Kirchenmitglieder und Demografie

STUTTGART / WIESBADEN. Die genauen Mitgliederzahlen der Religionsgesellschaften

in Deutschland sind nicht bekannt. Auch die kirchlichen Statistiken sind Fortschreibungen und je weiter wir uns zeitlich von der letzten Volkszählung 1987 entfernen, desto ungenauer werden die Daten. Allerdings gibt es recht genaue Datenbestände, in denen u.a. die kirchensteuerrechtlichen Mitgliedschaftsinformationen erfasst und mit anderen anonymisierten Daten verglichen werden können: die kommunale Statistiken. In den Einwohnermeldeämtern werden beispielsweise neben der Zugehörigkeit zur evangelischen oder der römisch-katholischen Kirche auch Daten über Alter, Geschlecht, Geburtsort und Herkunftsland erfasst. Damit lassen sich für den regionalen Bereich der Kommunen - wenn sie es denn so wollen - recht genaue Feststellungen zur Kirchenmitgliedschaft treffen.

Stuttgart, Wiesbaden und Frankfurt/Main haben im vergangenen Jahr detaillierte Analysen zu den Religionszugehörigkeiten in ihren Städten vorgelegt. Auch wenn die Großstädte nicht stellvertretend für Deutschland insgesamt betrachtet werden können, so können sie doch als ‚Trendsetter' angesehen werden, in denen sich allgemeine Entwicklungen deutlich darstellen. Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit in ausgewählten 18 deutschen Großstädten ist der Anteil der christlichen Bevölkerung 2003 bereits unter 50 % gesunken. Dazu gehören nicht nur alle ostdeutschen Großstädte einschließlich Berlin, sondern auch Hamburg und Frankfurt. Hannover, Bremen, München werden in den nächsten Jahren ebenfalls dazu kommen.

In Frankfurt betrug der Anteil der evangelischen und der katholischen Kirchenmitglieder im Jahr 1900 zusammen 92 % und verringerte sich bis 1970 kontinuierlich langsam auf 87 % der Bevölkerung. Danach sinken die Anteile rapide - von 1987 (66 %) über 1998 (54 %) bis 2003 (49 %). Inzwischen stellen in Frankfurt die Konfessionsfreien die größte Gruppe (30 %), vor den Katholiken (25 %) und den Evangelischen (24 %). Eine Verteilung, die in ihren Relationen den Gesamtverteilungen in Deutschland entspricht und nur für die einzelnen Gruppen geringer ausfällt, da der Anteil der als Muslime Gezählten (12 %) in Frankfurt größer ist als auf dem flachen Land.

Für Stuttgart und Wiesbaden werden ebenso nur die Mitglieder der beiden großen ‚Amtskirchen' erfasst und genannt, der Trend verläuft jedoch parallel.
Waren in Wiesbaden 1970 noch 89 % der Bürger christliche Kirchenmitglieder, so sind es 1987 noch 75 % und 2005 nur noch 55 %. In Stuttgart sind es 1975 noch 81 % Kirchenmitglieder und 2005 noch 57 %.

In beiden Städten verliert insbesondere die evangelische Kirche absolut und relativ an Mitgliedern, während die Mitgliederzahlen der katholische Kirche über Zuwanderungen stabiler bleiben und nur etwa halb so stark davon betroffen sind.

Für die Mitgliederentwicklung werden drei Komponenten unterschieden

  • die „natürliche Komponente" (Taufen und Beerdigungen)
  • die „räumliche Komponente" (Zuzüge und Wegzüge), und
  • die „verhaltensbezogene Komponente" (Aufnahmen und Austritte).

 

In beiden Städten tragen alle drei Komponentenpaare zum negativen Saldo bei: Es besteht ein deutlicher Sterbeüberschuss gegenüber den Taufen, es sind mehr Kirchenmitglieder abgewandert als zugezogen und es sind mehr Kirchenmitglieder ausgetreten als eingetreten.

Zum negativen Saldo der evangelischen Kirche in Stuttgart tragen das Ein-/Austrittsdefizit (39 % der Verluste) in gleicher Größenordnung bei wie das Tauf-/Sterbedefizit (41 %), so dass das Zu-/Wegzugsdefizit nur einen geringen Anteil (von 20 %) verursacht.

Durch diese Entwicklungen hat sich in Stuttgart der Altersdurchschnitt der Evangelischen seit 1975 (41 Jahre) bis 2005 auf 47 Jahre erhöht, bei den Katholiken von 36 auf 43 Jahre. In Wiesbaden ist es parallel (seit 1970), dass das evangelische Durchschnittsalter von 39 auf 45 Jahre gestiegen ist, während sich das katholische mittlere Alter von 37 auf 43 Jahre erhöht hat.

Der Vorteil des jüngeren Altersaufbaus der Katholiken - durch ihre höhere Kinderzahl in den religiös homogenen Ehen - beginnt sich anzugleichen.

Auch der leichte Anstieg der Taufen, der von manchem Hoffenden als ‚Trendwende' gedeutet wird, ist nichts anders als ein leichter Anstieg der Geburtenziffer - in Parallele zu dem Anstieg 1978 - der inhaltlich keine Bedeutung hat.

Das langfristige Problem der Mitgliederentwicklung zeigt sich im Altersaufbau der Kirchenmitglieder, der sowohl in Stuttgart (Abbildung 1 im Anhang) wie in Wiesbaden (Anhang 2) die gleiche Konsequenz zeigt.
Der Anteil der Jüngeren sinkt nicht nur bei der Altersverteilung der Kirchenmitglieder - durch das Älterwerden der Menschen in Deutschland - sondern im Altersaufbau der Bevölkerungen haben die jungen Kirchenmitglieder nur noch geringere Anteile.

In Stuttgart beträgt der Erosionsprozess des absoluten Rückgangs der Kinder und Jugendlichen als Kirchenmitglieder in der evangelischen Kirche 63 %, in der katholischen Kirche 56 %. Wobei die Grafiken verdeutlichen, dass dieser Vorgang sich noch weiter verstärken wird. Diese Entwicklung stellt sich für Wiesbaden entsprechend dar.

Insofern zeigt sich sehr deutlich, dass der sich seit 30 Jahren darstellende Trend die beiden großen Kirchen - in der Zahl der Kirchenmitglieder - in eine Minderheitsposition führen wird. Da kirchliche Privilegien auch immer wieder mit der großen Anzahl der Kirchenmitglieder begründet wird, könnte es grundsätzliche religionsverfassungsrechtliche Konsequenzen haben, wenn die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr Kirchenmitglied ist. So wurde beispielsweise der (fiktive) Kirchensteuerabzug bei allen Arbeitslosen - als üblicher Abzug, solange eine qualifizierte Mehrheit der Beschäftigten Kirchenmitglied sei - geräuschlos gestrichen, als die Zahl der Kirchenmitglieder unter den Beschäftigten sich der 50 %-Grenze näherte.

 

Weitere Analysen werden in den kommenden Jahren notwendig sein, um insbesondere den außerhalb der statistisch erfassten ‚amtlichen' Kirchenmitglieder stetig größer werdenden Anteil der Nicht-Kirchenmitglieder zu analysieren. Sie sind heute bereits die größte Gruppe in Deutschland.

Ebenso sind die Weltanschauungen der Bevölkerung in Deutschland mit Migrationshintergrund genauer zu analysieren, um beispielsweise genauer zu klären, wie viele der Migranten aus „muslimischen Ländern" sich selber als religiöse Muslime betrachten.

 

CF