Eine Studie zum politischen System

Autokratie in Ungarn

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Budapest, Hauptstadt von Ungarn, rechts das Parlamentsgebäude
Budapest

Für viele rechtsextremistische und rechtspopulistische Akteure ist die "illiberale Demokratie" in Ungarn ein politisches und strategisches Vorbild. Wie es zu den dortigen Entwicklungen in diese Richtung kam, veranschaulicht ein interessantes Lehrbuch mit "Das politische System Ungarns" als schlichtem Titel.

Kann auch eine Autokratie aus einer Demokratie hervorgehen? Diese Frage ist schon lange nicht mehr nur von historischem oder theoretischem Interesse. Liberale Demokratien sind bedrohlichen Herausforderungen ausgesetzt, wofür es unterschiedliche Gründe und Ursachen gibt. Dazu zählt auch der Aufstieg von rechtsextremistischen oder rechtspopulistischen Kräften, welche zunehmend Anhänger und Wähler gewinnen können. Dabei orientieren sie sich meist nicht an Hitler oder Mussolini, sondern eher an Orbán oder Trump. Insbesondere in der "illiberalen Demokratie" in Ungarn wird häufig ein Vorbild gesehen. Die Bezeichnung irritiert, was eine kurze Erklärung nötig macht. Gemeint sind damit Autokratien, die liberale Grundrechte einschränken, sich aber gleichwohl auf einen Mehrheitswillen stützen können. Und als gegenwärtiges Modell dafür gilt Ungarn. Dies macht ein weitgefasstes Interesse für das dortige politische System nötig. Essayistische Betrachtungen existieren dazu schon, nicht aber eine politikwissenschaftliche Überblicksdarstellung.

Cover

Genau eine solche Arbeit legen die drei Politikwissenschaftler Melani Barlai, Florian Harleb und Dániel Mikecz mit "Das politische System Ungarns" als schlichtem Titel vor. Sie erschien in einer entsprechenden Reihe eines Wissenschaftsverlags, was diese allgemeine Formulierung eben ohne genauere Problemstellung erklärt. Eine konkretisierende Fragestellung wird aber bereits auf dem Klappentext formuliert: "Ist Ungarn eine Autokratie?" Dabei geht es um eine Analyse der dortigen politischen Entwicklung, die im Lichte einschlägiger Untersuchungsmerkmale erfolgt. Gleichzeitig hat man es mit einer historischen Darstellung von Entwicklungen in unterschiedlichen Kontexten zu tun, zwar eigentlich bis ins 19. Jahrhundert zurückreichend, aber mit einem auf die letzten drei Jahrzehnte bezogenen Schwerpunkt. Die Aufgabe der Autoren war, entsprechend der Reihentitelung, eben eine Systembeschreibung. Sie verkoppeln dies mit der erwähnten Fragestellung, wodurch man es mit einer Fallstudie zur genannten Problematik zu tun hat.

Es geht dabei in den jeweiligen Kapiteln um folgende Schwerpunkte: den Gesetzgebungsprozess, das Mediensystem, die Minderheiten, die Partizipationsmöglichkeiten, den Parlamentarismus, das Parteiensystem, das Wahlsystem und die Zivilgesellschaft. Alle Kapitel sind kleinteilig gegliedert, wodurch auch ein Nachschlagewerk vorliegt. Gleichzeitig haben die Autoren viele Detailfaktoren überaus komprimiert verarbeitet, was angesichts der Komplexität den Lesefluss etwas bremst. Man hat es aber eben mit einer politikwissenschaftlichen Arbeit und nicht mit einer journalistischen Beschreibung zu tun. Gleichwohl geht dadurch die auf die erwähnte Fragestellung hin ausgerichtete Konzentration etwas verloren, was sich möglicherweise mit dem zwischen Autorenwunsch und Reihenkonzept aufkommenden Schwanken erklärt. Am Ende wird ein klares Ergebnis mit differenzierter Begründung präsentiert: Acht von neun Merkmalen eines autokratischen Systems erfüllt das gegenwärtige Ungarn.

Während der vorherigen Darstellung wird immer wieder auf die entsprechenden Faktoren verwiesen. Bereits in der Einleitung heißt es zugespitzt: "Seit 2010 dreht die Regierung an allen Stellschrauben des politischen Systems, um eine liberale Demokratie zu transformieren und nationale Identität zur Staatsgrundlage zu machen" (S. 20). Oppositionelle werden meist nicht willkürlich verhaftet, Proteste können nach wie vor öffentlich durchgeführt werden. Gleichwohl lässt sich ein kontinuierliches Abschleifen liberaler Grundrechte ausmachen, was anhand von vielen Bereichen in der Darstellung veranschaulicht wird. Die dabei genutzten Manipulationstechniken zeigen schon die Veränderungen am Wahlsystem. Auch die Ausführungen zur Medienentwicklung vermitteln derartige Zusammenhänge. Insofern ist diese Fallstudie ein indirekter Warnruf. Ähnliches kann in anderen Demokratien passieren, hier hat man es mit einem negativen Vorbild zu tun. Hoffentlich weisen die Autoren noch in eingängigerer Form auf solche Gefahren hin.

Melani Barlai/Florian Hartleb/Dániel Mikez, Das politische System Ungarns, Baden-Baden 2023, Nomos-Verlag, 236 Seiten, 24 Euro

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