(hpd) – Grundrechte für Menschenaffen jetzt! Am Rande der Verleihung des Ethikpreises der Giordano Bruno-Stiftung an Paola Cavalieri und Peter Singer am 3. Juni 2011 in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt/Main wurde gbs-Beirat Colin Goldner vom Vorstand der Stiftung beauftragt, den Relaunch des von Cavalieri und Singer initiierten Great Ape Project zu koordinieren.
hpd: Herr Goldner, weshalb war es wichtig, einen Beauftragten für das Great Ape Project in Deutschland zu bestimmen?
Colin Goldner: Das Great Ape Project, initiiert 1993 von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer, beinhaltet die Forderung, die Großen Menschenaffen - Schimpansen, Gorillas, Orang Utans und Bonobos - aufgrund ihrer großen genetischen Ähnlichkeit mit dem Menschen und ihren ähnlich komplexen kognitiven, affektiven und sozialen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, die bislang dem Menschen vorbehalten sind: Das Grundrecht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, wodurch praktisch alle Fälle erfasst sind, die Menschenaffen in Bezug auf Menschen betreffen können: Jagd, Wildfang, Zirkus, Zoo, Tierversuche. Es solle den Großen Menschenaffen der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende - das heißt: auch einklagbare - Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Singer und Cavalieri, dazu eine Reihe hochrenommierter Wissenschaftler einschließlich Jane Goodall oder Richard Dawkins, wiesen überzeugend nach, dass die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Menschenaffen im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar und damit moralisch zu verwerfen ist.
Das Great Ape Project, hochambitioniert und engagiert auf den Weg gebracht, verlor allerdings nach ersten Erfolgen -1999 verbot Neuseeland per Gesetz sämtliche Experimente an Menschenaffen - relativ bald an Momentum und stagniert seit einigen Jahren ohne greifbares Ergebnis vor sich hin.
Was also tun, um neuen Schwung in das Great Ape Project zu bringen, das aus meiner Sicht das zentrale Projekt tierethisch motivierten Tuns darstellt: die Dekonstruktion der sakrosankten Grenzziehung zwischen Mensch und Tier. Ganz abgesehen davon, dass eine globale Festschreibung von Grundrechten für die Großen Affen vielleicht deren letzte Überlebenschance als Art darstellt, und selbstredend für jedes einzelne ihrer Individuen ganz reale Befreiung bedeutet.
Einem Neustart des Projektes dürften heute weitaus größere Chancen beschieden sein, als Anfang der 1990er: alleine schon deshalb, weil tierrechtliches Bewusstsein weltweit sehr viel weiter fortgeschritten ist, als noch vor 20 Jahren; und zum anderen, weil über das Internet ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung und damit der Ausübung politischen Drucks bestehen. Nur: der Neustart muss von jemandem verantwortlich in die Hand genommen werden. Als langjährigem Tierrechtsaktivisten ist es mir eine Herzensangelegenheit, diese Aufgabe zu übernehmen, wobei ich mir keine Illusionen über baldig sichtbare Erfolge mache. Aber ich will nichts unversucht lassen, zumal der Relaunch des Great Ape Project nach Kräften von der Giordano Bruno-Stiftung wie auch von Paola Cavalieri und Peter Singer selbst unterstützt wird.
hpd: Wie steht es in Deutschland - im deutschsprachigen Raum - um die Menschenaffen? Unter welchen Bedingungen leben sie?
Goldner: In 30 der mehr als 800 Zoos und Tierparks in Deutschland werden gegenwärtig etwa 250 Große Menschenaffen zur Schau gestellt. Während sich einige der wissenschaftlich geführten Zoos – München, Frankfurt, Leipzig vorneweg – um Haltungsbedingungen bemühen, die wenigstens dem bundesministeriellen Säugetiergutachten von 1996 entsprechen, das Mindestanforderungen an die Haltung von Wildtieren in Zoo formuliert, erfüllt die Primatenhaltung in anderen Zoos, in Stralsund etwa oder im niederbayerischen Straubing, noch nicht einmal diese grundlegenden Standards. Selbst die Minimalanforderungen des Tierschutzgesetzes werden mancherorts unterschritten.
