgrund von Sprachbarrieren oder Behinderungen nicht an der Erhebung teilnehmen konnten.

Dieser Aufgabe aber kommt die vierte Gewalt kaum noch nach, sie wirkt gleichzeitig getrieben und paralysiert. Das hat zwei Gründe: Den durch falsche Neutralität verschuldeten Verlust jener Kontextualisierung einerseits und die Entstehung eines (polit-)ökonomischen Anreizsystems, das nicht die Lösung realer, sondern die Perpetuierung fiktiver Probleme belohnt, andererseits.

Die Prophezeiung des Postman

Reden wir mal Klartext: Donald Trump ist nicht der Präsident, sondern der nackte Kaiser der Vereinigten Staaten von Amerika.

Nackt, weil dieser Mann uns alle durch den Kakao gezogen hat und wir diesen auch noch trinken – müssen. So ernüchternd es ist, aber der "You're fired"-Typ ist der demokratisch gewählte, neue alte Chef des schlagkräftigsten Militärs und der mächtigsten Geheimdienste der Welt.

Kaiser, weil er den Gesetzen der Vereinigten Staaten nicht mehr unterworfen ist. Wenn "Rechtsstaat" bedeutet, dass das Gesetz ausnahmslos über allen steht, auch denen, die es machen, ausführen und interpretieren, sind die USA seit dem 1. Juli 2024 keiner mehr. In den Worten der Verfassungsrichterin Sonya Sotomayor: "Das Gericht erschafft de facto eine rechtsfreie Zone rund um den Präsidenten und wirft damit den seit der Staatsgründung existierenden status quo über Bord. […] Im Rahmen der Amtsausübung ist der Präsident nun ein König über dem Gesetz."1

Hören Sie das? Dieses tiefe, an Flugzeugturbinen erinnernde Brummen? Das ist der rehabilitierte Richard Nixon, der dem Tartaros entsteigt und voller Inbrunst schreit: "ES IST NICHT ILLEGAL, WENN DER PRÄSIDENT ES TUT!"

Das zu erwartende Trump-Crypto-Chaos ist die logische Folge unserer Ignoranz gegenüber einer sich technologisch rapide verändernden Medienlandschaft und Sozialstruktur sowie absurder Niveaus globaler und innerstaatlicher Vermögensungleichheit. Ich möchte mit einem Zitat aus Neil Postmans Werk "Amusing Ourselves to Death" ("Wir amüsieren uns zu Tode") eröffnen, von dem ich meine, dass es den heutigen Tag so gut auf den Punkt bringt wie sonst kaum etwas: "Wenn Politik wie Showbusiness ist, dann ist der Sinn dahinter nicht das Streben nach Exzellenz, Erkenntnis oder Ehrlichkeit, sondern so zu erscheinen, als würde man diese Dinge tun, und das ist eine ganz andere Sache. Diese Sache kann mit einem einzigen Wort zusammengefasst werden: Werbung."2

"False Balance": Asimov hat uns gewarnt

"False Balance" bezeichnet einen Bias in der Berichterstattung, bei dem zwei oder mehr Positionen als gleichermaßen erwägenswert dargestellt werden, obwohl sie es nicht sind. Ganz simples Beispiel: False Balance ist, wenn ein Medium sagt: "Diese Person meint, die Erde ist flach, jene Person meint, die Erde ist rund – entscheiden Sie selbst!"

Was hier fehlt, ist überlebensnotwendiger Kontext. Ohne die Erwähnung, dass eine dieser Sichtweisen überprüfbar ist und die andere nicht, kann niemand eine qualifizierte, faktenbasierte Entscheidung treffen. Ergo werden die Menschen der Person glauben, mit der sie sich besser identifizieren können oder deren Aussage sich besser anfühlt.

Wer braucht in einer Welt, in der man nach Belieben alternative Realitäten erfinden und ganz offensichtlich manifestieren kann, schon Kontext?

So konnte sich Donald Trump als Held der arbeitenden Klasse gebaren, ohne Gefahr zu laufen, dass jemand seine gescheiterte Steuerreform von 2017, die hauptsächlich zugunsten des reichsten Prozents ausfiel, zur Sprache bringt.

