Anlässlich der aktuellen Entwicklung im Nahost-Konflikt gibt es eine neue Monographie von Moshe Zimmermann: "Niemals Frieden? Israel am Scheideweg". Der israelische Historiker problematisiert darin insbesondere die Rolle der Siedlerbewegung, aber auch noch andere konfliktverschärfende Wirkmächte. Den außerisraelischen Akteuren hätte dabei aber noch eine größere Relevanz zukommen können.
Es ist ein Gebot der Geschichtswissenschaft, historische Ereignisse im Kontext zu sehen. Mitunter kann die Betonung dieser Einsicht aber auch etwas mit bedenklicher Relativierung zu tun haben. Auszumachen war ein derartiges Ansinnen bei manchen Kommentierungen zum Massaker vom 7. Oktober 2023. Die von der Hamas durchgeführten grausamen Morde sollten in einem historischen Zusammenhang stehen, eben als Folge der israelischen Politik im Sinne einer Unterdrückung. Derartige Absichten sind dem auch in Deutschland bekannten israelischen Historiker Moshe Zimmermann nicht eigen, wenn er sich einmal mehr in seinem neuen Buch "Niemals Frieden? Israel am Scheideweg" zum Nahost-Konflikt äußert. Es enthält seine politischen Betrachtungen anlässlich der erneuten Eskalation, einhergehend mit interessanten Kommentierungen zur gegenwärtigen Situation. Kurze Abschnitte zu unterschiedlichen inhaltlichen Gesichtspunkten reihen sich aneinander, mit einem "konstruktiven Pessimismus" (S. 186) nach wie vor zugunsten der "Zwei-Staaten-Lösung".
Dabei hält der Autor sich nicht mit Kritik an der Netanjahu-Regierung und deren politischen Zusammenhängen zurück, sieht er doch gerade in diesen Kräften eine destruktive und konfliktverschärfende Wirkmächtigkeit. Dabei nutzt er Bezeichnungen wie "nationalistisch", "rechtsradikal", "religiös-fundamentalistisch", spricht auch von "illegalen Akten gegenüber den Palästinensern" und "einer radikalen Siedlungspolitik" (S. 35). Der Autor wäre aber kein Historiker, wenn er nicht auch tief in die Geschichte zur Veranschaulichung zurückgehen würde. Auch die Entwicklung des Zionismus wird im Zusammenhang kommentiert. Darüber hinaus kritisiert Zimmermann insbesondere die Siedlerbewegung. Hier nutzt er auch eine aktuell etwas missverständlich wirkende Metapher, heißt es doch die israelische Gesellschaft sei "Geisel der Ganz-Israel-Ideologie oder konkreter der Siedlerbewegung, die den Weg zur Zweistaatenlösung versperrt" (S. 40). Berechtigt wird gleichwohl auf eine Dilemmasituation für Israel und dessen Politik verwiesen.
Die gesunkene Bereitschaft zur Konfliktlösung ging demnach auch mit vorherigen Veränderungen einher. Als konkreten Ausdruck davon wird das "Nationalstaatsgesetz" genannt, woraus Zimmermann einschlägige Zitate bringt (vgl. S. 109-111). Die dort enthaltenen Ankündigungen veranschaulichten schon früh eine politische Verschiebung, eben nicht nur bezogen auf die gegenüber den Palästinensern bevorzugte Politik. Es ging bei den gemeinten Änderungen primär um das politische Selbstverständnis des Staates. Das einschlägige Kapitel ist denn auch mit "Jüdischer Staat oder Staat aller Bürger" überschrieben. Bilanzierend betrachtet hält der Autor weiter an der "Zweistaatenlösung" fest, sie scheint ihm für den Nahen Osten die einzige konfliktminimierende Perspektive zu sein. Durch seine Ausführungen zieht sich aber ein Pessimismus, der sich bei ihm in der Grundtendenz noch verstärkt habe, wie Zimmermann offen einräumt. Daher auch die erwähnte Formulierung vom "konstruktiven Pessimismus".
Somit liegt ein Buch ohne wirkliche positive Perspektive vor. Gleichwohl spricht diese Aussage nicht gegen die dortigen Inhalte, wird doch berechtigt auf Entwicklungen mit konfliktverschärfenden Wirkungen aufmerksam gemacht. Kurioserweise enthalten die Ausführungen aber eine inhaltliche Leerstelle, gemeint ist die außerisraelische und palästinensische Seite. Zwar ist das Buch mit "Israel am Scheideweg" untertitelt, aber auch der andere Konfliktakteur gehört zum Kontext. Zwar werden die Grausamkeiten der Hamas nicht nur am 7. Oktober 2023 nicht verschwiegen. Gleichwohl sind die damit einhergehenden Bedingungsfaktoren für den Nahost-Konflikt quantitativ nur ein Randthema bei Zimmermann. Nur so würde aber die ganze Dimension des Problems und seines Spannungsverhältnisses deutlich. Besondere Aufmerksamkeit bei der Lektüre verdienen demgegenüber noch andere Themen: Die Argumente gegen die "post-koloniale" Deutung des Konflikts wie die spöttischen Kommentare zu den hohlen Slogans des deutschen Staatsräson-Verständnisses gehören unbedingt dazu.
Moshe Zimmermann, Niemals Frieden? Israel am Scheideweg, Berlin 2024, Propyläen-Verlag, 188 Seiten, 16 Euro, ISBN: 9783549100837