Alfons Selbst Primatenhaltung zu zirkusähnlichen Showzwecken ist in Deutschland immer noch anzutreffen: Im Schwabenpark Welzheim bei Stuttgart etwa, einem Freizeitpark mit Achterbahnen und sonstigen Fahr- und Amusementbetrieben, werden in täglichen Vorführungen dressierte Schimpansen in Indianerkostümen oder verkleidet mit Nachthemd und Tirolerhut zu artwidrigstem Verhalten genötigt. Die Haltung von Menschenaffen in reisenden Unternehmen ist nach den Zirkusleitlinien von 2003 nicht mehr zulässig. Seit Mai 2010 sind in den Staaten der EU medizinische Versuche an Menschenaffen nur noch ausnahmshalber erlaubt, in deutschen Labors werden insofern, offiziell zumindest, keine Primaten mehr gehalten.
Eine der ersten Maßnahmen, die ich als Koordinator des GAP in Angriff nehmen werde, ist eine Bestandsaufnahme der aktuellen Haltungsbedingungen von Primaten in Deutschland und im europäischen Ausland. Ich werde reihum sämtliche Zoos und sonstigen Einrichtungen besuchen, in denen Schimpansen, Gorillas, Orang Utans oder Bonobos gehalten werden und die jeweiligen Haltungsbedingungen dokumentieren. Aus den gesammelten Beobachtungen soll eine Dringlichkeitsliste für zu ergreifende Sofortmaßnahmen erstellt werden.
Schimpanse. Foto: Jutta Hof hpd: Können Sie erklären, weshalb der Widerstand so groß ist gegen die Forderung "Grundrechte für Menschenaffen"?
Goldner: Eben weil es nicht nur um eine sittliche Selbstverpflichtung des Menschen geht, mit Tieren anständiger umzugehen, als es üblicherweise getan wird, wie dies die Idee des traditionellen Tierschutzes ist, der sich karitativ-wohlwollend dem Tiere zu- oder zum Tier hinabneigt, sondern um das Infragestellen der bislang sakrosankten Trennlinie – hier Mensch, da Tier –, das mit Allgewalt verhindert werden muss, will der Mensch „Krone der Schöpfung“ bleiben.
Unmissverständlich erklärt der aktuell gültige Weltkatechismus der Katholischen Kirche, federführend herausgegeben im Jahre 1993 durch den seinerzeitigen Kurienkardinal Ratzinger: “Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bilde geschaffen hat”. Somit dürfe der Mensch sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidung bedienen, er dürfe sie abrichten, um sie sich dienstbar zu machen; medizinische und wissenschaftliche Tierversuche seien „sittlich zulässig”, sei doch das „Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier grundsätzlich unaufhebbar.”
Ungeachtet der Aufnahme von Tierschutz in das deutsche Grundgesetz im Jahre 2002 gilt der Ge- und Verbrauch von Tieren nach wie vor als völlig „normal”: Die meisten Menschen betrachten Tiere ausschließlich als Mittel zum Zweck. Es gilt als unhintergehbare Selbstverständlichkeit, dass Tiere für menschliche Nahrung und Kleidung ausgebeutet, gequält und getötet, für die Erforschung und Testung von Medikamenten oder Kosmetika genutzt, von Jägern erschlagen oder erschossen, in Zoos ausgestellt und in Zirkussen vorgeführt werden dürfen, dass sie zu Sport und Freizeitvergnügen jeder Art herhalten müssen. Grundrechte für Menschenaffen würde diese „gottgewollte Ordnung“ komplett aus den Angeln heben.
hpd: Ist es vorstellbar, auch anderen Tierarten/Lebewesen diese Grundrechte zuzugestehen? Wenn ja: welchen?
Goldner: Menschenaffen stellen den Dreh- und Angelpunkt dar des Verhältnisses Mensch-Natur, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: Sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze zu den Affen hin durchlässig, könnte das ein „Türöffner“ sein, der letztlich allen Tieren zugute käme. Im besten Fall könnte es zu einem Paradigmenwechsel führen, zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier.
hpd: Worin sehen Sie die nahen und fernen Ziele des GAP?
