Heilige Likes – Wie deutsche Christfluencer den Glauben vermarkten

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Sie beten, predigen und posieren vor Sonnenuntergängen: Auf Instagram, YouTube und TikTok inszenieren sich sogenannte Christfluencer als Sprachrohr Gottes in digitaler Mission. Mit Bibelversen im Reels-Format, modischen Outfits und sanftem Dauerlächeln verbreiten sie eine Mischung aus Selbstoptimierung, konservativen Moralvorstellungen und "Jesus liebt dich"-Content. Was harmlos wirkt, ist Teil einer wachsenden Erweckungsbewegung im Netz – mit deutlichen Tendenzen zu Kommerz, politischer Aufladung und dogmatischer Verengung.

Christfluencer erreichen Millionen. Allein auf Instagram folgen der Influencerin Lucie Gerstmann über 150.000 Menschen – viele von ihnen sind Jugendliche. Ihre Botschaften: Bibel, Familie, Gottvertrauen – aber auch ablehnende Haltungen zu Feminismus, Abtreibung und sexueller Vielfalt. Ihr YouTube-Kanal ist gespickt mit Fragen wie "Wie finde ich einen gläubigen Mann?" oder "Was sagt Gott zu Sex vor der Ehe?" – einfache Antworten auf komplexe Fragen, dargeboten in ästhetisch perfekter Kulisse.

Gottes Reich im Algorithmus

Jana Highholder, die einst von der EKD als christliche Influencerin aufgebaut wurde, erreicht allein auf Instagram über 75.000 Follower und propagiert "Clarity in a world of confusion". Nach ihrem Ausstieg aus dem offiziellen Kirchenformat positionierte sich die Ärztin, die mit bürgerlichem Namen Jana Hochhalter heißt, zunehmend mit einem klar individualisierten, sehr konservativ geprägtem Glaubensstil. Sie bevorzugt Lebensentwürfe mit einer klaren Verteilung der Geschlechterrollen ("Such dir einen Mann aus, der deiner Unterordnung würdig ist.") und betont konsequent ihre Maxime: "Kein Sex vor der Ehe."

Auf TikTok erreichen evangelikale Creator mit Gebetsvideos, Kurzpredigten und "Jesus-Challenges" mittlerweile Hunderttausende. Was ihnen gemein ist: Die klare emotionale Ansprache, das Spiel mit Angst und Hoffnung, und eine Ästhetik, die Nähe suggeriert, aber inhaltlich oft Exklusivität predigt. Zwischen Glitzer-Bibel, Worship-Musik und Hashtags wie #jesuslover oder #faithoverfear entsteht eine Parallelöffentlichkeit, in der Zweifel als Schwäche gilt und christliche Weltanschauung zur Heilslehre wird.

Glaube als Marke

Die meisten Christfluencer treten professionell auf – mit Corporate-Design, Merchandising, Affiliate-Links und Self-Publishing. Verkündigung trifft Monetarisierung. Der Glaube wird zur Marke: persönlich, aber skalierbar. Das Evangelium wird im Hoodie-Design verkündet, "Gottes Plan für dich" fordert zu einem kompletten Lebenswandel auf. Das Eintreiben von Spenden für Missionsreisen oder "Ministry-Projekte" gehört ebenso zum Geschäftsmodell wie exklusive Workshops für christliche Paare oder "Faith Journals" zum Ausfüllen.

Kritisch wird es, wenn seelische Notlagen genutzt werden, um die mediale Reichweite zu erhöhen: Depression, Einsamkeit, Zweifel – alles Themen, die auf Social Media häufig mit geistlichen Pauschalantworten behandelt werden. Wer sich fragt, warum er leidet, bekommt oft nur eine Botschaft: Du musst mehr beten und dich in Gottes Hand begeben. Eine gefährliche Vereinfachung, die psychische Belastung spirituell uminterpretiert – und professioneller Hilfe im Zweifel misstraut.

Der stille Schulterschluss mit den Rechten

Nicht alle Christfluencer vertreten radikale Positionen – doch einige durchaus. Hinter dem sanften Storytelling verbirgt sich häufig ein tief konservatives Weltbild: LGBTQ-feindlich, antifeministisch, antipluralistisch. Offene Ablehnung wird dabei geschickt vermieden, stattdessen spricht man in der Sprache der Liebe: "Ich liebe dich trotzdem – aber Gott hasst die Sünde."

