OSLO. (hpd) Wenn Humanistinnen und Humanisten beim Streit um Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorankommen wollen, sollten sie auf breite Allianzen setzen und ihre Anliegen nicht auf ein Thema beschränken. Das empfiehlt Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, im Interview.
Wie sehen Sie die Rolle von Humanisten und Humanisten beim Kampf um die Religionsfreiheit?
Prof. Heiner Bielefeldt: Der Begriff Religionsfreiheit ist im Kontext der UNO und auch des Europarats als Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu verstehen, der englische Begriff „Freedom of Religion and Belief“ wird im Deutschen oft falsch als Religions- und Glaubensfreiheit übersetzt. Es geht aber tatsächlich sowohl um Religions- wie Weltanschauungsfreiheit. Deshalb sind auch Atheisten, Vertreter des Agnostizismus, Kritiker der etablierten Religionen oder des Religiösen überhaupt von diesem Freiheitsrecht geschützt. Dabei geht es ganz entscheidend um die geistige Freiheit, die kommunikative Freiheit oder die Verhaltensfreiheit in Fragen von Religion und Weltanschauung. Und es ist oft überhaupt nicht präsent, dass auch humanistische Organisationen oder solche, die sich ausdrücklich als Atheisten verstehen, hier ihre ganz genuinen Freiheitsrechte haben. Mir scheint das vor allem in Deutschland wenig präsent zu sein. Hier in Norwegen ist die Lage eine völlig andere als in Deutschland. In der UNO habe ich erlebt, dass humanistische Organisationen in einschlägigen Debatten präsent sind. Da ist es überhaupt nichts Neues, aber in Deutschland scheint es ziemlich ungewöhnlich zu sein. Da ist das entsprechende Bewusstsein wahrscheinlich noch wenig entwickelt.
Auf welchen Seiten ist das Bewusstsein noch wenig entwickelt? Es gibt dort verschiedene Interessengruppen.
Bielefeldt: In der allgemeinen Öffentlichkeit erlebt man Überraschungseffekte, wenn man sagt: Religionsfreiheit ist auch die Freiheit der Atheisten. Und zwar nicht, wie manche meinen, die negative Religionsfreiheit, sondern es gibt hier auch eine positive Weltanschauungsfreiheit. Es ist ebenfalls ein Freiheitsrecht der Nichtreligiösen. Mich hat erstaunt, wie viele Menschen davon überrascht werden. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, wenn man Freiheit ernst nimmt. In Deutschland wird die Religionsfreiheit aber sehr mit den klassischen großen Religionen assoziiert. Wir reden natürlich mit Recht über Christenverfolgung im Nahen Osten oder Islamophobie in Europa. Aber es fehlt ein Stück der gesamten Szenerie, die sich für die allgemeine Öffentlichkeit in Deutschland überhaupt nicht auf unserem Schirm befindet. Ich denke, das kann man hier so sagen.
Wo sehen Sie als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit für Humanistinnen und Humanisten die besten Anknüpfungspunkte, um ihre Interessen in der Debatte und im Streit zur Geltung zu bringen? Was wäre eine sinnvolle Vorgehensweise?
Bielefeldt: Ich glaube, eine sinnvolle Vorgehensweise besteht darin, sich mit anderen Organisationen zusammenzuschließen. Dass man Menschenrechte, hier eben das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, wirklich breit versteht und nicht nur lobbyistisch. Ein positives Beispiel sind die Bahai, welche in der UNO oder auch anderen internationalen Gremien sehr präsent sind. Natürlich haben sie auch das Interesse, dass ihre eigenen Angehörigen sowie Glaubensfreundinnen und –freunde, die ja im Iran und auch anderen islamischen Staaten brutal verfolgt werden, von der Religionsfreiheit profitieren. Aber die Bahai interessieren sich immer sehr breit für das Thema. So ist es eben nicht nur Lobbyismus für die eigene Gruppe und genau das finde ich vorbildlich. Ich finde vorbildlich, dass es hier nicht nur um die Befürwortung von Gruppenegoismen geht. Natürlich ist Lobbyismus für die eigenen Anliegen legitim. Besser noch ist aber ein breit angelegtes Menschenrechtsengagement. Dabei können interessante Allianzen entstehen und hier ist auch Norwegen ein sehr faszinierendes Beispiel. Denn in der kritischen Auseinandersetzung mit der noch existierenden lutherischen Staatskirche haben sich Allianzen gebildet, die man sich in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten kaum vorstellen kann.