Umstrittene aktuelle Freitod-Dienste – Teil 1

Humanes Sterben ohne Assistenz – schöne neue Welt?

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Philip Nitschke (hinten rechts im Bild) bei einer Demonstration in Arnheim, Juni 2024
Philip Nitschke

Der Australier Dr. Philip Nitschke ist auch in traditionellen Sterbehilfe-Kreisen hoch umstritten. Von ihm unterstützt, wird ausgerechnet in Ländern mit liberalsten Voraussetzungen versucht, neue Suizidmethoden unbürokratisch und nahezu kostenfrei anzubieten: So wie eine "Letzte-Wille-Pille" durch die Senioreninitiative CLW in den Niederlanden – die nun allerdings gerichtlich gestoppt wurde. Zeitgleich wurde im Juli eine zum Suizid nutzbare Kapsel namens "Sarco" vorgestellt – durch die Initiative The Last Resort in Zürich, eines neu gegründeten "alternativen" Freitod-Dienstes.

Einst erregte der Arzt Dr. Philip Nitschke erhebliches Aufsehen, als er 1996 in seinem Heimatland Australien vier Personen für deren freiwilligen Suizid eine tödliche Injektion verabreichte. Nachdem die australischen Behörden das Schlupfloch zur "aktiven Sterbehilfe" geschlossen hatten, gründete Nitschke die Vereinigung Exit International, die schon bald weltweit agieren sollte (nicht mit einer namensähnlichen Schweizer Organisation zu verwechseln, zu der keinerlei Verbindung besteht). Er wohnt inzwischen in den Niederlanden, gemeinsam mit seiner ebenfalls aus Australien stammenden Lebenspartnerin und Mitstreiterin Fiona Stewart (58). Auf obigem Foto bei einer Demonstration in Arnheim für die "Letzte-Wille-Pille" von 2014 ist Nitschke (76) mit rotem Halstuch zu sehen.

Niederländische Rentner-Genossenschaft "Letzter Wille"

Diese Demonstration der niederländischen Seniorenselbsthilfe-Gruppierung "Cooperatie laatste Wil" (= Letzter Wille; CLW) im Juli 2024 hatte einen aktuellen Hintergrund, nämlich die Verurteilung (zu Bewährungsstrafen) von zwei ihrer führenden Köpfe. Die Kooperative (auf Deutsch auch als Genossenschaft zu bezeichnen) war bereits vor zehn Jahren gegründet worden, um (privat sich zusammenfindende) Einkaufsgruppen für ein chemisches "Mittel X" zu organisieren. Die Treffen in kleinen Kreisen sollten auch dem Erfahrungsaustausch und der Anleitung dienen. CLW sah und sieht sich selbst als Wegbereiter zum völlig autonomen Lebensende durch eine zukünftige Zulassung von Todespillen für über 75-jährige Freitodwillige. Tötung auf Verlangen und Suizidhilfe sind seit 2001 (damals international erstmalig) in den Niederlanden unter Bedingungen schweren Leidens erlaubt – allerdings nur, wenn sie von einem Arzt oder einer Ärztin durchgeführt werden.

Nun gab es ein Gerichtsverfahren gegen das ehemalige Vorstandsduo der CLW und fünf weitere Mitglieder. Letztere wurden freigesprochen beziehungsweise war gegen einen von ihnen aufgrund seines zwischenzeitlichen Versterbens das Verfahren eingestellt worden (die Aktivisten beklagen, Ursache dafür sei die von ihm gefürchtete Gefängnisstrafe gewesen). Gegen die beiden Verurteilten lautete der recht komplizierte Vorwurf, eine illegal agierende Kooperative zum unzulässig organisierten Vertrieb des tödlich wirkenden Natriumsalzes der Stickstoffwasserstoff-Säure (Natriumazit NaN3 = "Middel X") gebildet und angeführt zu haben. Dies geht aus der (hier in deutscher Übersetzung verfügbaren) Urteilsbegründung zur viermonatigen Bewährungs-Strafe für Jos van Wijk, den Gründer und früheren Vorsitzenden der CLW-Gruppe, hervor.

Die Verlesung des Urteils wurde mehrfach von Unterstützern der Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude mit Sirenen und Sprechchören gestört. Dabei blieb bei beiden Verurteilten das Strafmaß deutlich unterhalb des von der Staatsanwaltschaft geforderten.