Goldner: Das GAP könnte als Klammer dienen, die gegenwärtig in eine Unzahl kleiner und zudem heillos untereinander zerstrittener Organisationen, Gruppen und Grüppchen der Tierrechts- und Tierbefreiungsszene auf den gemeinsamen Nenner des Antispeziesismus zu vereinen: Der Forderung nach Zuerkennung einklagbarer Grundrechte an nicht-menschliche Lebewesen; pragmatischerweise in einem ersten Schritt an die Großen Menschenaffen, bei denen es sehr viel offensichtlicher ist als bei anderen nicht-menschlichen Tieren, dass sie über personales Bewusstsein verfügen, was ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der Gleichen, der bislang nur Angehörige der Spezies Homo sapiens zugehören, zur ethisch verpflichtenden Notwendigkeit macht, will man die Idee von Recht und Gerechtigkeit aufrecht erhalten.
Naturwissenschaftlich ist es völlig unhaltbar, überhaupt zwischen Mensch und Menschenaffe zu unterscheiden: die Erbgutunterschiede etwa zwischen Mensch und Schimpanse bewegen sich je nach Messmethode im minimalen Prozent- oder gar nur im Promillebereich.
Grundrechte für Menschenaffen lassen sich, wie das Beispiel Neuseeland gezeigt hat, tatsächlich erkämpfen. Voraussetzung ist ein Bündeln der Kräfte, um entsprechenden politischen Druck entfalten zu können.
Orang-Utan. Foto: Jutta Hof
hpd: Welche Aktivitäten stehen in nächster Zeit an?
Goldner: Neben der bereits angeführten Bestandaufnahme zu den Haltungsbedingungen für Große Menschenaffen in deutschen und europäischen Zoos ist geplant, eine eigene Webseite einzurichten, auf der über das GAP informiert und über die ein Netzwerk an Mitstreiterinnen und Mitstreitern geknüpft werden kann. Es soll insofern auch Kontakt zu Personen und Organisationen aufgenommen werden, die bereits mit verwandten Zielen oder Projekten befasst sind: die Stichting AAP in Holland etwa, oder Monkey World im südenglischen Dorset; selbstredend auch mit dem in der Lüneburger Heide ansässigen Affenschutzzentrum Affen in Not. Darüberhinaus sind verschiedenste Aktionen und Publikationen geplant, über die ein möglichst breites öffentliches Interesse an den Zielen des GAP hergestellt werden soll; dazu gezielte Lobbyarbeit auf politischer Ebene. Nicht zuletzt soll an bereits bestehenden Plänen mitgewirkt werden, ein eigenes Schutzzentrum für Menschenaffen in Deutschland zu etablieren.
hpd: In welcher Weise engagiert sich die Giordano Bruno-Stiftung für das GAP?
Goldner: Die gbs hat alleine mit der Zuerkennung des Ethikpreises an Paola Cavalieri und Peter Singer – ausdrücklich für ihr tierrechtliches Engagement, sprich: die Initiierung des Great Ape Project – den hohen Stellenwert bekundet, den sie Tierrechten als integralem Bestandteil des von ihr vertretenen evolutionären Humanismus zumisst. Die gbs verfügt aufgrund ihrer breitgefächerten personellen Aufstellung über große Wirkmacht in viele gesellschaftliche Bereiche hinein. Viele der Beiräte und Fördermitglieder haben bereits ihre Bereitschaft zu aktiver Mithilfe beim Relaunch des GAP bekundet; mit gbs-Beirat Volker Sommer, einem der weltweit führenden Primatologen, steht dem Projekt zudem ein ausgewiesener Fachmann zur Seite. Ich bin guter Hoffnung, dass wir langfristig etwas für unsere haarigen Verwandten in Bewegung setzen können. Es ist höchste Zeit, dass wir handeln.
Vielen Dank für das Interview!
Mit Colin Goldner sprach Fiona Lorenz