Das Versprechen ewigen Lebens

Digitale Zwillinge der Verstorbenen

dig-4188781_1280.jpg

Religionen versprechen es schon immer – das ewige Leben, das Weiterleben nach dem Tod. Aber viele Menschen wenden sich von den Religionen ab. Doch das Versprechen der Unsterblichkeit bleibt, nur die Anbieter sind jetzt andere: Technologie-Firmen stellen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz das Weiterleben nach dem Tod in Aussicht. Der aktuelle Dokumentarfilm "Eternal You" (Du bleibst auf ewig) erzählt verstörende Geschichten dieses rasant voranschreitenden Business.

Eine Frau chattet mit einem verstorbenen Freund, tippt an der Computertastatur die Frage ein, wie es ihm geht. "Nicht gut", ist die Antwort. Wo er denn sei?, fragt sie. "In der Hölle", bekommt sie zur Antwort. Und: Es sei dort dunkel und einsam. Sie weiß, es ist nur ein Gespräch mit einer Künstlichen Intelligenz. Ein sogenannter Deadbot, ein virtueller Gesprächspartner, der den Toten simuliert. Und doch ist sie verstört, fühlt sich nach diesem beunruhigen Chat in der Pflicht, in Kontakt zu bleiben. Bei einem der nächsten Chats dann die erleichternde Antwort – es geht ihm besser. Sie hat Freudentränen in den Augen, will sich weiter um sein Wohlbefinden kümmern. Ja, ihr ist bewusst, dass das alles nicht real ist, doch längst ist sie angefixt von dieser Art des Trostes. Der Illusion, mit dem alten Freund verbunden zu sein.

Noch verstörender ist die in dem Film dokumentierte Geschichte einer Frau in Südkorea. Sie ist die Mutter einer mit sieben Jahren verstorbenen Tochter. Das Leid der Frau wird in einer Fernsehshow vor Millionenpublikum ausgebeutet. Ein Avatar ihrer verstorbenen Tochter ist gebaut worden, sieht aus und spricht wie das Kind. Und nun steht die Mutter da, im Fernsehstudio. Mit ihrer Virtual-Reality-Brille. Vor dem Bildschirm, auf dem der Avatar der Tochter über eine Wiese hüpft. Das Kind ruft nach der Mutter, fragt, "Mama, bin ich hübsch?" Die Mutter schluchzt: "Ich habe dich so vermisst." Sie streckt ihre Arme aus, will die Tochter berühren, greift ins Leere.

Schon erstaunlich weit entwickelt sind diese Spiele. Die Technik schreitet rasant voran mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Die Illusion kommt der Realität immer näher. Und mit zunehmender Perfektion werden auch die Geschäftsaussichten immer lukrativer, die diese Ersatzreligion mit dem neuen Glauben an die Unsterblichkeit schon jetzt bietet. Gefüttert mit Sprachproben, Fotos, Videos und allem Möglichen, was der Verstorbene im Internet hinterlassen hat, entsteht sein digitaler Zwilling. Eine Kopie, die sich dann auch weiterentwickeln lässt, indem das, was da gespeichert ist, kombiniert wird mit allem Weltwissen aus dem Internet. Unternehmen kombinieren nicht nur das neu, was der Verstorbene gesagt hat, sondern eben auch das, was er in Zukunft sagen würde. So kann etwa der Familienvater, der zu Lebzeiten immer Ratgeber der Sippschaft war, mit jedem nur erdenklichen Problem behelligt werden: Sag mal, unser Auto macht so seltsame Geräusche, was kann dahinter stecken? Die Stimme des Verstorbenen gibt entsprechenden Rat.

In dem Dokumentarfilm "Eternal You" kommt auch eine Familie vor, die sich im Haus des Verstorbenen versammelt. Per Tastatureingabe werden dem Toten Fragen gestellt, die Antworten kommen über Lautsprecher. Alle wissen, er ist nicht mehr da, und doch ist die Illusion so täuschend, dass der Verstorbene ganz nah erscheint.

Na und, mag man denken, ist doch schön. Und besser als wir es kennen. Bislang hängt nur das gerahmte Foto des Verstorbenen an der Wand. Stumm. Wir tauschen uns mit anderen Hinterbliebenen aus, erinnern uns, erzählen Anekdoten von früher. Da kann eine solch plastische Erinnerungskultur doch viel besser sein. Der oder die Verstorbene ist irgendwie mit dabei. Einfach eine neue Art, der Toten zu gedenken.

Und überhaupt: Die Menschen stehen doch auch sonst am Grab und sprechen in Gedanken zu dem Toten. Nur – da kommt keine Antwort. Wenn es diese Antworten nun aber doch auf einmal gibt, so hat das einen Suchtfaktor. Gerade in Momenten, in denen jemand wegen des Verlustes eines nahen Angehörigen besonders verletzlich ist, kommt da eine Technologie daher, die einen glauben lässt, er oder sie sei noch da. Doch die Sätze aus dem Jenseits, ob geschrieben oder gesprochen, sind und bleiben künstlich erzeugt. Sie sind Fake. Und sie können irreleiten, können verstören. Was, wenn der Verstorbene in seiner "Kommunikation" Verhaltensweisen an den Tag legt, die die Künstliche Intelligenz ihm zuschreibt, die aber so gar nicht zu ihm passen. Andererseits: Ist die Erwartung gerechtfertigt, dass da nur Freundlichkeiten aus dem Jenseits zu uns kommen?

Je länger der Hinterbliebene sich mit diesem digitalen Zwilling befasst, umso näher, vertrauter mag er werden. Es entsteht eine Abhängigkeit. Der Realität, dass der Verstorbene weg ist, und zwar endgültig weg, wird nicht ins Auge geschaut. Der Trauerprozess kann nicht abgeschlossen werden. Doch das "Ende der Endlichkeit", so der Untertitel des Films, gibt es nicht. Es wird den Menschen von Geschäftemachern eingeredet.

Welch ein Geschäftsmodell, bei dem es im Stil eines Cliffhangers heißt: Verlängere dein Abonnement, wenn du weiter in Kontakt mit dem Toten bleiben willst. Umgekehrt heißt das: Wenn ich nicht mehr in Kontakt bleiben will, so muss ich den Verstorbenen ein zweites Mal sterben lassen. Wer will ein solcher "Mörder" sein? Dann doch lieber weiterleben mit dem Dämon. Und das Abo weiter bezahlen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!