Verleumdung als Methode

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Screenshot aus "jungle world"

(hpd) In den letzten Wochen war mehrfach zu lesen, dass in der säkularen Szene Antihumanismus grassiere, Herrenmenschentum und Antisemitismus an der Tagesordnung seien. Urheber der Texte ist der Journalist Peter Bierl. Seine Arbeitsweise kann als Musterbeispiel für unseriöse Argumentation und bewusste Verleumdung gelten; sie trägt einen Diskurs in die Linke, der ansonsten unter Verschwörungstheoretikern und in rechten Portalen wie Politically Incorrect vorherrscht.

Mit der säkularen Szene hat sich Peter Bierl in den vergangenen Jahren immer mal wieder auseinandergesetzt, zunächst war es vor allem Michael Schmidt-Salomon, der ihm als zentrales Feindbild diente. Schon in den 1990er Jahren hatte er dem damaligen MIZ-Chefredakteur und heutigen Sprecher der Giordano Bruno Stiftung vorgeworfen, durch die „Verteidigung“ Peter Singer die Vorstellungen dieses „Euthanasie-Anhängers“ in die säkulare Szene zu tragen. Seit dem „Ferkelbuchstreit“ ist Bierl endgültig von der fixen Idee gefangen, in der säkularen Szene herrsche rechtes Gedankengut aller Art vor. Um diese These zu beweisen, lässt er seiner selektiven Wahrnehmung freien Lauf, montiert Zitatfetzen aneinander und biegt sie, wenn sie partout nicht zu seinen Behauptungen passen wollen, zurecht, stellt Beziehungen zwischen Personen her, die nie etwas miteinander zu tun hatten, und blendet Tatsachen, die seiner Einschätzung widersprechen könnten, systematisch aus. Insgesamt kann seine Methode als Muster eines gegenaufklärerischen Diskurses beschrieben werden. Sie zielt nicht auf Erkenntnisgewinn, sondern – wie ich meine: ausschließlich – auf Diffamierung.

Starke Worte, wenig Analyse

So wird der Evolutionsbiologe Franz Wuketits, Autor des Vorwortes zur jüngst erschienenen Neuauflage von Peter Kropotkins „Gegenseitiger Hilfe“, in einem Beitrag in Jungle World vom 1.6.2011 mit Nazis in Verbindung gebracht, indem Bierl schreibt: „Wuketits ist auch Vorstand des österreichischen Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung, dessen Beirat der Lorenz-Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt angehört, der das, was Nazis als ‘Ausländerstopp’ bezeichnen, mit Begriffen wie ‘Territorialtrieb’ und ‘Dominanztrieb’ legitimiert.“ Bierl spricht nicht aus, dass Wuketits denkt wie Eibl-Eibesfeldt, aber sein Satz stellt die Vorstellung in den Raum – nach meinem Eindruck absichtlich und mit dem Ziel, den Angegriffenen auf unsachliche Weise herabzusetzen.

Wer sich von solcher Art „Argumentation“ nicht angesprochen fühlt, wird Bierls Texte über die säkulare Szene generell mit wenig Gewinn lesen. Denn eine Auseinandersetzung mit Positionen, in dem Sinne, dass er diese beschreibt und dann widerlegt bzw. deren problematische Aspekte herausarbeitet, findet sich bei ihm selten. Sein Schreibstil ist geprägt von Assoziationen. Dabei werden Personen in Beziehung zueinander gesetzt, die bei genauer Betrachtung inhaltlich wenig oder nichts miteinander gemein haben, sich teilweise nie begegnet sind. Generell argumentiert Bierl häufig ad personam, so dass wir zwar nicht wissen, welche Auffassungen die kritisierte Person vertritt, dafür aber erfahren, mit wem sie „Kontakt“ hatte.

An der Passage zu Franz Wuketits lässt sich ein weiteres rhetorisches Element erkennen, mit dem Bierl regelmäßig arbeitet: die Etikettierung der Kritisierten stark negativ besetztem Vokabular. Die Verwendung des Begriffs „Nazis“, argumentativ nicht notwendig, dient allein dazu, auch Wuketits in diesen Dunstkreis zu schieben. Und so verwundert es nicht, dass in den weiteren Artikeln, in denen sich Bierl zu Giordano Bruno Stiftung (gbs), Internationalem Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und anderen äußert, ebenfalls stärkste Geschütze aufgefahren werden: von Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit, Rassenhygiene und „Plädoyers für den Mord an alten, kranken und behinderten Menschen“ (Jungle World vom 12.6.2008) ist die Rede.

