Ursachen für die Faszination von K-Gruppen

(hpd) Der Journalist und Politikwissenschaftler Gunnar Hinck sieht in seinem Buch „Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre“ in der Hinwendung vieler antiautoritärer Achtundsechziger zu den dogmatischen K-Gruppen die Folge einer Sozialisation in gebrochenen Milieus der Nachkriegszeit.

Die „K-Gruppen“ - K steht hier für „kommunistische“ - der 1970er Jahre finden heute kaum noch Aufmerksamkeit. Allenfalls wenn es um die jungen Jahre mancher Politiker geht, liest man Hinweise auf frühere Mitgliedschaften im „Kommunistischen Bund“ oder im „Kommunistischen Bund Westdeutschland“. Dabei handelte es sich um linkextremistische Organisationen, die in Massenmördern wie Mao Tsetung oder Pol Pot ihre Vorbilder sahen. Meist entstammten die Aktivisten der K-Gruppen dem antiautoritären Teil der Achtundsechziger. Doch was ließ sie zu Anhängern von verbrecherischen Diktatoren und ultradogmatischer Ideologie werden? Dieser Frage widmet sich der Journalist und Politikwissenschaftler Gunnar Hinck in seinem Buch „Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre“. Denn die Aktivisten der Protestbewegung gingen „auf die Straße im Namen von Emanzipation und Befreiung und fanden sich wenige Jahre später in Organisationen wieder, die nicht befreiten, sondern unterdrückten“ (S. 9).

Der Autor betont bereits zu Beginn, dass er mit dem Jahrgang 1973 kein ehemaliger Aktivist dieser Bewegung und Gruppen war und er auch nicht aus einem „linken Elternhaus“ kommt. Er legt auch keine historische oder organisationsbezogene Gesamtdarstellung vor. Vielmehr versucht Hinck den Motiven für die Hinwendung zu den K-Gruppen, aber auch zur „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) in jener Zeit auf die Spur zu kommen. Dazu führte er intensive Gespräche mit einigen ehemaligen Aktivisten und wertete frühere Publikationen von heute Prominenten aus. Seine zentrale These lautet, „dass der Marsch ins Irreale weniger objektiv, rational-politische Gründe hatte – wenn es so wäre, müsste es unter jüngeren Leuten heute viel mehr politische Radikalität geben -, sondern vielmehr persönliche, biographische Ursachen hatte, die in den kollektiven Erfahrungen der beteiligten Generationen zu finden sind“ (S. 47f.). Die durchaus kritisierenswerte seinerzeitige politische Entwicklung in der Gesellschaft habe demgegenüber nur eine geringe Bedeutung gehabt.

Hinck verweist demgegenüber auf die Folgen einer bestimmten familiären Sozialisation, lasse sich doch in den Biographien der wichtigsten Protagonisten ein gewisses Muster ausmachen, wozu etwa der Kriegstod des Vaters oder vertreibungsbedingte Verluste gehört hätten. Die Hinwendung des jungen Jürgen Trittin zum „Kommunistischen Bund“ erklärt sich Hinck etwa dadurch, dass er die Rolle des Vaters als ehemaliger SS-Obersturmführer (vgl. S. 73) verarbeiten musste. Viele hätten darüber hinaus in kommunistischen Organisationen eine Art „neue Familie“ oder „neue Heimat“ gesucht. Bilanzierend schreibt der Autor über die seinerzeitigen Angehörigen linksextremistischer Gruppen: „Sie waren Bürgerkinder, aber eben keine ‚behütete Bürgerkinder’, sondern ‚gebrochene Bürgerkinder’. Sie waren Suchende. Der Marxismus und der Rückgriff auf die Arbeiterklasse war für sie ein geeignetes Vehikel, um ganz anderen, persönlichen Bedürfnissen nachzukommen“ (S. 424). Zu anderen Zeiten wäre man womöglich massenhaft der Scientology-Organisation beigetreten.

Hinck arbeitet durch die Analyse einschlägiger Ausführungen von Ehemaligen aus früheren und heutigen Stellungnahmen die persönliche Bedürfnisstruktur für den Eintritt in bestimmte Organisationen heraus. Gerade im Führerkult um seinerzeitige kommunistische Diktatoren kam die latent vorhandene Neigung zu Unterwürfigkeit bei gleichzeitiger rebellischer Pose zum Ausdruck. Indessen neigt der Autor aber all zu sehr zu einer Psychologisierung eines politischen Phänomens. Dies geschieht aber nicht, um die Kritikwürdigkeit mancher seinerzeitiger politischer Rahmenbedingungen zu leugnen. Trotz dieser einseitigen, handelt es sich doch um eine interessante Perspektive. Außerdem verfügt das Buch noch über andere Qualitäten, wozu etwa die Schilderungen über die Wege von Ehemaligen anhand einer vierteiligen Typologie gehören. Und Hinck macht deutlich, dass der Dogmatismus und die Selbstgerechtigkeit der „Verniedlicher maoistischer Diktaturen“ (S. 425) das Engagement und die Positionen links von der SPD über Jahrzehnte diskreditierte.

Armin Pfahl-Traughber

Gunnar Hinck, Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre, Berlin 2012 (Rotbuch-Verlag), 464 S., 19,95 €.