OSLO. (hpd) PZ Myers wollte gestern rund 250 Besuchern seines Vortrags die Möglichkeit geben, sich einer Antwort auf die Frage zu nähern: „Ist der Mensch ein friedfertiges Tier?“ Er arbeitete dabei fünf Prinzipien heraus, nach denen es aus seiner Perspektive nahe liegt, dass die Menschen sich gegenseitig eher als freundliche Zeitgenossen begegnen und was das heute bedeutet.
Vor einem überfüllten Hörsaal stellte der Biologieprofessor und populärer Blogger jedenfalls gleich zu Anfang klar, sich bei diesem Thema einmal nicht lang über den Glauben von anderen äußern zu wollen. „Religion sucks“, so die knappe Begründung des 54 Jahre alten Atheisten von Universität von Minnesota. Und wenn die knappe Bemerkung ein versteckter Test des Publikums gewesen sein sollte, dürfte er ziemlich zufrieden gewesen sein.
Klar ist: Es lässt sich nur mutmaßen, wie viele Menschen allein im Zuge der vergangenen 2.000 Jahre das Opfer anderer Menschen geworden sind. Feststellen lässt sich aber sicherlich, dass keine andere Spezies die unserige darin übertrifft, die eigenen Angehörigen zu töten. „Woher rühren die zahllosen Gräueltaten“, fragte er also. Die Botschaft, die er vermitteln wolle ist, dass eine Menge Vorteile in der Kooperation liegen, welche nicht ignoriert werden sollten.
PZ Myers ist jedenfalls nicht von Berufs wegen Moralprediger, weshalb er dem Publikum einige Erkenntnisse zu Fragen des Miteinanders von Spezies aus der evolutionären Entwicklungsbiologie, im Fachjargon kurz „Evo-Devo“ genannt, präsentierte.
„Make love, not war“ ist demnach einer der eindeutigsten Befunde aus den Naturwissenschaften, führte PZ Myers aus. Gute Gründe für mörderische Gewalt ließen sich bei der Betrachtung der Entwicklung von tierischen Arten wenige finden. „Es ist egal, wie viele jemand abschlachtet“, so Myers, „denn wenn er niemals flachgelegt wird, ist er ein Fehlschlag für die Evolution.“ Seine Fähigkeit, komplexere Sachverhalte eingängig vermitteln zu können, dankten die Teilnehmer mit Lachen und Beifall.
Kooperation und die Fähigkeit zur Partnerschaft spielten ebenfalls eine Rolle in der biologischen Entwicklung. PZ Myers illustrierte das sowohl an bakteriellen Lebensformen wie auch höher entwickelten Arten, deren Erfolg und Fortbestand sich auf der im Rahmen milliardenfacher Versuche entstandenen Fähigkeit gründete, „Win-Win“-Situationen die Regel sein zu lassen. Er strich auch heraus, welche Rolle die gegenseitige Hilfe in der erfolgreichen Entwicklung der Arten spielt. Als ein Beispiel führte er Pinguine an, deren gemeinschaftliche Fürsorge den Bestand in den Eiswüsten der Antarktis gewährleisten kann.
Wettbewerb schärft die Talente, aber Kooperation und Verständnis schaffen die Grundlage für Innovation und revolutionäre Veränderungen, brachte er den Befund auf den Punkt. „Wenn eine wirklich radikale Veränderung nötig ist, werden Sie diese nicht im Kampf gegeneinander erreichen.“ Das gelte auch mit Blick auf unseren Planeten, auf dem die Notwendigkeit für einen entschiedenen Wandel da ist.
Biologische Systeme sind zudem darauf angelegt, Überschüsse zu erwirtschaften. Das ließe sich in allen Spezies erkennen, von den niedrigsten bis zu den höchstentwickelten Arten – und sei oft ein Ergebnis von Kooperation und Partnerschaft. Der Erfolg in der Evolution ergebe sich daher auch daraus, wie diese Überschüsse von den Individuen eingesetzt werden. PZ Myers machte dabei deutlich, dass diese Überschüsse die Grundlage von erstaunlichen Veränderungen sein können – aber nicht müssen.
Vielfalt trage ebenfalls dazu bei, dass Evolution gelingt. Dort, wo Vielfalt nicht realisiert werden kann, verläuft die Entwicklung deutlich langsamer und sparsamer als in Gegenden, wo diese möglich ist. Als ein Beispiel zog er die Grasebenen seines Heimatlands heran und stellte sie den Tropischen Regenwäldern gegenüber. Dass die Evolutionen in den von Gras bewachsenen Ebenen einen deutlich begrenzteren Reichtum an Leben hervorbringen, ist unabweisbar. „Am bedauerlichsten ist letztlich, dass die grünen Landschaften auf meinen Bildern heute durch Kornfelder ersetzt wurden und der Regenwald abgebrannt ist“, so Myers.
Das Geheimnis unseres evolutionären Erfolgs ist laut Myers schließlich die Fähigkeit, soziale Netzwerke aufzubauen und empathisch zu agieren. Soziales und einfühlsames Verhalten gebe es nicht erst seit Jesus – ebenso wie Rangstellungen, was er am Verhalten von Futter teilenden Schimpansen illustrierte. „Es ist Teil unseres biologischen Makeup“, lautete seine Bilanz. „Biologie prädisponiert uns zur Kooperation.“
Natürlich kooperierten auch Terroristen miteinander, oder wirtschaftliche Zweckverbände. Der ungeheure Zuwachs an Wirkung von hunderten Millionen kooperierenden Individuen kann daher auch eine negative Konsequenz haben. „Das ist eine Gefahr“, sagte PZ Myers. Und die unreifen Versuche von Menschen, kurzfristig einen Vorteil zu erlangen, führen vor allem zur Zerstörung des Planeten.
Schließlich warnte er ebenfalls davor, Wissenschaftlern blind zu vertrauen. Diese könnten ihre Ergebnisse auch dazu verwenden, einige „sehr bizarre Dinge“ voranzutreiben. Was jetzt nötig wäre, seien die besten Denker und Ethiker, um die vorhandenen Werkzeug in angemessener Weise einzusetzen – und sie nicht der Religion, Ideologie oder Dingen wie ausbeutendem Kapitalismus zu überlassen. „Was wir brauchen sind neue und tiefergehende Antworten, die reflektieren, was wir in unserer Kultur und der Zukunft schätzen, genauso wie in der Wissenschaft.“
Arik Platzek (zurzeit in Oslo)
PZ Myers gesamter Vortrag ist als Stream gespeichert und kann auf ustream.tv abgerufen werden.