Das schöpferische Eigenleben der Natur

Animationsfilme sind belebte Bilder, und natürlich dürfen sie in der Ausstellung nicht fehlen. Auch Walt Disney ist in der Schau präsent. Schließlich geht es in einer Ausstellung per se um Bilder, von denen im Übrigen in Disneys Welt keiner annehmen wird, dass sie wirklich belebt seien. Oder leben gerade Bilder immer?

Von Sigmund Freud stammt die Definition, dass Animismus aus einer Projektion des Selbst in die Welt entstehe. Man kann es auch umgekehrt sehen. Aus einer Projektion der Außen- in die Innenwelt entsteht die Psyche. Ein Territorium der Seele wird so erst geschaffen. Und es taucht die Frage auf: Was davon ist Realität?

Einen beträchtlichen Teil der Ausstellung macht das Thema des psychisch Kranken aus, dessen Trennung zwischen Innen- und Außenerleben jenseits der allgemein akzeptierten Norm verläuft. Von nicht nur illustrativem sondern bizarrem ästhetischen Wert ist ein Elektroenzephalograph aus dem Jahr 1940. Ein Objekt aus feinsten metallenen Reifen, Stäben, Rezeptoren und Gewichten, wie ein ritueller Maskenaufsatz, mit dem man das Innerste des Menschen messen wollte.

Eine solche Übersetzung von Innen nach Außen findet sicher auch statt, wenn der Schweizer Künstler Erik Steinbrecher in immer neuen Variationen Nahrung auf einem Teller zu rudimentären Gesichtern anordnet. Maurizio Lazzaratto drehte wieder schon in den sechziger Jahren den Spieß um. Im Rahmen der Antipsychiatriebewegung filmte er autistische Kinder, die frei ihre Umwelt erkunden, und beobachtete, wie sich die Geografie des Raumes in ihrem Verhalten widerpiegelte. Er sprach von einer Psychologie der Geografie.

Auf Lazzarattos Grundannahmen geht Guattaris Theorie des Rhizoms, der Verwurzelungen und Verknüpfungen in der Psyche zurück. Psychisches Erleben entsteht also, kurz geschlossen, aus einer Verarbeitung der Umwelt, die selbst variabel ist und sich ständig verändert, also Eigenleben hat, gerade nicht nur Projektion des Subjekts ist.

Nichts anderes als dieses, also Eigenleben, mag wiederum auch der Begriff der Seele meinen. Und Verletzlichkeit, die daraus resultiert. Damit wird die Umwelt des Menschen aber auch zum Subjekt, zum Rechtssubjekt, wenn man es ernst nimmt. Der französische Philosoph Michel Serres schrieb in den Neunzigern als erster einen „Naturkontrakt“, analog dem Gesellschaftsvertrag, „Eine Streitschrift für non-human rights“ nannte er ihn im Untertitel.

Ecuador nahm unlängst als erster Staat die Rechte der Natur in seine Verfassung auf – und meinte damit zugleich immer noch mit Natur die „pacha mama“, die Urmutter der alten Inkas. Auch darauf weist die Ausstellung mit einer Filminstallation des Brasilianers Paulo Tavares hin.

Im Begleitband zur Ausstellung spricht der brasilianische Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro von einem Perspektiventausch; davon, wie in den indianischen Ontologien das, was wir für Objekte halten, als Subjekte betrachtet wird. Nichts anderes meint Animismus. Und dazu braucht es nicht viel. Belebt sein, atmen, nichts anderes bedeutet „anima“, auf Latein die Seele, der Glaube daran, dass alle Dinge „eine natürliche Lebenskraft haben“, wie Sergej Eisenstein in einem Text des Begleitbandes zur Ausstellung ausgerechnet über Disney zitiert wird. Davon scheint selbst Descartes, der erstmals die Unterscheidung zwischen denkenden und lediglich ausgedehten Dingen traf, noch nicht so weit entfernt zu sein, wenn er ein Werk „Les passions de l ámes“ nennt, was man nicht nur mit die „Leidenschaften der Seele“, sondern auch wörtlich mit die „Leidensfähigkeit der Seele“ übersetzen kann. Ein altes Exemplar dieses Buches ist in der Schau ebenfalls zu sehen.

Am Ende bleibt der Eindruck dieser locker gehängten, betont unaufdringlichen, aber mitunter bewusst irritierenden Inszenierung mit Arbeiten von über 30 Künstlern, dass uns so suspekt der Animismus nicht sein muss. Bedrohlich schien er vor allen dem Christentum, den Priestern, die mit den Conquistadoren einherkamen. Der argentinische Künstler León Ferrrari illustriert dies mit Collagen, in denen er in die Vatikan-Zeitung „L Ósservatore Romano“ Icons, von den mittelalterlichen spanischen Buchmalereien bis zu Radierungen von Goya, hineinmoniert, in denen Horrorszenarien des Unterbewusstseins erst wirklich zu Monstren werden. Wo alles lebt, alles atmet, hingegen ist alles schöpferisch - und nicht nur ein Schöpfer.

Simone Guski
 

Haus der Kulturen der Welt: „Animimus“ Ausstellung bis 6.5. Mittwoch – Montag (Dienstag Schließtag) 11 – 19 Uhr, John-Forster-Dullas-Allee 10, 10557 Berlin.

Begleitband zur Ausstellung: „Animismus. Revisionen der Moderne“, Irene Albers, Anselm Franke (Hg.), diaphanes Verlag, Zürich 2012, 319 S. 29,90 Euro.