WIEN. (hpd) Die deutsche säkulare Szene hat geschafft, wovon ein Ösi nicht mal träumen würde. Der Heilige Stuhl kommt nach Berlin und das ganze Land merkt, dass bei allem Pomp der Besuch Minderheitenprogramm ist. Die Papst-Verteidiger diskreditieren sich laufend selbst.
Aufgabe eines Auslandskorrespondenten, und sei sie noch so ehrenamtlich, ist, den Lesern und Leserinnen eines Mediums im Ausland jenes Land verständlich zu machen, in dem er oder sie lebt. Inneneinsichten zu geben, die einem flüchtigen Beobachter verborgen bleiben würden. Zusammenhänge aufzuzeigen, die jemand, der das Land nicht kennt, nicht kennen würde. Ist der Auslandskorrespondent, wie in meinem Fall, Bürger des betreffenden Landes, entwickelt er schnell auch eine andere Sichtweise auf das eigene Land. Muss das Idiom nachdenken, das übersetzt werden muss, selbst wenn es theoretisch die gleiche Sprache ist. Eine Außensicht von innen, sozusagen. Eine lehrreiche Erfahrung, die jeder einmal gemacht haben sollte.
Dass ein Korrespondent eine Außenansicht des Landes liefert, in dem das Medium liegt, für das er gelegentlich schreibt, zählt nicht zu seinen Kernaufgaben. Kann aber erhellend sein. Selten ist der Unterschied so deutlich geworden wie in diesen Wochen.
In Österreich diskutiert man über katholische Pfarrer, die sich als kritisch begreifen und die zu einer Art katholischem David gegen einen ebenso katholischen Goliath stilisiert werden. In Deutschland spricht man nicht mehr über den Papstbesuch als ob es das einzige bedeutsame Ereignis überhaupt wäre. Die Messe im Olympia-Stadion ist nicht mehr das Zentrum der Welt, nicht mal in den Mainstreammedien. Bei aller Papst-Lobhudelei: Selbst ARD und ZDF bieten – zumindest aus österreichischer Sicht – eine Vielzahl kritischer Berichte. In denen werden vor allem jene Fragen gestellt, die deutsche Atheistinnen und Atheisten, Homosexuellenbewegungen, Betroffenenverbände und Säkulare seit Monaten trommeln: Was zum Kuckuck hat der Heilige Stuhl im Bundestag verloren? Und warum wird eine ganze Stadt lahmgelegt, damit ein alter Mann enthusiasmierten Massen (die vermutlich ausbleiben werden) zuwinken kann?
Sofern man Internetforen als Gratmesser für die öffentliche Meinung heranziehen kann, trifft das einen Nerv. Auch auf ard.de und zdf.de sind die Userinnen und User in der Mehrzahl, die dem Besuch Ratzingers oder zumindest der Aufmerksamkeit, die er bekommt, nichts abgewinnen können. Säkulare Mehrheiten findet man sonst nur bei Medien, die ausgewiesenermaßen gegen den Strom schwimmen, etwa bei taz.de und derstandard.at . Ohne die Mobilisierung der vergangenen Wochen, unter anderem über den hpd, wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen.
Dass nicht alles eitel Wonne ist, liegt auf der Hand. Ja, die Jubelmeldungen überwiegen. Leider. Nur sehe ich beinahe paradiesische Zustände, wenn ich das mit einem Papstbesuch in Österreich vor wenigen Jahren vergleiche. Von der Gegendemonstration war beinahe nichts zu hören. Nachher bestenfalls vereinzelt in ausgewählten Medien, im Vorfeld schon gar nicht. Gut, sie war mit wenigen hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern kleiner als das, was in Berlin auf die Straße gehen wird. Nur war das für österreichische Verhältnisse schon bemerkenswert. Im allgemeinen Jubel, dem vor allem der öffentlich-rechtliche ORF und die Kronenzeitung verfielen, konnte man meinen, ganz Österreich sei ausnahmslos katholisch, evangelischer Superintendent, Oberrabbiner und der agnostische Bundespräsident eingeschlossen. (Der grüßte den Heiligen Stuhl sogar mit „Seine Heiligkeit“ – protokollarisch richtig, politisch verheerend.)
