Die Regierung einer globalen Gemeinschaft

(hpd) Der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Amitai Etzioni legt eine Theorie der Internationalen Beziehungen im Sinne des Kommunitarismus vor. Darin plädiert der Autor in Richtung einer zukünftig notwendigen globalen Regierung auf Basis einer globalen Gemeinschaft, ergeht sich dabei aber allzu sehr in Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten.

Welche Prinzipien und Strukturen sollten die Internationalen Beziehungen im Sinne einer guten Gesellschaft prägen? Diese Frage erörtert der 1929 in Köln geborene Sozialwissenschaftler Amitai Etzioni, Professor an der George Washington University und Direktor des Communitarian Network, in seinem Buch „Vom Empire zur Gemeinschaft“. Er gilt international als einer der bedeutendsten Repräsentanten der sozialphilosophischen Strömung des „Kommunitarismus“, die für eine stärke Orientierung am Gemeinsinn im Spannungsverhältnis zum Individualismus eintritt. Diese Grundposition prägt auch Etzionis Argumentation in seinem neuen Buch, versteht es sich doch als Versuch einer „kommunitaristischen Theorie internationaler Beziehungen“ (S. 314). Der Autor plädiert darin für einen „dritten Weg“ zwischen den „Konsens-ist-Macht“ und „Macht-ist-Recht“-Positionen, womit sich eben auch die Abkehr von einer imperialen Politik zugunsten gemeinschaftlicher Kooperation auch im Weltmaßstab verbinden soll.

Ebenso wie für Etzioni die USA von Anfang an „eine Synthese aus republikanischen Tugenden und liberalen Werten“ (S. 46) bildeten, stellt er sich inhaltliche eine Synthese der internationalen Beziehungen vor. Im Osten wie Westen dominieren für den Autor unterschiedliche Konzeptionen von einer „guten Gesellschaft“, die entweder einseitig auf Gemeinschaft oder einseitig auf Individualismus fixiert seien. Es gelte nun, die gemeinsamen Schnittmengen in Augenschein zu nehmen. Gerade im Kommunitarismus sieht Etzioni die Ausgangsbasis für eine solche Annäherung, wobei er nicht für eine „autoritäre“, sondern eine „weiche“ Variante eintritt. Entgegen der Fehlwahrnehmung mancher Kritiker will der Autor keineswegs Individualität zugunsten von Kollektivität einschränken: „Das bedeutet ganz konkret, dass Gemeinschaften das Recht der Menschen auf freie Rede, das Wahlrecht oder das Versammlungsrecht nicht verletzten dürfen“ (S. 85). Engere soziale Bindungen einer Gemeinschaft sollen mit Respekt für die Rechte der Einzelnen einher gehen.

Diese Perspektive will Etzioni nun auf die Sicherheitspolitik in einem weltweiten Maßstab übertragen, was eine Einschränkung der nationalen Souveränität zugunsten der Prinzipien einer „guten Gesellschaft“ bedeute. Die globalen Probleme könnten nicht mehr in partikularen Dimensionen angegangen werden. Längerfristig gesehen liefe die internationale Entwicklung auf die Herausbildung einer Weltregierung hinaus. Ausgangspunkt dafür könnten gerade die nicht-staatlichen Netzwerke globaler „Nichtregierungsorganisationen“ sein. In einem fortlaufenden Prozess würden dann neue globale Behörden und supranationale Organisationen entstehen, wobei die Europäische Union als eine Art Testfall gelten könnte. Eine globale Sicherheitsbehörde lege „das Fundament für einen globalen Staat, dessen oberste Pflicht wie bei allen Staaten darin besteht, die Sicherheit der auf seinem Territorium lebenden Menschen zu gewährleisten“ (S. 313). Die globale Gemeinschaft sei aber eine notwendige Grundlage für die Funktionsfähigkeit einer globalen Regierung.

Etzionis Buch erschien in der amerikanischen Originalausgabe bereits 2004, die deutsche Übersetzung enthält gleich zu Beginn ein aktuelles Vorwort. Darin kommentiert der Autor die politische Entwicklung jener Jahre in allzu grober und vereinfachter Form als Bestätigung für seine ursprünglichen Thesen. Hierbei verweist er auf das Beispiel „Westdeutschland ..., wo die Menschen bereit sind, für den Wiederaufbau Ostdeutschlands mehr als eine Trillion Dollar auszugeben“ (S. 11), was man aus der Kenntnis der innenpolitischen Entwicklung wohl allenfalls mit einem Schmunzeln kommentieren kann. An einer anderen Stelle schreibt Etzioni, er stütze sich „weniger auf die Herzenswünsche und Träume des Entwerfenden, sondern ganz handfest auf bestehende Entwicklungen“ (S. 212f.). Dem ist aber gerade nicht so! Zwar ignoriert der Autor keineswegs die realen Probleme der Entwicklung, ergeht sich aber insgesamt doch allzu sehr in Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten. Seine Perspektive bleibt gleichwohl bedenkenswert, ist aber in diesem Sinne auch nicht neu.

Armin Pfahl-Traughber

 

Amitai Etzioni, Vom Empire zur Gemeinschaft. Ein neuer Entwurf der Internationalen Beziehungen. Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann, Frankfurt/M. 2011 (S. Fischer-Verlag), 362 S., ISBN-13: 978-3100170248 , EUR 22,95.