Mehrere ehemalige Leiter der staatlich anerkannten ungarischen Pfingstkirche stehen vor Gericht, weil sie staatliche Zahlungen für "Leistungen", die nie stattgefunden haben, bezogen haben sollen. Ihre Verteidigung ist originell: Kein weltliches Gericht dürfe beurteilen, was eine Religionsgemeinschaft mit ihrem Geld mache. Und irgendwie sei auch die DSGVO relevant.
Laut einem Bericht in Magyar Narancs stehen acht Mitglieder der Pfingstkirche vor dem Gericht der Region Gyula. Sie und ihr Anwalt meinen, dass ein reguläres Gericht für die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft selbst dann nicht zuständig sei, wenn der Staat Mittel für konkrete Leistungen gewährt hätte.
Insgesamt acht Personen, darunter zwei Hauptangeklagte, sollen zwischen 2014 und 2022 den Anschein erweckt haben, eine Volksküche für bedürftige Menschen zu betreiben, und hätten weitere Mittel, die für soziale Dienste überwiesen wurden, in Scheinprojekte des "religiösen Lebens" gesteckt, aber de facto in die eigene Tasche umgeleitet. Damit hätten sie dem ungarischen Staat einen Schaden von 17 Milliarden Forint (etwa 42 Mio. Euro) verursacht. Die nicht vorhandenen Projekte und Leistungen wurden mit gefälschten Urkunden "belegt". Die Religionsgemeinschaft "schenkte" den Angeklagten im gleichen Zeitraum Luxusautos und Immobilien. Diese wurden zusammen mit ungarischen und ausländischen Konten beschlagnahmt und kommen auf einen Wert von umgerechnet über 30 Millionen Euro.
Die aktuelle Leitung der Pfingstkirche ist jedoch nicht angeklagt, obwohl die Angeklagten vor Gericht behaupten, sie sei die ganze Zeit eingebunden und informiert gewesen. Also auch wenn die Angeklagten verurteilt werden, wird es sie nur als Einzelpersonen betreffen. Für den Rest des Schadens wird nicht die Religionsgemeinschaft aufkommen, und sie wird nicht von weiteren Zahlungen der Republik Ungarn ausgeschlossen.
Seltsame Argumente der Religionsfreiheit
Dr. György V., der Erstangeklagte, verteidigte sich so (Übersetzung aus dem Ungarischen): "Wie kann man Tätigkeiten des religiösen Lebens definieren? Dies ist das innere Recht der Kirche, das nicht durch weltliche Behörden kontrolliert werden darf. (…) Kann ein Atheist oder ein Nichtchrist für die Behörde untersuchen? (…) Weder verstehe ich die Anklage noch erkenne ich die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft an, weil sie nicht die Möglichkeit hat, zu beurteilen, wer guter Christ sei. Wir müssten unseren Glauben in einem Strafprozess verteidigen, was unmöglich ist. (…) Der Inhalt des religiösen Lebens ist schwer fassbar, und ein weltliches Gericht darf nicht die innere Gebarung der Religionsgesellschaften beurteilen. (…) Wenn wir ein Verbrechen begangen haben, dann begehen alle in Ungarn anerkannten Religionsgemeinschaften dieses Verbrechen."
Ähnliches äußerte der Zweitangeklagte, Dr. Károly V.: "Der Staatsanwalt hat keine Ahnung, wie wir uns Gott nähern sollen. Der Staatsanwalt beschäftigt sich nicht mit dem Gebet, in dem wir unsere Sünden, Zweifel und Wünsche bekennen. Die Religionszugehörigkeit ist ein besonders geschütztes persönliches Attribut, diese Daten können nicht auf gesetzliche Weise beschafft werden. (…) Laut Anklage sei Gottes Wirken nur gespielt gewesen."
