(hpd) Der gestrige Weltkindertag lief unter dem Motto „Kinder brauchen Zeit“. Diese Zeit, bis sie sich selbst entscheiden können, möchten Kinderrechtler den Kleinsten unter uns verschaffen. Heute werden Menschen und Organisationen vorgestellt, die sich für die Rechte von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und gegen die Zwangsbeschneidung von Knaben einsetzen.
Die Mehrzahl der hier aufgeführten Organisationen und Menschen, die sie vertreten, sind gewissermaßen logischerweise vertreten. Erschreckend ist allerdings, dass sich nicht mehr Kinderrechtsorganisationen und überhaupt rechtliche Organisationen gleichermaßen äußerten, von politischen Vertretern ganz zu schweigen. Möglicherweise basiert dies auf einem Informationsmangel, dem wir versuchen abzuhelfen.
Die Kinderrechtler sind alphabetisch sortiert.
Der Rechtsanwalt Georg Ehrmann ist Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender sowie Mitgründer der Deutschen Kinderhilfe e.V., wo er auch hauptamtlich tätig ist. Zuvor war er Justitiar einer Kassenärztlichen Vereinigung. Ehrmann studierte in Bielefeld, Genf und München Jura, seit Juli 2010 ist er Mitglied im Bundesjugendkuratorium.
Die Deutsche Kinderhilfe ist nach eigenen Angaben die einzige staatlich unabhängige Kindervertretung in Deutschland. Der Verein finanziert sich aus Spenden, Sponsoring sowie „sonstigen Erträgen“, die im Jahresbericht 2011 als „Auflösung von Rücklagen“ definiert werden. Insgesamt verfügte die Kinderhilfe im Jahre 2011 über eine Summe von 502.624,89 €, die von Unternehmen und Unternehmensverbänden, politischen Institutionen sowie Verbänden, Stiftungen, Vereinen und Kliniken stammten.
Derzeit setzt sich die Deutsche Kinderhilfe bezüglich der Zwangsbeschneidungen von Knaben vehement für ein Moratorium ein und fordert anlässlich des Weltkindertages „ein klares Bekenntnis zu Kinderrechten statt Festtagsreden: keine nicht-medizinische Beschneidung für einwilligungsunfähige Kinder“.
Mit Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 24 Abs. 3, in der sich Deutschland mit dessen Ratifizierung verpflichtete „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen [...], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen“, erklärte Ehrmann vorgestern weiterhin:
„Morgen wird sich zeigen, ob der Weltkindertag erneut für symbolische Reden und die Forderung nach der Aufnahme von Kinderechten in das Grundgesetzt genutzt wird, oder ob angesichts der aktuellen Missachtung der Kinderrechte durch den Deutschen Bundestag Farbe im Einsatz für Kinder in Deutschland bekannt wird.”
In einem Gastkommentar im Tagesspiegel mit dem Titel „Beschneidung ist Körperverletzung und gehört verboten“, meinte Georg Ehrmann, „das Recht von Kindern auf eine unbeschadete Kindheit sollte als Grundkonsens über allen Religionsgemeinschaften und Wertvorstellungen stehen”.
Die Deutsche Kinderhilfe hat eine Bundestagspetition initiiert (der hpd berichtete), die beim Online-Petitionssystem des Deutschen Bundestages bis zum 11. Oktober 2012 unterzeichnet werden kann.
Dr. Ulrich Fegeler ist Bundespressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), welche die Interessen der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland vertritt. Dem Verband gehören nach eigenen Angaben über 10.000 Kinder- und Jugendärzte aus Klinik, Praxis und öffentlichem Gesundheitsdienst an, er „setzt sich für die bestmögliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen ein und kämpft für entsprechende Rahmenbedingungen“.
