(hpd) Eine einfühlsame Geschichte um Vater und Sohn, deren beschauliches Leben durch den Bürgerkrieg im Tschad völlig aus den Fugen gerissen wird. Regisseur Mahamat-Saleh Haroun richtet mit „Ein Mann der schreit“ seinen Blick auf die Menschen in einem von Bedrohung und Unsicherheit geprägten Land.
Adam ist Bademeister am Pool eines luxuriösen Hotels in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Sein Gehilfe ist sein eigener Sohn, der zwanzigjährige Abdel, der noch immer bei seinen Eltern lebt und der ein enges Verhältnis zu seinem Vater pflegt. Im Hotel wird Adam von allen liebevoll „Champion“ genannt, denn in den sechziger Jahren war der großgewachsene Mann einmal Schwimmmeister in Zentralafrika. Ein Erfolg, der ihn ebenso mit Stolz erfüllt, wie die Tatsache, dass er der erste Bademeister in ganz Tschad gewesen ist. Als chinesische Investoren das Hotel übernehmen, wird er jedoch an die Hotelschranke versetzt und muss seinen Posten, und mit ihm einen bedeutsamen Teil seines Lebens, abgeben – ausgerechnet an seinen eigenen Sohn Abdel, was die von ihm empfundene Kränkung nur noch verstärkt.
Zur gleichen Zeit tobt der Bürgerkrieg im Land. Das Programm in Fernsehen und Radio wird dominiert von patriotischen Meldungen von der Front und den eindringlichen Aufrufen an die Bevölkerung, sich am Kampf gegen die Rebellen zu beteiligen. Ein Politiker vor Ort tritt auch an Adam persönlich heran und hält ihn an, seinen finanziellen Beitrag für die Armee zu leisten. Als Adam aber durchblicken lässt, dass er sich zwar keinesfalls seiner Verantwortung entziehen möchte, das Geld aber einfach nicht bezahlen kann, drängt ihn der Mann dazu, seinen Sohn Abdel dem Militär zu übergeben, damit er an der Front eingesetzt werden könne.
Als Abdel dann tatsächlich von Soldaten der Armee abgeholt wird, um Kriegsdienst zu leisten, bekommt Adam seinen alten Posten als Bademeister zurück. Doch der Pool ist nicht mehr derselbe, wie zuvor. Adam ist ein gebrochener Mann, seine Trauer beherrscht ihn, die Schuld, die er sich aufgeladen hat, wiegt schwer auf seinen Schultern. Als Abdels hochschwangere Freundin schließlich bei Adam und seiner Frau Mariam vor der Tür steht, brechen die angestauten Emotionen aus ihm heraus. Während die Bedrohung durch die Rebellen immer größer wird und das Leben der Menschen in N’Djamena völlig durcheinander bringt, entschließt sich Adam, seinen Sohn zurückzuholen.
Regisseur Haroun: Ein Leben im Exil
Regisseur und Drehbuchautor Mahamat-Saleh Haroun ist einer der ganz wenigen Regisseure aus dem Afrika südlich der Sahara, die es mit ihren Filmen auf die großen Filmfestivals geschafft haben und deren Filme auch hierzulande Kino- und TV-Auswertungen erfahren. Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes war Haroun Mitglied der Wettbewerbsjury, nachdem sein jüngster Film „Ein Mann der schreit“ (Un homme qui crie) dort im Vorjahr mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.
