Angebliche Riesenskelette aus grauer Vorzeit, das Bewusstsein von Pflanzen oder der Skandal um eine zweifelhafte Homöopathie-Studie – die neue Ausgabe der Zeitschrift Skeptiker widmet sich vielfältigen Themen aus der Wissenschaft. So untersucht der Archäologe Leif Inselmann den Ursprung von vermeintlichen Riesen-Funden, Massimo Pigliucci stellt das Forschungsfeld Pflanzen-Neurobiologie auf die Probe und Udo Endruscheit betrachtet den laschen Umgang eines Fachjournals mit Kritik. Außerdem: die Oper "Die letzte Verschwörung" und Interviews mit den Machern.
Die Bibel hat Recht. Davon waren um 1850 viele US-Amerikaner überzeugt. Scheinbare Bestätigung fanden sie überall in dem weiten Land, das sie nach und nach der weißen Herrschaft unterwarfen. Vielerorts stießen sie auf imposante künstliche Hügelanlagen aus alter Zeit, sogenannte Mounds. Und man entdeckte Überreste von gigantischen Skeletten, angeblich von über 4 Metern Größe. Das mussten die Überreste eines alten Riesengeschlechtes sein, glaubte man. Schließlich wurde ein solches Gigantenvolk bereits im Alten Testament erwähnt. Das passte viel besser ins Weltbild der weißen Siedler als die Mounds auf Vorfahren der indigenen Volksgruppen zurückzuführen. Aber was hat es mit den Riesenskeletten auf sich? Gab es sie wirklich? Amerikanische Zeitungen waren im 19. Jahrhundert voll von entsprechenden Berichten, und in den letzten Jahren erscheinen vermehrt grenzwissenschaftliche Bücher und Videos über solche Funde in den USA und anderswo. Der History Channel widmete dem Thema sogar eine Serie, "Search for the Lost Giants".
Diese Riesen-Renaissance nahm Leif Inselmann zum Anlass, genauer nachzuforschen. Inselmann ist Archäologe und Herausgeber des skeptischen Blogs "Wunderkammer der Kulturgeschichte". Nachzulesen sind die Ergebnisse jetzt in der neuen Ausgabe des Magazins Skeptiker – Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken, herausgegeben von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Damit legt Inselmann eine überarbeitete Fassung seines Vortrags von der diesjährigen GWUP-Konferenz "SkepKon" vor. Einige der vermeintlichen "Riesenknochen" hat es tatsächlich gegeben, schreibt er. In vielen Fällen handelt es sich in Wahrheit um fehlgedeutete Überreste von ausgestorbenen Tieren, beispielsweise Mastodonten, auch große Zähne und Kieferknochen von prähistorischen Hominiden (wie Gigantopithecus) wurden fälschlich als Überreste von Riesen interpretiert. Warum aber erleben diese Erzählungen gegenwärtig wieder einen Boom? Sie sind, wie Inselmann beobachtet, anschlussfähig an verschiedene alternative Geschichtsentwürfe wie Prä-Astronautik, Theosophie, Atlantistheorien und Kreationismus sowie christlichen Fundamentalismus und White Supremacy.
Eine lange Historie hat auch die Behauptung, dass Pflanzen über Bewusstsein und Emotionen verfügen würden, ähnlich wie Menschen und Tiere. In den 1960ern gab es aufsehenerregende Versuche mit Zimmerpflanzen und Polygraphen ("Lügendetektor"). Obgleich sie sich nicht reproduzieren ließen, erlangten diese Erzählungen große Popularität und kursieren bis heute in der Popkultur. In jüngster Zeit erfährt die These vom Bewusstsein der Pflanzen eine Neuauflage unter dem Namen Pflanzen-Neurobiologie. Eine Vertreterin dieser Richtung, Monica Gagliano, schreibt Pflanzen wie Mimosen und Erbsen sogar Lernfähigkeit zu, die an die von Wirbeltieren erinnere. Sollten diese Annahmen stimmen, hätte das gravierende ethische Konsequenzen, nicht nur für Vegetarier. Zu einer kritischen Einschätzung kommt der amerikanische Skeptiker Massimo Pigliucci. In der neuen Skeptiker-Ausgabe diskutiert er die Argumente der Pflanzen-Neurobiologen und setzt Impulse, um die Debatte wieder auf einer wissenschaftlichen Basis zu verankern.
In einem weiteren Beitrag gibt Udo Endruscheit ein Update zur Affäre um die zweifelhafte Studie zu Homöopathie und Lungenkrebs von MichaelFrass und Mitarbeitern. Die 2020 im Fachjournal The Oncologist veröffentlichte Arbeit weckte anfangs Hoffnung bei Patienten und Angehörigen, doch bald regte sich der Vorwurf der Datenmanipulation. Bekräftigt wurde dieser Verdacht durch das Informationswerk Homöopathie (INH) und die österreichische Initiative wissenschaftliche Medizin (IWM). Auch die MedUni Wien und die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) haben sich eingeschaltet, dennoch hat das Fachjournal die Studie nicht zurückgezogen. Endruscheit sieht darin ein Signal, dass selbst angesehene Teile der Community bereit seien, Manipulationen hinzunehmen – selbst wenn es um Krebspatienten und ihre Angehörigen gehe.
Zudem hat Chefreporter Bernd Harder fürs Heft eine Opernpremiere besucht: "Die letzte Verschwörung" heißt das Stück, das kürzlich am Augsburger Staatstheater die deutsche Erstaufführung feierte. Es geht um einen Fernsehmoderator, der von Verschwörungstheoretikern eingelullt wird und immer tiefer in den Kaninchenbau der alternativen Realitäten gerät. Für die aktuelle Ausgabe sprach Harder mit dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert, dem Tenor Wolfgang Schwaninger und dem Intendanten André Bücker.
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