Bei der Bundespressekonferenz zur rituellen Beschneidung, zu der die Deutsche Kinderhilfe e.V. geladen hatte, berichtete Fegeler, dass die rituelle Beschneidung als Körperverletzung zu werten sei. Es handele sich um einen „höchst bedenklichen, gefährlichen und mit Schmerzen verbundenen Eingriff“. Die Beschneidung verändere den Körper des Kindes irreversibel, ohne dass dafür eine medizinische Indikation vorliege. Fegeler endete mit den Worten: „Sofern dieser Eingriff nach mosaischem und nach klassischem muslimischem Ritus traditionell ohne Analgesie durchgeführt wird, ist diese Art der Beschneidung ein mit erheblichen Schmerzen verbundener Eingriff, der damit sogar in die Nähe der schweren Körperverletzung rückt“.
Der Journalist Mario Lichtenheldt und Dr. rer. nat. Meike Beier sind Autor und Lektorin bzw. Korrektorin des Buchs „un-heil: Vorhaut, Phimose & Beschneidung Zeitgemäße Antworten für Jungen, Eltern und Multiplikatoren“, das im März 2012 erschien. Darüber hinaus haben sie anlässlich des Kölner Urteils ein Papier verfasst, das man auf der Seite pro-kinderrechte.de abrufen kann: „Religionen sind zu schonen - um jeden Preis? 10 Thesen und Antithesen.”
Im Buch un-heil klärt Lichtenheldt über die Beschneidung von Jungen auf, die nur in seltenen Fällen medizinisch notwendig ist. Wenige Wochen vor dem Kölner Urteil erschien das Buch und griff dem Urteil gewissermaßen vor, indem es feststellte, dass es keine Rechtfertigung gibt für einen schmerzhaften, irreversiblen und destruktiven Eingriff an den Geschlechtsorganen von Kindern.
In den 10 Thesen gehen Lichtenheldt und Beier auf gängige Rechtfertigungen für die Knabenbeschneidung ein, wie etwa Tradition, Hygiene oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, und widerlegen diese.
In einem Kommentar auf phimose-info.de geben Lichtenheldt und Beier zu bedenken: „Niemand, auch nicht die schärfsten Beschneidungsgegner, hat vor, religiöse Beschneidungen zu verbieten. Sie soll lediglich auf ein Alter verschoben werden, in dem der Betroffene in der Lage ist, sich eine eigene Meinung über Religion und die Auswirkungen einer Beschneidung zu bilden und selbstständig zu entscheiden, ob er sich diesem Eingriff für seinen Glauben unterziehen will.
Dies ist kein Angriff auf die Religionsfreiheit, sondern im Gegenteil die Herstellung wahrhaftiger Religionsfreiheit, der Freiheit des Individuums.
Es ist ein Angebot, Toleranz nicht nur einzufordern, sondern gegenüber den betroffenen Kindern zuallererst einmal selbst zu üben.
Und vielleicht stellt sich ja heraus, dass die Religionen dadurch nichts verlieren, sondern im Gegenteil mehr persönlichen und gemeinschaftlichen, inneren und äußeren Frieden gewinnen.”
Der israelische Rechtsanwalt Eran Sadeh hat aufgrund persönlicher Erfahrungen die Organisation Protect the Child (Gonnen Al-Hayeled) gegründet, ein israelisches Informationszentrum für genitale Unversehrtheit, das Eltern einlädt, sich über die Vorteile eines normal-intakten Penis sowie über die Nachteile eines beschnittenen Penis zu informieren.
In der Bundespressekonferenz, die von der Deutschen Kinderhilfe einberufen wurde, bekannte sich Sadeh als Unterzeichner der bereits erwähnten Bundestagspetition und appellierte an Bundeskanzlerin Merkel, die Menschenrechte von Kindern zu schützen und damit eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Danach richtete er seine Worte an „alle Juden in Israel und überall auf der Welt“, und bat sie, sich der „nicht mehr aufzuhaltenden Bewegung von zehntausenden Juden weltweit“ anzuschließen, „die ihre Söhne auf der Welt willkommen heißen, ohne ihre körperliche Integrität zu verletzen, ihnen Schmerzen zufügen und ohne sie einem Risiko auszusetzen.”
