Staatsoberhaupt fordert Kirchenstaat

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Der Hängemattenbischof in Erfurt
Der Hängemattenbischof in Erfurt

Zugegeben, die Überschrift ist ein klein wenig übertrieben. Doch nur wenig. Denn das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und deren höchstes Verfassungsorgan, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat in Erfurt beim Katholikentag bedauert, dass die Kirchen immer mehr an Bedeutung verlieren.

Laut einer von vielen Medien veröffentlichten dpa-Meldung würdigte Steinmeier den Einsatz von Christen für die Demokratie und für Arme, Ausgegrenzte und Verzweifelte. Die Missbrauchsopfer werden das vermutlich etwas anders sehen.

Er könne es "nur zutiefst bedauern, dass die Kirchen einen so großen Zustimmungs- und Vertrauensverlust erleben". Da hab ich nur eine Frage: Liest der Mann keine Zeitung? Seit 2010 ein Brief des damals am Berliner Canisius-Kolleg amtierenden Rektors Pater Klaus Mertes den Beginn einer bis dahin noch nie dagewesenen Aufklärungswelle über den sexuellen Missbrauch in den Kirchen initiierte, hätte auch der Bundespräsident begreifen können, weshalb es zu einem "Zustimmungs- und Vertrauensverlust" gekommen sein könnte. Wie kann man das nicht wahrgenommen haben? Ich empfehle Herrn Steinmeier dringend einen Besuch beim Augenarzt, denn das nicht gesehen zu haben zeigt entweder Blindheit oder – was noch schlimmer wäre – das komplette Ignorieren des Missbrauchs und des Leids der Opfer. Wo war und ist da der "Einsatz von Christen für die […] Ausgegrenzte[n] und Verzweifelte [n]"?

Oder kann es etwa womöglich sein, dass das Staatsoberhaupt eines Staates, in dem Staat und Kirche getrennt sind, davon noch nichts mitbekommen hat und drum – geschmückt mit einem Kirchentagsschal – das Lied der katholischen Kirche trällert?

Ja, gut, er erwähnte in seiner Rede Missbrauch und schleppende Aufarbeitung. Sogar über die "bei vielen […] wachsende Entfremdung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen" sprach er. Also doch kein Besuch beim Augenarzt nötig. Glück gehabt.

Erkennt er also den Wandel der Gesellschaft an und wird sich dafür einsetzen, die (hinkende) Trennung von Staat und Religionen endlich zu vollziehen und tatsächlich das Grundgesetz umsetzen, um zum Beispiel die unsäglichen Staatsleistungen zu beenden? Ach nöö, zu früh gefreut; Steinmeier fragte sich und die Zuhörenden, ob "die Kirchen hier zu wenig Anstoß" geben würden und ob sie vielleicht nur nicht gehört werden in der Gesellschaft. "Ist ihre Botschaft zu leise, zu blass, zu wenig profiliert?"

Ich erlaube mir zu antworten: Nein, Herr Bundespräsident, die Botschaft ist weder zu leise (ich werde ständig darauf hingewiesen, dass wir in einem christlich gelesenen Staat leben – Stichworte: Feiertage, Kirchenglocken, Kreuze in Gerichten, Bayern) und die Botschaft ist auch nicht zu blass: Wenn an allen Ecken und Enden gespart wird (Stichworte: Bildung, Digitalisierung, Straßennetz und Brücken) und auf der anderen Seite mit Staatsgeldern, sprich: Steuergeldern Großereignisse der Kirchen wie dem gerade beendeten Kirchentag mit finanziert werden, dann ist das weder blass (also unsichtbar) noch verständlich. Sondern ganz einfach: Steuerverschwendung.

Und noch was, Herr Steinmeier: Man kann wirklich nicht behaupten, dass die Kirchen zu wenig profiliert sind. Die waren Jahrhunderte an der Macht und hatten tausend Jahre Zeit, sich zu profilieren. Das, was dabei herausgekommen ist, sollte man als Demokrat nicht feiern. Sondern sich schamvoll abwenden, den Kirchentagsschal ablegen und ganz still und heimlich durch die Hintertür der Veranstaltung verschwinden in der Hoffnung, dass man dort nicht gesehen wurde. Zumal, wenn man das Staatsoberhaupt eines Staates ist, in dessen Verfassung (hier Grundgesetz) steht: "Es besteht keine Staatskirche." (Art. 137 (1))

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