Dieses auf Diffamierung abzielende Vorgehen setzt Bierl auch dann ein, wenn es leicht wäre, sachlich begründete Kritik zu üben. So schreibt er in den von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichten „Standpunkten“ 21/2011, Peter Singers Thesen erinnerten „an den Juristen Karl Binding und den Psychiater Alfred Hoche. In dem berüchtigten Werk ‘Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens’ (1920) plädierte das Duo für die Tötung von Geisteskranken, von ‘leeren Menschenhülsen’, die als ‘Ballastexistenzen’ bloß Kosten verursachten.“ Richtig ist, dass Singer in der Originalausgabe seines Buches „Praktische Ethik“die Möglichkeit, Kinder mit stärksten Behinderungen bis zum 28. Lebenstag unter bestimmten Bedingungen zu töten, befürwortet. Und der Begriff der „Person“, welcher allein ein Lebensrecht zugebilligt wird, bringt ebenso philosophische Probleme mit sich wie die Idee eines nicht (mehr) lebenswerten Lebens. Aber: Für die „Tötung von Geisteskranken“ plädiert Peter Singer nicht. Das heißt nicht, dass es völlig undenkbar ist, dass der utilitaristische Ansatz, mit dem Peter Singer solche Grenzfragen erörtert, tödliche Folgen nach sich ziehen kann. Nur hätte ein ernstzunehmender Diskussionsbeitrag zu erklären, wie und unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dies geschehen könnte. (Einen solchen Versuch unternimmt zum Beispiel Christoph Kopke ansatzweise in seinem Beitrag „NS-Euthanasie und Bioethik – kein Zusammenhang?“, der in MIZ 1/98 erschien.) Hinzu kommt, dass Singer die „28 Tage“-Position später revidierte und in seinem Buch „Muss dieses Kind am Leben bleiben?“ die Geburt als Grenze des Lebensrechtes benannte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt muss es als intellektuell unredlich gelten, Singer mit der NS-Euthanasie in Verbindung zu bringen, ohne sauber zu erläutern, worin diese bestehen könnte.

Die Methode, Veränderungen oder Entwicklungen, die seine Wertungen infrage stellen würden, den Leserinnen und Lesern vorzuenthalten, wendet Bierl immer wieder an. So weist er sowohl im Aufsatz in der Jungle World aus dem Jahr 2008 als auch in den „Standpunkten“ darauf hin, dass eine Erklärung der säkularen Verbände anlässlich des Indizierungsantrages gegen das „Ferkelbuch“ u.a. auch von der Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft (DUR) unterzeichnet worden ist. Und diese sei „von ehemaligen Nazifunktionären, insbesondere der ‘Deutschen Glaubensbewegung’ gegründet“ worden. Das stimmt soweit immerhin teilweise, die DUR hatte tatsächlich jahrzehntelang ehemalige NS-Funktionsträger in ihren Reihen (wobei diese Fraktion die Minderheit darstellte). In den Jahren 1987/88 kam es zum Bruch, die langjährige Vizepräsidentin Sigrid Hunke und einige hundert Gesinnungsgenossen verließen die DUR. Zum damaligen Zeitpunkt arbeiteten die maßgeblichen säkularen Verbände nicht mit der DUR zusammen. Mittlerweile gehören die Unitarier seit rund 20 Jahren dem Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften an, in dessen Satzung steht, dass „intolerante Ideologien, völkische Denkweisen und andere Formen des Rassismus, Dogmen, autoritäre Strukturen sowie Gewaltanwendung und -androhung“ den Verbandszielen entgegenstehen. Mit dieser Information würde der Hinweis auf die DUR, der suggerieren soll, die säkularen Verbände hätten eine „nach rechts offene Flanke“, weit weniger überzeugend klingen. Bierl verschweigt die Entwicklung der DUR der letzten 20 Jahre. Und er verschweigt sie wissentlich, denn ich habe ihn bereits im Frühjahr 2008 über die Fakten informiert.