Als junger Erwachsener kam Haroun nach Frankreich und lebt noch heute in Paris. Er selbst beschreibt das Leben dort aber als eines im Exil, denn damals kam er nicht aus freien Stücken. Er selbst floh vor den Schrecken des Bürgerkrieges, mit denen er abermals während der Dreharbeiten zu „Daratt “ und zwei Jahre später während der Arbeit an einem Kurzfilm in Berührung kam, als Rebellen in die Hauptstadt eindrangen. Diese beiden Erlebnisse der letzten Jahre veranlassten ihn dazu, sich dem Phänomen des Bürgerkrieges anzunähern, der, wie Haroun einmal sagte, wie ein Gespenst sei, das das Leben der Leute im Tschad heimsuche. Schon seit Jahrzehnten tobt dieser Konflikt und bedeutet stets eine zumindest latente Bedrohung für die Menschen. Haroun sieht dabei vor allem die Rolle der Männer als ausschlaggebend für den Fortbestand der Gewalt an, eine Rolle der Vermittlung von Werten und Emotionen, die ihren Kern in der Vater-Sohn-Beziehung findet. Auch in „Ein Mann der schreit“ ist es letzten Endes der Vater, der seinen Sohn in den Krieg schickt, wenngleich er es hier freilich nicht aus freien Stücken tut.
Menschlichkeit inmitten des Bürgerkrieges
Mit „Ein Mann der Schreit“ erzählt Haroun eine zutiefst persönliche Geschichte inmitten einer Situation der Unsicherheit und zunehmenden Bedrohung. Dabei gelingt es ihm, seinen Charakteren eine besondere Tiefe zu verleihen, die sich gerade aus dem zurückhaltenden Wesen der Erzählung ergibt. Zwar wird viel gesprochen, viel mehr als in seinem letzten Kinofilm „Daratt“, aber das wahre Wesen seiner Figuren offenbart sich in den ruhigen Momenten, den leisen Gesten, in einigen wenigen Sätzen. Selbst die zutiefst emotionalen Ausbrüche inszeniert Haroun noch immer ruhig und beschaulich, setzt Musik und Close-Ups sparsam ein. Es ist eine besondere Form der Erzählung, die mit ihren Mitteln nicht die üblichen Gewohnheiten des westlichen Kinos aufgreift, die den Zuschauer aber trotzdem (oder gerade deshalb) zu packen und mitzureißen vermag.
Großen Anteil daran hat auch die facettenreiche Darstellung des Adam, gespielt von Youssouf Djaoro, dessen schauspielerische Leistung bereits in „Daratt“ überragend war und der zuvor vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem tschadischen Regisseur Issa Serge Coelo bekannt geworden ist. Er vermag es, dem Charakter des alten Bademeisters die notwendige Authentizität zu verleihen und seine Freude, Wut und Trauer, seinen Stolz und seine innere Zerrissenheit glaubhaft darzustellen.
Neben der einfühlsam erzählten Vater-Sohn-Geschichte gelingt Mahamat-Saleh Haroun aber noch etwas ganz anderes. Durch seine bedachte Inszenierung erschafft er nämlich mit „Ein Mann der schreit“ einen wahrhaft ehrlichen Anti-Kriegsfilm. Er rückt den Mensch ins Zentrum seiner Darstellung, nicht die Götzenbilder des Kriegsfilms. Obwohl die allgegenwärtige Bedrohung durch die Rebellen sowie die fordernde Macht der staatlichen Truppen zunehmend stärker wird, lässt sich Haroun nicht dazu verleiten, das Schicksal seiner Figuren durch den Blick auf kriegerische Auseinandersetzungen aus dem Blick zu verlieren und verzichtet dabei sogar völlig auf die Darstellung von Kämpfen.
Sein Kriegsschauplatz ist das Viertel von N’Djamena, in dem Adam mit seiner Frau und seinem Sohn von Anfang an lebte und arbeitete und das die Menschen später in Panik verlassen werden. Zur einsetzenden Fluchtbewegung gesellen sich mehr und mehr die kampfbereiten Regierungstruppen, immer überschattet vom Lärm der Hubschrauber, die die Szenerie überfliegen. „Ein Mann der schreit“ richtet seinen Blick nicht auf die Mechanik des Krieges, sondern auf dessen zermürbende Auswirkung auf die Menschen und wird dadurch selbst zu einem zutiefst menschlichen Werk.
Sascha Schmidt
Ein Mann der schreit (Un homme qui crie) - Mahamat-Saleh Haroun, Frankreich / Belgien / Tschad, 2010, 92 Minuten
Hier geht es zum Trailer