Wie in Deutschland dürfen in Ungarn Religionsgemeinschaften ihre "inneren Angelegenheiten" selbst regeln. Hier wird versucht, diese Freiheit sehr weit zu fassen, und zwar so weit, dass das Beziehen von staatlichen Mitteln für Leistungen, die zwar beschrieben und bestätigt, aber nicht durchgeführt werden, als Teil der Religionsfreiheit angesehen wird. Konsequent weitergedacht würde das heißen, dass Religionsgemeinschaften und ihre Mitglieder für keinerlei Aktivitäten, die für "normale Menschen" strafbar sind, zur Verantwortung gezogen werden können. Kirchen mit regelmäßigen Enthüllungen sexuellen Kindesmissbrauchs beobachten den Prozess sicherlich sehr aufmerksam.
Das zweite Argument mit dem "besonders geschützten persönlichen Attribut" basiert auf einer oberflächlichen und selektiven Interpretation der Datenschutz-Grundverordnung, die einige Merkmale wie eben die Religionszugehörigkeit und zum Beispiel Gewerkschaftszugehörigkeit als besonders geschützt definiert. Nirgends ist dort festgelegt, dass die staatliche Rechtspflege davon berührt sei. Dies erscheint wie ein Blindgänger einer juristischen Nebelgranate.
Kleine Kirche mit großen Plänen
Die Angeklagten kündigen an, im Fall einer Verurteilung bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu kämpfen, weil im Prozess ihre Grundrechte, in erster Linie die Religionsfreiheit, verletzt würden. Ob die höheren Gerichte eine so absurde Argumentation überhaupt annehmen wollen, wird sich noch zeigen. Andererseits könnte sogar das aktuelle regionale Gericht sie freisprechen, wenn die ungarischen Gesetze den Religionsgemeinschaften tatsächlich so viel Freiheit gewähren wie es die Angeklagten und ihr Anwalt behaupten. Da die Tatsache der Scheinleistungen gar nicht bestritten wird, wäre das eine sehr offensichtliche Gesetzeslücke. Im Verfahren kam auch zur Sprache, dass die damaligen Verträge vom ungarischen Staat auch seither verlängert wurden, die Leistungen also weiterhin angeboten und bezahlt werden. Dies ist für eine Religionsgemeinschaft, die in den letzten Volkszählungen unter 10.000 Mitglieder hatte (zum Vergleich: Katholisch 2,9 Mio., evangelisch und reformiert 1,1 Mio., Zeugen Jehovas 22.200, Baptisten 17.700), eine enorm attraktive Möglichkeit, staatliche Finanzierung in Millionenhöhe zu bekommen, auch ohne eine größere Mitgliederzahl.
Egal wie der Prozess ausgeht: Der Fall zeigt wieder einmal sehr deutlich, dass staatlich finanzierte Wohltätigkeit und soziale Aufgaben am besten im säkularen Bereich aufgehoben sind. Ob Millionenbetrug in der Caritas oder Religionsgemeinschaften, die weitaus mehr soziales Engagement abrechnen als es ihre Mitgliederzahl plausibel machen würde: Dies ist bei rasch fortschreitender Säkularisierung nicht der Sektor, dem man nachhaltig die wichtige Aufgabe der sozialen Absicherung anvertrauen kann.
5 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Es geht immer um Macht und Geld. Bei kleinen Religionsgemeinschaften geht es um psychologische Macht über die Mitglieder und Geld für die Bosse.
Alles nur ein rein irdischer, durchschauberer Schwindel.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Kirche wie man sie kennt, verlogen, geldgierig, selbstherrlich, hinterhältig und arbeitsscheu.
und Kirchenähnliche Vereinigungen.
Tim Mangold am Permanenter Link
Im rechtsautoritären Ungarn trauen sich die ewiggestrigen frauenfeindlichen, LGBTQ-feindlichen, mit haltlosen Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen Stimmung machenden, das Christentum als einzig legitime Religion sehende
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Orban und seine Bande gehören hinter Gitter, nicht auf der Oppositionsbank.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Diese Argumentation der Beklagten könnte auch von der Cosa Nostra kommen.