Manipulative Wiedergabe von Zitaten

Viele der Behauptungen Bierls sind jedoch so absurd, dass es nicht ausreicht, Informationen zu verschweigen; dann greift der Journalist zu weitergehenden Mitteln der Manipulation. So schreibt er im Jungle World-Artikel von 2011, Colin Goldner behaupte, „wer eine Aussage wie ‘Das schlimmste KZ bereiten wir den Tieren’ kritisiere, betreibe eine ‘Inflationierung und damit Entwertung des Antisemitismusvorwurfs’“ (in ähnlicher Form findet sich die Unterstellung auch im „Standpunkte“-Text). Wer die gesamte Textpassage des betreffenden Goldner-Aufsatzes liest, wird schnell feststellen, dass es im einschlägigen Abschnitt um eine ganz andere Frage geht, nämlich darum, ob die Religionsgemeinschaft Universelles Leben als antisemitisch einzuschätzen ist und ob es sinnvoll ist, sich mit diesem Argument von ihr abzugrenzen. Dazu schreibt Goldner, dass trotz einiger Äußerungen, die für sich als antisemitisch gewertet werden könnten, der Vorwurf ihm aufs Ganze gesehen nicht ausreichend begründet erscheint. Der Vorwurf greife „auch und gerade dann nicht, wenn als Beweis der Religionswissenschaftler Hubertus Mynarek herangezogen wird. Diesem ist zwar vieles anzulasten, nicht zuletzt seine Auftritte und Veröffentlichungen im Umfeld des UL und in diesem Zusammenhang auch eine unzulässige Instrumentalisierung der Judenverfolgung für die Zwecke des UL und anderer ‘Glaubensgemeinsschaften’; dezidiert antisemitische Positionen lassen sich in dessen Schriften indes nicht finden. Mynareks viel zitierte Aussage ‘Das schlimmste KZ bereiten wir den Tieren!’ als Relativierung der Nazi-KZs und damit als antisemitisch zu werten, trägt allenfalls zu einer Inflationierung und damit Entwertung des Antisemitismusvorwurfes bei.“ Wir sehen: Nicht wer die Aussage „Das schlimmste KZ bereiten wir den Tieren“ kritisiert, wird von Goldner angesprochen, sondern wer diesen Satz als Beleg für den Antisemitismus des Universellen Lebens wertet. (Im Folgenden führt Goldner dann aus, dass es genügend besser belegte Gründe gibt, die eine Zusammenarbeit mit dem UL verbieten.)

Noch dreister ist die Manipulation eines Zitates aus einem in MIZ 3/97 erschienenen Aufsatz. In „Standpunkte“ behauptet Bierl, in dieser Ausgabe der Zeitschrift habe Helmut F. Kaplan „die Tötung eines neugeborenen Kindes [verharmlost], indem er diese mit Verzicht auf Sex gleichsetzte“. Im Text gibt Bierl scheinbar ein Zitat von Kaplan wieder: „Die ‘Tötung (einer Nicht-Person)’ habe ‘nichts anderes zur Folge ... wie unterlassener Geschlechtsverkehr, eben das Nichtentstehen einer Person.’.“Wer im Aufsatz nachliest, erkennt sofort die sinnentstellende Wiedergabe der Aussage des Autors. Denn die Passage lautet: „Deshalb, so die Argumentation, dürfen wir auch Tötung (einer Nicht-Person) nicht verurteilen, da sie nichts anderes zur Folge hat wie unterlassener Geschlechtsverkehr, eben das Nichtentstehen einer Person. Soweit Singers Überlegungen hinsichtlich der moralischen Gleichwertigkeit von Handlung und Unterlassung.“ In der Hoffnung, dass das Publikum sich das betreffende Heft nicht über die Fernleihe besorgen und seine Ausführungen nicht überprüfen wird, jubelt Bierl durch manipulatives Zitieren Kaplan, der die Position von Singer referiert, diese als dessen eigene unter. Da Kaplan eine dreiviertel Seite weiter schreibt: „Das mag nun philosophisch so logisch und konsequent wie auch immer sein oder scheinen –aber psychologisch, als Menschen sträuben sich einem die Haare! (...) Wenn vor meinem Personsein jemand so gedacht und gehandelt hätte, dann gäbe es mich heute nicht!“ und im Folgenden Singers Position detailliert widerlegt, kann nur der Schluss gezogen werden, dass Bierl absichtlich in dieser Weise zitiert, um seine These, die MIZ unterstütze Singer-Positionen, zu untermauern. Auch hier handelt er höchstwahrscheinlich gegen besseres Wissen. Denn das in dieser Weise manipulierte Zitat verwendete er bereits im Frühjahr 2008 in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Der rechte Rand“. Als ich die Redaktion darauf hinwies, antwortete diese, sie werde meine Einwände an den Autor weiterleiten...

