(hpd) Es ist in Mode, sich mit den Lorbeeren der Aufklärung zu schmücken. Die Phrase, wir lebten in einer aufgeklärten Gesellschaft, liegt vielen Menschen – besonders oft Politikern – sehr frei auf der Zunge. Es ist sogar schon soweit gekommen, dass die Kirchen meinen, „aufklärerische Werte“ zu vertreten. In „Böse Philosophen“ rückt Philipp Blom diesen Faulen Schlich ins rechte Licht.
Würde man sich nur oberflächlich mit der Geschichte der Aufklärung und deren Protagonisten beschäftigen, könnte man sehr schnell feststellen, dass viele dieser Aufklärer entweder Deisten waren (also an einen persönlichen Gott glaubten) oder sich – so gut es die Zeit erlaubte – gegen den Gottesglauben wandten. Freunde der Kirche – und vor allem der katholischen Kirche! – waren sie allesamt nicht.
Schaut man heute in Paris in das Panthéon, der offiziellen Ruhmeshalle französischer Nationalhelden, stößt man auf die Gräber der Aufklärer Voltaire und Jean-Jacques Rousseau. Beide werden von vielen als Speerspitze der Aufklärung angesehen. „Voltaire war zweifellos die einflussreichste und bekannteste Persönlichkeit der Aufklärung, aber seine philosophischen Gedanken bestehen aus nicht viel mehr als gesundem Menschenverstand, mit viel Witz auf Hochglanz poliert.“ Rousseau war, wenn auch „der weitaus wichtigere und originellere Denker“, eine sehr schwierige Persönlichkeit: Ein „selbstbesessener und sich selbst zerfleischender Geist und ein zwanghafter Lügner, … [was] alles andere als eine gute Ausgangssituation fürs Philosophieren“ ist. (S. 17 f.)
Das Herz der Aufklärung pochte in der Rue Royale Saint-Roch (heute Rue des Moulins) im Salon des Baron Paul Thiry d'Holbach. Hier versammelten sich wöchentlich die wahren progressiven Geister der Aufklärung zum dîner und zur Diskussion und entwickelten hierbei ein materialistisches und moralphilosophisches – aber vor allem: atheistisches! – Gegenmodell zur kirchlich geprägten Gesellschaft und, als wäre dies nicht schon genug, auch Ideen, die als Vorläufer der Evolutionstheorie und der Vererbung mithilfe von Genen zu betrachten sind.
Doch gerade weil es sich bei den philosophes um überzeugte Atheisten handelte, zog man es vor, die Deisten Voltaire und Rousseau als offizielle Helden der Aufklärung in die Geschichte eingehen zu lassen, ein Vorgang, welcher sich schon während der Französischen Revolution vollzog.
Entwicklung von Persönlichkeit und Philosophie
Diese Lücke möchte Philipp Blom mit seinem Buch „Böse Philosophen“ schließen. Blom studierte Geschichte, Philosophie und Judaistik in Wien und Oxford und promovierte in Geschichte. Heute lebt er als Journalist und Historiker in Wien.
Blom ist mit seinem Buch weit mehr gelungen als ein bloßer Lückenfüller: Es handelt sich nicht nur um eine sehr ausführliche und fundierte Beschreibung der Philosophie, welche dem Holbach'schen Salon entsprang, er schafft es gleichzeitig auch, dem Leser ein eindrucksvolles Bild der Akteure sowie der damaligen Zeit zu vermitteln.
Ausführlich, aber nicht langwierig wird der Werdegang eines jeden Protagonisten beschrieben, besonderes Augenmerk legt der Autor hierbei auf Denis Diderot, dicht gefolgt von dem Pfälzer Winzersohn Baron d'Holbach. Sein chronologisches Vorgehen lässt vor allem die Entwicklung der Persönlichkeiten und ihrer Philosophie in den Vordergrund treten, was besonders interessant und spannend zu lesen ist.
Man könnte Blom vorwerfen, er würde für die Besucher aus Holbachs Salon Partei ergreifen und die Geschehnisse einseitig darstellen. Dieser Verdacht drängt sich vor allem auf, wenn Rousseaus Verhalten betrachtet wird, der sich vom Freund zum dezidierten Gegner des Salons entwickelt, was von Blom als Paranoia beschrieben wird. Doch dem Autor Parteilichkeit vorzuwerfen, wäre nicht korrekt, denn seine Einschätzung von Rousseaus Geisteszustand lässt den Autor nicht per se die philosophischen Werke, die in Rousseaus paranoider Phase entstanden, als schlecht bewerten: Die Diagnose „Paranoia“ wird aufgrund Rousseaus privater Schriften, seines Verhaltens und der Korrespondenz der Zeitgenossen gestellt. Rousseaus philosophischen und politischen Werke erfahren diejenige Kritik, welche sie auch in der modernen geschichtswissenschaftlichen Forschung erfahren.
Gegen den Vorwurf der Parteilichkeit lässt sich zudem sagen, dass es sich nicht um eine allgemeine Darstellung der Situation in Paris handelt, sondern dass Blom bewusst den Fokus auf den Salon von Baron d'Holbach gerichtet hat. Die „Parteilichkeit“ in dieser Art der Darstellung ist unumgänglich, jedoch keine wirkliche. Im Gegenteil: Der Autor zeichnet sich durch eine sehr gute Kenntnis nicht nur der Schriften dieser philosophes aus, sondern auch durch die ihrer Gegner. Er argumentiert stringent und untermauert seine Aussagen konsequent mit Textbelegen. – Doch vielleicht ist es gerade die stringente und mit Belegen unterfütterte Argumentation, mit welcher Leser aus dem kirchlichen Kontext so ihre Probleme haben könnten (siehe Verweis auf Gastkommentar oben).
Radikale Aufklärer
Kurzum: Es handelt sich um ein äußerst lesenswertes Buch, das nicht nur aufgrund seiner Sprache, sondern auch sowohl wegen seiner historischen als auch seiner philosophischen Tiefe, mit welcher auf die Werke der radikalen Aufklärung eingegangen wird, empfehlenswert ist. Hat man nach dem Lesen das Gefühl, als hätte man auch an Baron d'Holbachs Tisch Platz genommen und den Diskussionen der anwesenden Philosophen gelauscht, so bieten die ausführlichen Literaturempfehlungen am Ende des Buches einen Überblick über vorhandene Literatur von und über die Salonbesucher, um den geweckten Heißhunger nach tieferen Einblick in deren Gedanken und Diskussionen zu stillen.
Es gilt, den hergebrachten Kanon an Aufklärungsliteratur derart zu revidieren, dass die Werke der radikalen Aufklärung wieder ihren Platz neben allen anderen Schriften dieser Zeit einnehmen. – Bloms Buch ist ein perfekter Anfang hierzu.
Max Lässig
Philipp Blom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München, Wien: Hanser 2011, 24,90 €.