Staat und Religion aus modern gestylter Sicht

(hpd) Hans Michael Heinig, Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD und Juraprofessor in Göttingen, hat es mit seinem EKD-Mitarbeiter Munsonius unternommen, als Herausgeber die wichtigsten Begriffe aus dem Kosmos des rechtlichen Verhältnisses zwischen Staat und Religion in leicht verständlicher Form knapp zu erläutern.

Mit anderen Worten: „Staatskirchenrecht“ für religionspolitisch interessierte Nichtjuristen. Aber schon die Wahl des traditionellen Begriffs „Staatskirchenrecht“ in Titel und Vorwort irritiert. Im Artikel „Religionsrecht/Religionsverfassungsrecht“ ist demgegenüber richtig ausgeführt, „Staatskirchenrecht“ sei in verschiedener Hinsicht eine missverständliche Begriffsbildung. Aber derselbe Autor verwendet im Artikel „Staatskirchenrecht“ diesen Begriff ganz selbstverständlich und uneingeschränkt, obwohl sich seit etwa 2000 die o.g. neue Terminologie im Verfassungsrecht weitgehend durchgesetzt hat. Soweit demgegenüber Juristen vorzugsweise immer noch von „Staatskirchenrecht“ sprechen, ist das regelmäßig ein Indiz für ein religionsfreundliches, d.h. eben nicht neutrales, Rechtsverständnis.

Und dementsprechend ist der Gesamtcharakter dieses Kurzlexikons, trotz vielfältiger Bemühungen, es „modern“ und „liberal“ aussehen zu lassen, d.h. einen klerikalen Anstrich zu vermeiden. Das kann natürlich hier bei über 100 Artikeln nur an wenigen Beispielen aufgezeigt werden.

„Neutralität“ im Sinn von Unparteilichkeit wird im einschlägigen (befremdlich kurzen) Artikel zutreffend als „zentraler Baustein“ des Verhältnisses Staat-Religion bezeichnet, der Staat habe keine Kompetenz, Glaubensinhalte zu bewerten. Atheismus und Agnostizismus wird in die Neutralitätsverpflichtung einbezogen. Aber nicht einmal ein halber Satz enthält auch nur eine Andeutung darüber, in welch ausuferndem Maß diese Neutralität zu Lasten nichtreligiöser Menschen und Vereinigungen missachtet wird (näher zur Diskriminierung). Das rechtshistorische Stichwort „Patronat“, das die letzten Reste des mittelalterlichen Eigenkirchenwesens der Grundherren betrifft, wird doppelt so umfangreich abgehandelt wie die Neutralität. Ein Stichwort „Privilegien“ (siehe etwa diese Auflistung) existiert auch nicht in anderer Begrifflichkeit. Das Stichwort „Subventionen“ bringt eigenartigerweise keinerlei Beispiele zur staatlichen Religionsförderung, nur den nichtssagenden Hinweis, eine „Subventionierung kirchlicher Einrichtungen nach allgemeinen Grundsätzen“ sei zulässig, sowie die grobe Falschbehauptung, der Kirchensteuer und den historischen Staatsleistungen komme eine wesentlich größere Bedeutung zu als den Subventionen. Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“ ist ihm offensichtlich unbekannt.

Die eigentlich wichtige Darstellung zu den religiösen Symbolen (zur grundsätzlichen Problematik) ist regelrecht dürftig. Sie weist u.a. kommentarlos auf die (skandalöse und gerichtsintern traditionswidrige) Entscheidung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2011 zu den in Italien angeblich zulässigen Kreuzen in öffentlichen Schulen hin (Fall Lautsi), nicht aber darauf, dass die erste Instanz dieses Gerichtshofs bei Einstimmigkeit der sieben Richter aus sieben europäischen Ländern mit präziser Begründung die gegenteilige Ansicht vertreten hatte (vgl. im Einzelnen)

Wenig verständlich erscheint, dass man im ganzen Lexikon so gut wie nichts zum allgemeinen öffentlichen Schulwesen einschließlich der religionsverfassungsrechtlichen Probleme der sog. „Christlichen Gemeinschaftsschulen“ findet. Der bedeutsame Aspekt insbesondere schulischer Freiheit von einseitiger staatlicher religiös-weltanschaulicher Beeinflussung als Bestandteil der individuellen Religionsfreiheit wird nirgendwo herausgearbeitet.

Im Artikel über die Konkordatslehrstühle wird man darüber belehrt, die Vertretung des katholischen Standpunkts in weltanschaulich geprägten Wissenschaftsdisziplinen sei auch im neutralen Staat „ein berechtigtes, durch die Verfassung selbst begründetes Anliegen“, sofern das durch die landesrechtlichen Bildungsziele und die Erfordernisse einer „für Schüler – bzw. Eltern – aller religiösen und weltanschaulichen Prägungen akzeptablen Gemeinschaftsschule“ begründet sei. Jegliche verfassungsrechtliche und europarechtliche Problematisierung der anrüchig gewordenen Konkordatslehrstühle fehlt. Der Autor dieses Artikels ist übrigens Mitverfasser eines bekannten religionsverfassungsrechtlichen Lehrbuchs.

Diese wenigen Anmerkungen führen zur Frage nach der Absicht der Herausgeber zurück. Die Artikel enthalten, soweit ersichtlich, bezüglich Religion und Weltanschauung keine Bewertungen, sondern sind formal neutral gehalten. Es finden sich viele zutreffende, liberal wirkende Darstellungen und eine Fülle an (leicht lesbaren) Informationen. Das verwundert nicht, sind doch von den 31 Autoren die meisten Juraprofessoren. Auch Mitarbeiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD und andere der EKD verbundene Autoren sind stark vertreten. Die Auswirkungen dieser Provenienz zeigen sich vor allem in der fehlenden Problematisierung vieler umstrittener Rechtsfragen, wobei auf gegenteilige und präzise begründete Meinungen häufig auch dort nicht hingewiesen wird, wo das unbedingt geboten wäre.

Insgesamt wurde eine Kurzfassung der herrschenden kirchenfreundlichen Ansichten in moderater Form vorgelegt, was dem nicht oder wenig Informierten oft nicht erkennbar sein wird. Auffällig ist die konsequente Ignorierung der Interessen nichtreligiöser Menschen und Vereinigungen. Mancher prominente Autor, der einen guten Ruf zu verlieren hat, mag nachträglich die Mitwirkung an einem solchen Bändchen bedauern. Dem bisherigen professionellen Ansehen des Hauptherausgebers entspricht das alles nicht. Das in einem juristischen Verlag erschienene Bändchen ist daher trotz seines geringen Preises ohne Heranziehung kritischerer Literatur weder für eine seriöse Erstinformation, noch zur Ergänzung geeignet.

Gerhard Czermak

100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht. Hg. Hans Michael Heinig und Hendrik Munsonius. Tübingen 2012 (Mohr Siebeck). ISBN 978-3-16-151738-9, Euro 9,80, 303 (kleinformatige) Seiten.

 

Hinweis der Redaktion:

Eine fundierte Information zur Thematik bietet das Lexikon des Rezensenten „Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht“, Alibri 2009, das trotz seiner relativ geringen Seitenzahl und breiteren Thematik wegen seines Buchformats und Kleindrucks ein Mehrfaches an Information bietet, wobei auf andere Meinungen stets hingewiesen wird mit eingehender Info).