So konnte sich Donald Trump als Ikone des Rugged Individualism, der Libertären und der Budgetskeptischen verkaufen, obwohl seine letzte Amtszeit das Defizit um knapp acht Billionen US-Dollar, beinahe 40 Prozent, nach oben geschraubt hat und eine Verlängerung der 2025 auslaufenden Steuerreform weitere 4,6 Billionen kosten würde.

So konnte Donald Trump suggerieren, er sei ein beinharter law and order-Typ mit nahezu religiöser Ehrfurcht vor der Verfassung, während er selbiger in nie dagewesener Weise auf der Nase herumtanzt.

Und so weiter und so weiter. Ad infinitum, ad nauseam.

Witzigerweise bemerkte Isaac Asimov in einem 1980 veröffentlichten Artikel Ähnliches: "Es gibt einen Kult der Ignoranz in den Vereinigten Staaten, und diesen gab es schon immer. Die Last des Anti-Intellektualismus ist der rote Faden, der sich durch unser politisches und kulturelles Leben zieht, gespeist von der Fehlannahme, Demokratie bedeute, dass 'meine Ignoranz genau so viel wert ist wie dein Wissen'."

Begründet wird das Ganze dann mit einer sogenannten "Neutralität" und das ist der Gipfel der Frechheit. In der Tat ist es so ziemlich das Gegenteil von neutral, Messung und Meinung gleichzusetzen. Wir können Meinung mit Meinung vergleichen und Messung mit Messung, aber alles andere ist Bullshit. Steve Bannon und Wladimir Putin lagen goldrichtig mit ihrer Strategie, den Diskursraum mit so viel Schwachsinn und so viel widersprüchlicher Propaganda zu fluten, dass es offensichtlich nicht mehr ökonomisch ist, noch vernünftigen Journalismus zu betreiben.

"Die Demokratie stirbt in Finsternis" – ja! am! Arsch! Donald Trump hat ihr am hellichten Tag ins Gesicht geschossen – nicht auf der Fifth Avenue in New York, sondern auf den Stufen des Kapitols – und wie angekündigt nicht eine Stimme verloren. Wer braucht in einer Welt, in der man nach Belieben alternative Realitäten erfinden und ganz offensichtlich manifestieren kann, schon Kontext?

"Manufactured Dissent": Warum die Welt sich so furchtbar anfühlt

"Manufactured Dissent" ist letztendlich die Erschaffung customisierter Parallelrealitäten, in denen sich Menschen permanent in einem Zustand der Angst oder Aufregung befinden. Auch hierfür ein simples Beispiel: Manufactured Dissent ist, wenn die GOP jahrelang schreit, dass eine Armee oder Horde aus Mexiko hinüber in die USA marschiert, dann aber eines der schärfsten Grenzgesetze in der US-Geschichte verhindert, damit Donald Trump weiterhin Wahlkampf mit diesem imaginären, aber emotional wirkmächtigen Nonsens machen kann.

Damit das auf breiter Basis funktioniert, braucht es Datensätze über Präferenzen und Verhalten von Individuen, die genügend groß sind, dass daraus Muster und somit verlässliche Vorhersagen abgeleitet werden können. Metas Algorithmus ist seit einigen Jahren in der Lage, das Verhalten von Menschen basierend auf ein paar hundert Likes genauso gut oder sogar besser vorherzusagen als deren Partner*innen oder Angehörige. TikToks und mit Einschränkungen auch YouTubes Algorithmen neigen dazu, sogenannte Rabbit Holes zu erzeugen, also Abfolgen von Content, der in immer extremeren, emotionaleren, toxischeren Inhalten endet.

Um zu verstehen, warum wir uns von einem Haufen Computercode dermaßen an der Nase herumführen lassen, müssen wir uns eine zentrale Erkenntnis der Psychologie ins Gedächtnis rufen: Menschen neigen intuitiv dazu, den Wahrheitsgehalt eines Reizes basierend auf der Valenz des Gefühls, das dieser Reiz auslöst, zu beurteilen. Ganz egal, ob wir Nachrichten oder Stand-Up-Comedy schauen: Je negativer, desto wahrer.3

Den Staat machen heute die, die am glaubwürdigsten einfache Lösungen für komplexe fiktive Probleme verkaufen.