Zur Beschneidung sagte er vor einigen Tagen im Interview mit dem hpd:
„...wenn man einmal einen Jungen gebrandmarkt hat wie man eine Kuh brandmarkt und sagt, er ist jüdisch, er ist muslimisch, und man einen Teil seines Körpers wegnimmt, um ihn zu brandmarken, dann verhindert man, dass er aufwächst, um der zu sein, der er gerne wäre. Ich bin jetzt jüdisch und ein Israeli, aber ich glaube nicht an Gott und ich glaube nicht, dass mein Körper hätte verletzt und ein Teil meines Penis amputiert werden sollen. Niemand hat mich gefragt. Niemand hat mich damals gefragt und ich kann es nicht rückgängig machen. Das ist der Punkt, dies ist mein Körper, es sollte meine Wahl sein, ob ich meinen Penis beschneide oder nicht. Es ist mein Körper und der sollte mir und nur mir überlassen bleiben.”
André Schulz ist Bundesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), dem einzigen gewerkschaftlichen Berufsverband der Angehörigen der deutschen Kriminalpolizei und aller in der Kriminalitätsbekämpfung Beschäftigter im Öffentlichen Dienst.
Der BDK leistet seinen Beitrag einer „praxisnahen, realistischen und fortschrittlichen Kriminalitätskontrolle“ – der Schwerpunkt Kriminalitätskontrolle ist bemerkenswert, da sich Schulz öffentlich zur Knabenbeschneidung äußerte und der BDK die Petition der Deutschen Kinderhilfe gegen die Knabenbeschneidung unterstützt.
In der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 20. Juli 2012 wird André Schulz mit den Worten zitiert: „Unsere Verfassung kann nicht durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden, so wie es der Bundestag gerade panisch versucht.“ Die Freiheit der Religionsausübung der Eltern werde durch das „viel schwerer wiegende Recht des Kindes auf körperliche Selbstbestimmung“ begrenzt.
Zu den Kinderrechtlern, die sich gegen die Zwangsbeschneidung von Jungen engagieren, gehören zudem Prof. Dr. Matthias Franz, der mit einigen hundert Unterstützern einen Offenen Brief in der FAZ veröffentlichte: „Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein“. Irmingard Schewe-Gerigk unterstützt als Vorstandsvorsitzende von Terre des femmes e.V. die Initiative gegen Beschneidung. In der Bundespressekonferenz der Deutschen Kinderhilfe fragte sie: „Wie kann die Bundesjustizministerin den gleichen Eingriff bei Jungen erhalten, der bei Mädchen verboten ist?“. Ali Utlu setzt sich als Mitglied der Piratenpartei sowie als selbst Betroffener gegen Beschneidung ein.
Weitere nationale und internationale Organisationen, die sich gegen Beschneidung engagieren, sind die in Kalifornien ansässigen Attorneys for the Rights of the Child; beschneidung-von-jungen.de; Circumcision Information Australia; der Deutsche Pflegeelternverband; die Freidenker-Vereinigung der Schweiz; die britische Genital Autonomy; die International Coalition for Genital Integrity, IGCI, die für das Recht jedes Menschen auf die Genitalien, mit denen er geboren wurde, eintritt (auch Intersexueller); MOGiS, eine Netzwerkcommunity für Bürgerrechte und Kinderschutz; die National Organization of Circumcision Information Resource Centers; netzwerkB, ein Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt; die oben bereits zitierte Phimose-Info Deutschland und der Zentralrat der Ex-Muslime. Ferner die Giordano-Bruno-Stiftung, die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg e.V., EHBB; der Humanistische Pressedienst, hpd.de und der Arbeitskreis Kinderrechte auf pro-kinderrechte.de.
Es bleibt zu hoffen, dass internationale Stimmen, auch jüdische Stimmen, die sich deutlich gegen die Zwangsbeschneidung von Jungen aussprechen, von deutschen Politikern gehört werden, bevor im Schnellschuss ein Gesetz erlassen wird, das ausschließlich auf traditionsbehaftet-religiösen Stimmen basiert.
Fiona Lorenz
AHA! Politiker (1.6.2012) - Hier sind Links auf die vorhergehenden AHA!-Artikel zu finden.
AHA! Comedy (8.6.2012)
AHA! Ex-Muslime (15.6.2012)
AHA! Humanisten (22.6.2012)
AHA! Mixed (7.9.2012)
AHA! Philosophen (14.09.2012)