Einige Stimmen aus dem deutschsprachigen Christfluencer-Milieu, etwa Jasmin Neubauer, zeigen sich auffallend offen für narrative Überschneidungen mit rechtspopulistischen Positionen. Kritik an der sogenannten "Gender-Ideologie", Klagen über den Verlust "christlicher Werte" und ein diffuses Unbehagen gegenüber Pluralismus: Hier treffen fundamentalreligiöse Strömungen auf rechtskonservative Kulturkritik. Dass in diesen Erzählungen Muslime, queere Menschen oder säkulare Stimmen zur Bedrohung stilisiert werden, bleibt meist unausgesprochen – ist aber deutlich spürbar. Ähnlich erfolgreich ist auch Leonard Jäger, der als "Ketzer der Neuzeit" einen YouTube-Kanal betreibt und auf Instagram eine Viertelmillion Follower hat. Unter dem Deckmantel des Glaubens ("Ich bin Leo, ich bin Christ & ich mach mein Ding") verbreitet er Verschwörungsmythen und queerfeindliche Äußerungen.

Der Slogan "Jesus first" wird so zur Chiffre für ein Weltbild, in dem Offenheit als Gefahr erscheint, Toleranz als Relativismus diffamiert wird und jede Kritik als Angriff auf den Glauben selbst gilt. Evangelikales Christentum trifft auf Rechtspopulismus – eine Allianz, die in den USA seit Jahren erfolgreich ist und nun auch im deutschen Sprachraum positive Resonanz findet.

Islamistische Parallelen

Selbstverständlich nutzen auch islamistische Milieus die Mechanismen der Influencer-Kultur. Auf TikTok, YouTube und Instagram verbreiten ihre Heilsbringer salafistische Botschaften in modernem Gewand – oft mit ähnlicher Strategie: Lifestyle-Ästhetik, einfache Wahrheiten, klare Feindbilder. Vor allem unter Jugendlichen werden die muslimischen TikTok-Prediger wie Hip-Hop-Stars verehrt. Die Inhalte sind nicht immer offen extremistisch, aber sie rücken oft gefährlich nah an autoritäre Deutungshoheit und antiwestliche Narrative heran. Immerhin: Radikale Prediger stehen inzwischen verstärkt im Fokus des Verfassungsschutzes.

Ob christlich-fundamentalistisch oder islamistisch – religiöse Influencer mit missionarischem Anspruch sind längst keine Randerscheinung mehr, sondern ein machtvolles Werkzeug der digitalen Meinungsbildung.

Medien und Kirchen: hilflos oder zu höflich?

Die Medien wie auch die großen Kirchen hadern mit ihrem Umgang mit den Christfluencern. Kritik wird von deren Seite sofort als Angriff auf den Glauben gebrandmarkt – eine gezielte Immunisierungsstrategie. Wer widerspricht, "versteht Gott nicht". Wer nachfragt, ist "vom Zeitgeist verblendet". Manche Landeskirchen fördern diese mediale Verbreitung des Evangeliums – mit technischer Ausstattung, Reichweite und viel Wohlwollen, in der Hoffnung, junge Zielgruppen zu erreichen. Doch Likes sind keine Theologie. Und Reichweite ersetzt keine moralische Verantwortung. Wenn Glaube zur Bühne wird und Inszenierung zur Hauptbotschaft, droht religiöse Kommunikation zur Simulation zu verkommen – mit klarer Message, aber arm an Tiefe, Dialogfähigkeit und echter Begegnung. Christfluencer inszenieren Erlösung in perfektem Kameralicht, verkaufen Hoffnung als Produkt und immunisieren sich gleichzeitig gegen Kritik – im Namen einer angeblich unantastbaren göttlichen Wahrheit.

Letztlich geht es nicht um Geschmacksfragen oder Glaubensfreiheit, sondern um Verantwortung im öffentlichen Diskurs: Wer religiöse Heilsversprechen verbreitet, bewusst junge Zielgruppen anspricht und dabei Weltbilder propagiert, die pluralistische Gesellschaftsformen ablehnen, muss sich einer kritischen Auseinandersetzung stellen – und das wäre die Aufgabe aller verantwortungsbewussten Christen außerhalb dieses Systems. Nicht der Glaube ist das Problem, sondern sein Missbrauch zur Einflussnahme. Manipulation im Namen Gottes ist keine spirituelle Haltung, sondern ein politischer Akt – mit potenziell tiefgreifenden Folgen für Gesellschaft, Zusammenleben und Demokratie.

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