Evolutionär vollkommen logisch: Wenn etwas große Angst oder intensives Unwohlsein auslöst, tut der Mensch gut daran, sich an diesem Gefühl zu orientieren, denn das könnte Fressfeinde, Umweltgifte oder drastische Wetterveränderungen bedeuten. Im schlimmsten Fall verliert man eine Gelegenheit zur Nahrungsbeschaffung. Ignoriert man dieses Gefühl aber, verliert man im schlimmsten Fall sein Leben.

Soziale Netzwerke sind dabei nur der Gipfel des algorithmisch kuratierten (Sch-)Eis(s)bergs. Es wäre Aufgabe der Medien, diesen Prozess kritisch zu hinterfragen, stattdessen spielen sie ihn munter mit. Kauf dies, klick jenes, kommentiere, konsumiere und gib uns hier und da und dort überall ein paar deiner Daten. Das Internet war mal ein Raum, in dem Menschen mit Menschen sprechen. Heute ist es ein Raum, in dem Maschinen zu Menschen sprechen. Und was sie sagen, ist: "Siehst du das? Macht dich das ängstlich? Wütend? Ja? Gut. Willst du mehr davon sehen? Natürlich willst du mehr davon sehen – hier!"

So zeigt sich auch, warum es so einfach ist, Menschen dazu zu verleiten, entgegen ihrer eigenen Interessen zu wählen. Das hat nicht primär mit Intelligenz oder Bildungsstand zu tun, sondern mit den Linsen, den Medien, durch die Menschen die Welt betrachten. Stellen Sie Ihnen die richtigen falschen Informationen zur Verfügung und präsentieren Sie diese so, dass sie eine starke negative Valenz transportieren ("they're eating the dogs!" "they're taking your jobs!") und Sie können in Echtzeit dabei zusehen, wie die Heuristik im Hirn ihren ganz natürlichen Gang geht.

Beiträge, die starke negative Emotionen auslösen, werden mit Abstand am häufigsten geteilt4. Geben Sie den Leuten dann noch eine Anreizstruktur, die das Verbreiten von Informationen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt belohnt5 – et voilà, die Welt geht unter! Und gewisse Staaten lachen sich einen Ast, weil wir so blöd sind, ihnen diese Propagandainfrastruktur auch noch praktisch kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Wir erinnern uns: Das Medium ist die Metapher. Wenn aber die Frage "Stimmt das eigentlich?" in der Metapher nicht vorkommt, was dann? Ganz offensichtlich ist mit dem Lösen echter, realer Probleme kein Staat mehr zu machen. Den Staat machen heute die, die am glaubwürdigsten einfache Lösungen für komplexe fiktive Probleme verkaufen. Das hat nichts mehr mit Politik zu tun, das ist Profiwrestling in Anzug und Krawatte.

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1 Justice Sonya Sotomayor, dissenting, p. 29-30. In Trump v. United States, 603 U.S. 593 (2024). ↩︎

2 Postman, Neil. Amusing Ourselves to Death. Viking Press, New York, NY, USA, 1985, p. 126. ↩︎

3 Konjin E.A., Walma van der Molen J., Nes S. (2009). Emotions Bias Perceptions of Realism in Audiovisual Media: Why We May Take Fiction for Real. Discourse Processes, 46: p.309-340. doi: 10.1080/01638530902728546 ↩︎

4 Wang MJ., Yogeeswaran K., Sivaram S., Nash K. (2021). Examining spread of emotional political content among Democratic and Republican candidates during the 2018 US mid-term elections. Humanit Soc Sci Commun 8, 300. doi: 10.1057/s41599-021-00987-4

5 Ceylan G., Anderson I.A., Wood W. (2023). Sharing of misinformation is habitual, not just lazy or biased. Proc Natl Acad Sci U S A. 2023 Jan 17;120 (4) e2216614120. doi: 10.1073/pnas.2216614120