Halluzinierte "Realitäten"

Wenn „Belege“ durch argumentative Verdrehungen und manipulative Zitierweise nicht herbeigeschafft werden können, stellt Peter Bierl Behauptungen einfach so in den Raum. Im Jungle World-Artikel aus dem Juni 2008 ist zu lesen: „Der Titel des zweiten MIZ-Heftes des Jahrgangs 2001 lautete ‘Von der Fundamentalkritik zur Realpolitik’, und das schließt unter dem Propagandabegriff Sterbehilfe Plädoyers für den Mord an alten, kranken und behinderten Menschen ein.“ Im ganzen Heft freilich findet sich nichts dergleichen, nicht ein Text befasst sich mit Sterben und Tod, geschweige denn mit Sterbehilfe. So bleibt unklar, wann und wo solche Positionen, die dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten unterstellt werden, denn geäußert worden sein sollen. Der IBKA benennt die Verteidigung der „Selbstbestimmung“ als eine seiner ganz zentralen Positionen – wie Ermordetwerden damit in Einklang zu bringen sein soll, würde das interessierte Publikum sicherlich gerne nachlesen, wenn denn eine Quelle angegeben wäre. (Ob Peter Bierl je einen Blick in die betreffende Ausgabe geworfen hat, ist ohnehin unklar; denn der korrekte Heft-Titel endet mit einem Fragezeichen; nur auf dem Cover fehlte dieses aufgrund eines Satzfehlers, genau wie in Peter Bierls Artikel.)

Insbesondere, wenn es um den IBKA geht, erfindet sich Bierl seine eigene Realität. So heißt es in seinem Jungle World-Aufsatz von 2008, der IBKA und der Bund für Geistesfreiheit gingen sogar soweit, „die Shoah und die Unterstützung der Kirchen für das NS-Regime mit einer angeblichen kirchlichen und staatlichen Sektenjagd in der Bundesrepublik gleichzusetzen“. Das ist, was den IBKA angeht, eine besonders dreiste Verdrehung der Tatsachen und was den Bund für Geistesfreiheit betrifft, ebenfalls in mehrfacher Hinsicht falsch. Richtig ist, dass der Bund für Geistesfreiheit Erlangen im Jahr 2002 eine Veranstaltung mit dem Titel „Judenverfolgung der Kirche gestern und ihre Sektenjagd“ durchgeführt hat. Diese Verbindung von historischer „Judenverfolgung der Kirche“ und „Sektenjagd“ hatte heftige Proteste bayerischer IBKA-Mitglieder zur Folge und der IBKA-Vorstand distanzierte sich von einem solchen Vergleich, da dieser geeignet sei, revisionistische Positionen zu befördern, und verkenne, dass zur Religionskritik auch die Kritik der Sekten und Psychokulte gehöre. Von einer Gleichsetzung von „Sektenverfolgung“ und Shoah hingegen war in der Veranstaltung nicht die Rede; Bierl hat diese frei erfunden, offenbar, weil sich damit beweisen ließ, was er gerne beweisen wollte. Nicht einmal auf Hubertus Mynarek trifft Bierls Vorwurf zu; dieser zieht zwar völlig ahistorisch Parallelen zwischen der beginnenden Judenverfolgung und der Behandlung von „Sekten“ heute und ist auch ansonsten für alle möglichen historisch falschen Vergleiche gut, mit der Shoah hat er meines Wissens die „Sektenverfolgung“ aber nie gleichgesetzt. (Eine Quelle gibt Bierl natürlich nicht an.)

Und selbst vor relativ leicht überprüfbaren falschen Tatsachenbehauptungen schreckt Bierl nicht zurück, etwa wenn er in „Standpunkte“ behauptet, das „Manifest des evolutionären Humanismus“ von Michael Schmidt-Salomon sei zunächst in der Freien Akademie erschienen (auch dieses Buch scheint Bierl nur vom Hörensagen zu kennen, denn an einer Stelle zitiert er den Titel mit „für den“). Dies freilich ist allein in Bierls Fantasie so geschehen; tatsächlich erschien die erste Auflage des Manifestes im September 2005 bei Alibri, die erweiterte zweite Auflage folgte im darauf folgenden Jahr. (Wer’s nicht glaubt, kann gerne im Katalog der Deutschen Bibliothek nachschauen.)

