WIEN. (hpd) Korrespondent Christoph Baumgarten mit seinen Gedanken bei einem Streifzug durch den allerchristlichsten Weltspiegel-Laden in einer der Haupteinkaufsstraßen in Wien und im Internet. Online und in Wirklichkeit.
Es wäre übertrieben, von einer Überraschung zu sprechen. Die kleine Filiale der Buchhandelskette Weltbild auf der Mariahilfer Straße in Wien hat „Gottes Werk und unser Beitrag“ nicht. Nicht zu sehen. Nicht in der Abteilung „Geschichte“, auch nicht in „Religion“. Sonst gibt’s dort keine Regalkategorien, in die das Buch fallen könnte. Kochrezepte enthält es nicht und Belletristik ist’s auch nicht gerade. Das mag daran liegen, dass der Eigentümer von Weltbild ein kleines Problem mit dem Buch hat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, irgendwo ganz oben will man’s totschweigen.
Online hat man’s gnadenhalber (oder des Umsatzes wegen) gelistet. Für unter den Ladentisch, denn: „Bei diesem Artikel ist eine Lieferung in die Filiale nicht möglich!“ Nicht, dass ein Kunde mit diesem Buch unterm Arm dort gesehen wird. Gott behüte. Die zarten Gefühle eines Gläubigen könnten verletzt werden. Arabische Welt lässt grüßen. Aufklärung ist Sünde. Die muss man von den Schäfchen möglichst fernhalten.
Verständlich: „Christliche Weltanschauung mit den Erfordernissen des Marktes überzeugend in Einklang zu bringen, heißt die tägliche Herausforderung. Die Orientierung an Werten ist Maßstab. Bücher und andere Medien können einen Beitrag leisten, die Welt begreifbar zu machen. Sie können Antworten auf die Fragen nach dem Woher und Wohin geben, vermitteln Wissen, regen die Phantasie an und geben Rat in Lebensfragen und Fragen des Alltags“, heißt es auf der Homepage des Verlags.
Böse Zungen behaupten über Katholiken, sie seien masochistisch veranlagt. Das mag folgenden Satz erklären: „Nutzen Sie unsere kundenfreundlichen Filial-Öffnungszeiten! Diesen Artikel liefern wir Ihnen auch versandkostenfrei zur Abholung in Ihre Weltbild-Filiale“, heißt es im Online-Shop, wenn man den SM-Porno „Shades of Grey“ bestellen will. Teil 1 und 2. Katholische Erbauungsliteratur, wie’s scheint. Diesmal der handfesteren Art. Vielleicht ist man nicht mehr so prüde wie früher. Oder man hält Sex für eine lässliche Sünde? Weniger schwerwiegend als Aufklärung?
Dass die Katholiken lernfähig sind, merkt man auch am Bestseller-Tisch auf der Mariahilfer Straße. Dort liegt Harald Glööcklers Autobiografie aus, eines strassbesetzten deutschen Modedesigners. Erst vor wenigen Monaten hatte ein offen homosexuell lebender Pfarrgemeinderat in der Erzdiözese Wien eine Affäre ausgelöst, die irgendwo zwischen Eklat und Klamotte lag. Ein Modernisierungstempo, dass einem schwindlig wird. Eher bodenständige christliche Tugenden werden allerdings, das muss man lobenswert hervorheben, ob der neuen Zeit nicht vernachlässigt. In der Mariahilfer Straße kriegt man auch ein Buch zu „Hitlers Wunderwaffen“ (Regal Geschichte), auch über „Schwere Panzer“ darf sich der gläubige Katholik informieren.
Über staatliche Kirchenfinanzierung nicht. Zu viel Wissen schadet. Kritiker würden dieses penibel durchgezogene Seelenschutz-Programm für Gläubige als Volksverdummung bezeichnen. In der Mariahilfer Straße etwa heißt eine Abteilung „Medizin und Homöopathie“. Wissenschaft und Esoterik Hand in Hand. Besser kann man Katholizismus kaum vermitteln. Glaube und Vernunft bedingen einander im christlichen Universum. Widersprüche zwischen Belegtem und Behauptetem dürfen für den Christenmenschen nicht existieren. Das allerkatholischste Verlagshaus stellt sicher, dass das auch für die außerreligiöse Sphäre gilt. Nur ja keine Aufklärung, bitte. Auch auf die Gefahr hin, mit dem Esoterik-Geschwurbel die weniger katholische Konkurrenz zu fördern.
Andererseits: Wer Medizin und Homöopathie als gleichwertig begreift, wird wahrscheinlich auch den mehr oder weniger hochgeistigen Auslassungen eines Anselm Grün nicht abgeneigt sein, dem schreibenden Fließbandarbeiter im Auftrag des Herrn. Seine Werke sind in Dutzendware zu haben, prominent platziert. Nicht zu übersehen Werke des Mönchs wie „Was soll ich tun? Antworten auf Fragen, die uns das Leben stellt.“ Eine dieser Fragen beantwortet Weltbild freundlicherweise auch für Menschen, die der katholischen Erbauungsliteratur nicht so zugeneigt sind: Auf keinen Fall aufklärerische Werke lesen. Das wäre eine schwere Sünde. Auch 50 Jahre nach Abschaffung des berühmten Index. Das darf man nicht zulassen. Geradezu herzerwärmend, dieses Engagement für die Gläubigen.
Christoph Baumgarten