Kommt in Österreich der Paradigmenwechsel?

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Nationalrat / Foto: parlament.gv.at

WIEN. (hpd) Nach einer Last-Minute Ausladung aus dem Parlament, konnte die von der kirchlichen Klasnic-Kommission inszenierte Tagung „Prävention von Missbrauch und Gewalt – ein gesamtgesellschaftliches Anliegen“ gestern nun doch noch stattfinden. Termingerecht, jedoch im „Haus der Industrie“, also im eigenen konservativen Biotop und entgegen allen früheren Ankündigungen ohne den einzigen externen Experten.

Das Publikum: viele Kirchenvertreter und Ordensschwestern, ein paar Betroffene, kaum Journalisten. Die kurzfristige Absage, die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ausgesprochen hatte, hat sich im Nachhinein also mehr als bewährt: solch eine offensichtliche kirchliche PR-Aktion hätte im Parlament nie stattfinden dürfen.

Eines gleich vorweg: jeder ehrliche Versuch der katholischen Kirche, die zahlreichen Opfer kirchlicher Gewalt für das ihnen seitens Kirchenvertretern in kirchlichen Einrichtungen zugefügte Leid zu entschädigen, ist anzuerkennen. Leider konnte aber mehrfach beobachtet werden, dass die hauseigene Klasnic-Kommission auch andere Agenden verfolgt.

Diese „Einrichtung der Erzdiözese Wien“ (Zitat aus einem Bescheid der Datenschutzkommission vom 14.12.2012) dient nämlich auch der kirchlichen Imagepflege. Beste Kontakte zur Politik und die Mitarbeit gleich zwei ranghoher Richterinnen waren bisher bestens dazu geeignet, eine breite öffentliche Zustimmung vorzutäuschen und das Medieninteresse auf sich zu ziehen, um aus der Not eine Tugend (für die Kirche) zu machen. Die ausschließlich für Medienvertreter durch und durch inszenierte Übergabe des Zwischenberichts der Kommission an den Bundespräsidenten im Vorjahr veranschaulicht diese Taktik.

Versuch einer Etablierung der Kirche

Und auch die Wahl des Titels dieser Veranstaltung zeigt, welche Agenda die katholische Kirche über die von ihr eingesetzte Kommission in der Tat verfolgt: die Entschädigung der Betroffenen bzw. die historische Aufarbeitung der eigenen Verfehlungen stehen nicht allein auf der Tagesordnung sondern die Etablierung der katholischen Kirche als Akteurin in der österreichischen Gesellschaft, die eine wichtige Rolle im Kampf gegen Missbrauch und Gewalt spielt.

Wie sehr die katholische Kirche bemüht ist, die hauseigene Klasnic-Kommission medial mit staatlichen Attributen auszustatten, veranschaulicht die über „Kathpress“, dem eigenen Sprachrohr, am 21.2.2013 verbreitete Aussendung über die Absage des Symposiums im Parlament: aus dem von der hauseigenen Klasnic-Kommission organisierten Event, der lediglich im Budgetsaal des Parlament stattfinden sollte, wurde kurzerhand nichts Geringeres als eine „parlamentarische Enquete zum Thema Missbrauch“.

Zur Erinnerung: „Parlamentarische Enqueten werden auf Beschluss des Hauptausschusses des Nationalrates durchgeführt und dienen der Information der jeweiligen Fachabgeordneten über Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Bundessache ist“. Mangels eines Beschlusses des Hauptausschusses des Nationalrates dürfte die Kirche hier einen parlamentarischen Terminus technicus mit einem frommen Wunsch verwechselt haben.

Republik nun unter Zugzwang

Die Ausladung der Klasnic-Kommission samt PR-Event aus dem Parlament stellt ein wichtiges Ereignis dar, da sie konstruktive Folgen haben könnte und sollte. Da nun endgültig feststeht, dass die Klasnic-Kommission keinen staatlichen Auftrag erfüllt, steht die Republik, noch mehr als je zuvor, unter Zugzwang. Es ist höchste Zeit, endlich eine echte parlamentarische Enquete einzuberufen, zu der natürlich auch die kirchliche Klasnic-Kommission, neben Opfervertretern und unabhängigen Experten, eingeladen werden muss.

Basierend auf den von solch einer Enquete gewonnenen Erkenntnissen hat das Parlament die Errichtung einer staatlichen, unabhängigen Untersuchungskommission zu beschließen, die, eventuell nach dem Vorbild der irischen Ryan- und Murphy-Berichte, als einzige in der Lage sein wird, Licht in einen der größten Skandale der Nachkriegszeit zu bringen.

Ferner muss die Errichtung eines staatlichen Entschädigungsfonds für Missbrauchsopfer, evtl. nach dem Vorbild des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, ebenfalls vom Gesetzgeber beschlossen werden. Schließlich können ja auch in diesem Fall die zahlreichen Opfer, deren Ansprüche in der Regel formalrechtlich verjährt sind, von der Republik nicht so behandelt werden, als ob letztere keine Mitverantwortung für das Entstehen eines kriminell agierenden Staates im Staat zu tragen hat. Nun ist der Staat am Zug.

Eytan Reif