Fairerweise lag es nicht nur an den Medien, die für säkulare Initiativen hierzulande wenig Interesse zeigen. Es lag auch an der bis heute schlecht organisierten säkularen und atheistischen Szene. Der Freidenkerbund, Österreichs größte und traditionsreichste Organisation, hatte nicht einmal ein Transparent für Demonstrationen. Das war irgendwo verloren gegangen. Außerdem hatte man es seit geraumer Zeit nicht gebraucht. Auch, wer ein Transparent anfertigen könnte, war nicht auszumachen. Ich stellte damals den Kontakt mit einer Funktionärin der Grünen her, die die Aufgabe übernahm. Gegen Bezahlung. (Auf den Slogan „Denken statt beten“ bin ich bis heute stolz. Man verzeihe mir so viel Eitelkeit.) Und dass eine der Organisationen damals die Demo organisiert hätte, kann man nicht behaupten. Man hängte sich dran. Getragen wurde sie von der Sozialistischen Jugend, Teilen der Grünen usw. Die offiziellen Atheistinnen und Atheisten durften mitmarschieren. Auch wenn sich das heute spürbar gebessert hat – man kann sich vorstellen, dass ich ob der Berichte aus Berlin kaum aus dem neidigen Staunen herauskomme. Oder sollte ich sagen ungläubig?
Es ist aus meiner Sicht schwer festzumachen, warum es in Deutschland so viel erfreulicher läuft als in meiner Heimat. Sicher spielt es eine große Rolle, dass es Berlin ist und nicht München. Und dass Deutschland traditionell mit zwei etwa gleich starken Konfessionen umzugehen gelernt hat. Das nimmt einem Joseph Ratzinger ein wenig den Nimbus der Heiligkeit und legitimiert eher Kritik an ihm oder an „seiner“ Kirche als in einem Land, das sich als weitgehend monokonfessionell versteht. Sicher liegt es auch an der Erbmasse der DDR. Und daran, dass Ratzinger vor dem Bundestag sprechen will. Eine Rede vor dem österreichischen Nationalrat hat er seinerzeit nicht gehalten. Das polarisiert weniger.
Ich bin mit Sicherheit der letzte, der Klischees über Österreicher und Deutsche das Wort reden möchte. (Das unterschiedliche Sprachverständnis einmal ausgenommen, aber das ist Faktum, positiv wie negativ. Und nun ja, das Thema Fußball lassen wir aus.) Aber ich denke, einen gewissen Mentalitätsunterschied wird man feststellen können, ohne in klassische Stereotype zu verfallen. Es gibt in Deutschland so etwas wie Diskussionskultur. Da können sich Menschen unterschiedlicher Meinung eine Stunde oder länger gegenübersitzen, ohne einander zu beflegeln. (Ausnahme vielleicht Matussek vom Spiegel, aber der spielt seine eigene Rolle.) Obwohl das deutsche Idiom für das österreichische Ohr hart wirkt – was der Sprache einen aggressiveren Klang gibt als sie das fürs deutsche Publikum hat. Das wirkt für den durchschnittlichen Österreicher wie Menschen von einem anderen Planeten. Und Deutsche geben sich im Allgemeinen mehr Mühe, sprachlich verständlich zu sein als Österreicher. Das hilft auch ein wenig. Aber das nur am Rande.
Umso auffälliger ist, wie hilflos auch in Deutschland die Menschen argumentieren, die die Rede des Heiligen Stuhls vor dem Bundestag zu rechtfertigen versuchen. Mir ist bis heute kein plausibles Argument untergekommen. Wenn ich Phil Möllers Streitgespräch mit Christoph Lehmann in der taz lese, kann ich ein Lachen kaum unterdrücken. Mehr als Gefasel von Liebe gibt Lehmann nicht von sich. Matussek macht das Gleiche wortgewaltiger und zweifelsohne unterhaltsamer. Bessere Argumente hat er auch nicht. Da stehen die Parade-Katholiken in der Ecke und suchen ihr Heil in der Flucht. Beziehungsweise in Ausflüchten, die zu äußern sich ein halbwegs intelligenter Mensch eigentlich schämen müsste. Das tut gut zu sehen. In Österreich kriegen wir das kaum hin, da schreitet vorher der Moderator bzw. Interviewer ein. Auch das ein Zeichen, dass die Vertreterinnen oder Vertreter der säkularen Szene mittlerweile für voll genommen werden. Vielleicht bringen wir’s hierzulande auch mal so weit.
Christoph Baumgarten