Immun gegen Kritik

Für die mangelnde Seriosität seiner Arbeit ist auch Bierls Umgang mit Kritik bezeichnend. In einer privaten eMail hatte er einem Bekannten gegenüber behauptet, Hubertus Mynarek habe im Rahmen der „Heidenspaß-Aktionen“ gegen den Weltjugendtag 2005 in Köln referiert. Der Bekannte antwortet, dass dies nicht stimme (Mynarek war tatsächlich zunächst als Referent zum Thema „Kardinal Meisner“ vorgesehen, das Organisationskomitee entschied sich aber, auf diesen Vortrag zu verzichten; die Veranstaltung, die dann stattfand, wurde von der dem Universellen Leben nahestehenden Mahnmal-Initiative durchgeführt und stand in keinerlei Zusammenhang mit den Heidenspaß-Aktivitäten). Bierl seinerseits räumt aber nicht ein, falsch recherchiert zu haben, sondern biegt sich wiederum die Wirklichkeit zurecht: Mynarek habe halt im „offiziellen“ Heidenspaß-Programm nicht auftreten dürfen (was suggeriert, es hätte eine „offizielles“ und ein „inoffizielles“ Programm gegeben – ein Muster verschwörungstheoretischer, selbstimmunisierender Argumentation).

Diese Liste fragwürdiger Einschätzungen, offensichtlich bewusst verdrehter Darstellung, manipulativ wiedergegebener Zitate und selbst falscher Tatsachenbehauptungen ließe sich fortsetzen und um weitere Punkte ergänzen. Insbesondere mit der differenzierten Darstellung von Personen und Organisationen hat Bierl seine Schwierigkeiten, wie zum Beispiel seine Äußerungen zu ambivalenten Figuren wie Friedrich Nietzsche oder Konrad Lorenz zeigen. Selektive Wahrnehmung ist ein häufig eingesetztes Mittel der „Recherche“. So erwähnt Bierl, dass Michael Schmidt-Salomon den Topitsch-Preis erhalten hat, um ihn so in die rechte Ecke zu stellen. Dass der gbs-Sprecher auch mit dem „Multimediapreis des Landes Rheinland-Pfalz“ für ein Projekt von „nestwärme e.V.“, einem Förderverein für Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern, ausgezeichnet wurde, erwähnt er selbstverständlich nicht, da es dem von ihm gezeichneten Bild einer behindertenfeindlichen Giordano Bruno Stiftung widersprechen würde.

Dass es sich bei dem gesamten Vorgehen um „Fehler“ im Eifer der Debatte handelt, ist sehr unwahrscheinlich. Bierl hat viele Artikel in einer Regionalausgabe einer großen süddeutschen Tageszeitung veröffentlicht; er müsste wissen, welche journalistischen Standards unabdingbar sind. Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Mann ganz genau weiß, was er tut und seine Verleumdungen als rhetorische Strategie einsetzt, nach dem Motto „Irgendwas wird schon hängenbleiben“.

Blinde Flecke

Wenn Peter Bierl seine Artikel im Dienst der Aufklärung sieht und sich in die Tradition der Kritischen Theorie stellt, nimmt die Sache tragikomische Züge an. Denn selten dürften in Jungle World und „Standpunkten“ Texte erschienen sein, die stärker auf die Zerstörung der Vernunft hinwirkten, als Bierls Polemiken. Er trägt einen Diskurs in linke Medien, der gesellschaftliche Verhältnisse nicht aufdeckt, sondern im Gegenteil ein Schwarz-Weiß-Denken befördert, das gesellschaftlichem Fortschritt im Wege steht.

Insofern benennen seine Aufsätze tatsächlich „blinde Flecke“ und „nach rechts offene Flanken“. Denn die Tatsache, dass seine haltlosen Vorwürfe seit Jahren immer wieder abgedruckt werden, dass Redaktionen seine Assoziationen und Unterstellungen als Argumentation akzeptieren, wirft Fragen auf. Wie Jungle World und „Standpunkte“ diese beantworten werden, wird sich zeigen. Die Zeitschrift „Der rechte Rand“ hat sich schon vor drei Jahren entschieden. Damals hatte ich die Redaktion in einem ausführlichen Schreiben auf zahlreiche unseriöse Argumentationen und fragwürdige Einschätzungen sowie insbesondere das manipulierte Kaplan-Zitat hingewiesen. Als Antwort erhielt ich den knappen Satz, mein Schreiben werde an den Autor (also den Mann, der das Zitat manipuliert hatte) weitergeleitet. Sonst nichts. Daraus darf wohl geschlossen werden, dass zumindest maßgebliche Teile der Redaktion die Manipulation von Zitaten für ein zulässiges Mittel journalistischer Arbeit halten. Und das ist wirklich ein Problem.

Gunnar Schedel