Der Historiker Wolfgang Kraushaar legt mit "Israel: Hamas, Gaza, Palästina" einen Kommentarband vor, der unterschiedliche Aspekte des Nahost-Konflikts kommentiert. Auch wenn es gelegentliche Schiefen gibt, so hat man es doch mit einem interessanten, reflektierenden Werk zu tun. Konfliktlösungen erwartet er nur von säkularen Kräften.
Dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 folgten diverse Wirrnisse, nicht nur bezogen auf die kriegerischen Folgen im Gaza-Streifen, sondern auch die öffentlichen Kontroversen in vielen Ländern. Einen ausführlichen Kommentar dazu legt jetzt Wolfgang Kraushaar vor. Er ist als differenzierter Historiker des Linksterrorismus und der Protestbewegungen bekannt geworden. Insofern überrascht auf den ersten Blick sein neues Buch, überschrieben mit: "Israel: Hamas, Gaza, Palästina. Über einen scheinbar unlösbaren Konflikt".
Gleich am Anfang der Besprechung sei darauf hingewiesen, dass es in Inhalt und Struktur etwas unsortiert wirkt. Deutlich zeigt sich dies bereits an einer fehlenden Einleitung, wo üblicherweise die Erkenntnisinteressen ausformuliert und begründet werden. Gleichwohl bedeutet diese Feststellung umgekehrt nicht, dass man hier ein bloßes Wirrwarr vorfindet. Die späteren Kapitel bilden gar ein kleines Nachschlagewerk zum Thema. Aber dazu dann doch zunächst der Blick auf die Kapitel in der entsprechenden Reihenfolge:
Die ersten fünf sind nur kurz gehalten und umfassen unter zehn Seiten: "Der 7. Oktober. Was war geschehen?", "Warum konnte es geschehen?", "Wie wurde darauf reagiert?", "Was heißt Solidarität mit Israel?" und "Eine persönliche Zwischenbemerkung". Bei der Beschreibung des Massakers geht es nicht um detaillierte Schilderungen, gleichwohl wird die Dimension der Ereignisse deutlich vermittelt. Recht früh heißt es dazu aber auch: "Solidarität mit Israel, ja, durchaus. Allerdings ohne irgendeine Form der moralischen Erpressung" oder "Die Stigmatisierung der Frage nach dem Kontext muss ein Ende haben." (S. 22). Doch diese Aussagen dienen nicht zu einer Relativierung, dem Autor geht es mehr um eine Differenzierung. Gleichwohl gibt es in der Darstellung mitunter auch Schiefen. Aber zunächst weiter zu der Beschreibung der folgenden Kapitel, die länger und in verschiedene Unterkapitel gegliedert sind; sie lauten: "Die Topoi", "Die Gleichsetzungen", "Parolen und Narrative" und "Die Meta-Diskurse", jeweils wie einzelne Artikel zu den Diskursen gegliedert.
Als Beispiel für die gemeinten Schiefen sei folgendes thematisiert. Der Autor bemerkt zur Gründungsgeschichte Israels: Ägypten und andere Länder hätten sich hier in den "Palästinakrieg" eingeschaltet (vgl. S. 37). Es ging dabei aber um einen Angriffskrieg, um Israel einer Vernichtung auszusetzen. In dessen Folge kam es zur "Nakba", der gegenüber den Palästinensern erfolgenden Vertreibung. Kraushaar spricht später auch von der "umgekehrten Vertreibung" (S. 98), also der Juden aus den arabischen Ländern. Dies geschieht aber nur in einer kurzen Beschreibung, und ganz am Ende, bei den zusammenfassenden Positionen, ist dies dann kein Thema mehr (vgl. S. 211). Trotz derartiger detaillierter Einwände rückt der Verfasser viele kursierende Stereotype gerade, etwa wenn es um "Apartheid"- und "Genozid"-Gleichsetzungen geht oder der Hintergrund von "From the River to the Sea – Palestine will be free" oder "Free Palestine from German Guilt" als Slogans problematisiert wird. Gerade diese Erörterungen verdienen großes Interesse und ebensolche Reflexionen.
Auch wenn man nicht allen Einschätzungen zustimmen mag, so werden dort doch die jeweiligen Gründe erläutert. Kritik richtet Kraushaar dabei an alle Seiten. Immer wieder verweist er auch auf die bedenklichen Auffassungen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, aber auch auf die seiner Koalitionspartner und deren Umfeld. Dass bei der Hamas nicht von einer "Befreiungsbewegung" gesprochen werden kann, wird klar vermittelt. Es hätte aber ebenso deutlich gegenüber der Fatah und der PLO veranschaulicht werden können. Aufschlussreich sind die zum Antisemitismus von links vorgetragenen Einordnungen. Der Autor kritisiert auch die diffuse Aussage von der "Staatsräson", welche Deutschland mit Israels Sicherheit verbinde. Eine Ideallösung präsentiert er verständlicherweise nicht. Abschließend heißt es noch als wichtige Botschaft: "Eine politische Lösung des Konflikts ist nur durch säkulare Kräfte denkbar. Religiöse Kräfte unterminieren jeden Ausgleich … Die politische Absolutheitsvorstellung religiöser Überzeugung ist mit demokratischen Prinzipien nicht kompatibel" (S. 214).
Wolfgang Kraushaar, Israel: Hamas, Gaza, Palästina. Über einen scheinbar unlösbaren Konflikt, Hamburg 2024, Europäische Verlagsanstalt, 218 Seiten, 18 Euro