Bestellung aus Deutschland für circa 50 Euro

Auch die ÄrzteZeitung vom 4. Juli berichtete darüber. Demnach hätten ein Mann und eine Frau im Rentenalter den Verkauf von "mindestens eintausend Dosen oder noch mehr samt aller damit verbundenen Risiken" an lebensmüde Menschen ermöglicht, wie ein Gericht in Arnheim befand. Mehrere Empfänger des als "Mittel X" bezeichneten Präparats hätten sich laut Ermittlungsergebnis und Beweisaufnahme auch tatsächlich damit umgebracht. Darunter seien "verletzliche, relativ junge Menschen, deren Todeswunsch nicht völlig beständig gewesen zu sein schien", habe der Richter erklärt. Die Ärztezeitung ergänzt, bereits der Lieferant des tödlichen Mittels X, "ein 31-jähriger Mann aus Eindhoven, war im Juli 2023 zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden, davon 18 Monate auf Bewährung. Laut [der Nachrichtenagentur, Anm. d. A.] ANP hatte die jetzt verurteilte Frau im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Kooperative Letzter Wille organisiert, dass Menschen mit Suizidabsicht mit dem Lieferanten in Kontakt kamen, der ihnen das Präparat dann gegen Bezahlung zuschickte."

Der Autorin liegt vertraulich eine Rechnungskopie (einer polnischen Firma als Absender) auch für einen deutschen Empfänger vor, wonach für 0,05 Kilogramm Sodium Acid (Sodium ist die englische Bezeichnung für Natrium) 38,23 Euro plus tax (Steuer) und shipment (Versand) erhoben wurden.

Bereits 2011 erschien die deutsche Übersetzung des Handbuchs "The peaceful pill" unter dem in Deutschland freiverkäuflichen Titel "Die friedliche Pille" – Herausgeber: Exit International, Autoren: Dr. Philip Nitschke und Dr. Fiona Stewart. Im Vorwort betonen sie:

"Die friedliche Pille richtet sich an alte und unheilbar kranke Menschen (sowie deren Familien). … Als Autoren ist uns durchaus bewusst, dass ein gewisses Risiko besteht, dieses Buch könnte auch in die Hände von Menschen gelangen, die nicht zur Zielgruppe … gehören. … Aber Alte und Kranke haben es einfach verdient, Zugang zu den hier bereit gestellten Informationen zu erhalten."

Ob und wie neben Empfehlungen und Bewertungen verschiedener Suizid-Methoden auch Bestelladressen – etwa in Internetforen – kommuniziert wurden, entzieht sich der Kenntnis der Autorin. Attraktiv auch für Deutsche dürfte gewesen sein, dass hier ohne Sorgfaltsprüfung und persönliche Rechtfertigung (bei nur 1 Prozent der Kosten, die gemeinhin für die Leistungen einer einschlägigen Sterbehilfeorganisation zu zahlen wären) ein offenbar erprobtes Mittel erhältlich war.

"Wendepunkt in der Geschichte des Todes und des Sterbens"

"Wendepunkt in der Geschichte des Todes und des Sterbens" – mit einer solchen selbstherrlichen Ankündigung wurde – ebenfalls im Juli – in Zürich ein High-Tech-Gerät namens "Sarco" präsentiert – eine futuristisch aussehende längliche Kapsel, innerhalb der ein völlig beschwerdefreier Freitod möglich gemacht werden soll. Beim (in Anlehnung an den antiken Sarkophag so genannten) Sarco handelt es sich um eine flugastronautisch anmutende Konstruktion aus Plastik, Metall und reichlich Plexiglas mit einem Gasbehälter für Stickstoff an der Unterseite.

Die eigens dazu in der Schweiz neu gegründete "Right-to-die"-Vereinigung The Last Resort (= Letzter "Ausweg", aber auch "Erholungsort") stellte das Konzept des Sarco am 17. Juli medienwirksam vor. Als "jüngste Menschenrechtsorganisation" sei sie der einzige Suizid-Dienst, der über die Sarco-Kapsel (inkl. seiner Weiterverbreitung) verfügen könne und sorge damit entscheidend für eine historische "Wende zum Besseren" in der Freitodhilfe. Indem Menschen in Not unabhängig vom Wohlstand diese Möglichkeit zugänglich gemacht werden soll, hätten die sterbewilligen Nutzer des Sarco lediglich für den (frei verkäuflichen) Stickstoff (für etwa 18 Franken) aufzukommen. Dies erläuterte Fiona Stewart (die enge Vertraute des internationalen Suizidaktivisten Philip Nitschke) als Vorstandsvorsitzende von The Last Resort auf einer Pressekonferenz.

Optisch erinnert das Design an die Tiefschlafkapseln aus einem Science-Fiction-Film. Tatsächlich kann sich eine Person dort hineinlegen und dann selbst per Knopfdruck Stickstoff ausströmen lassen. Dieses selbst harmlose Gas dient lediglich zur plötzlichen Verdrängung des Sauerstoffs in der Kapsel. Daraufhin tritt man unmerklich und sehr schnell unter Bewusstlosigkeit seine "letzte Reise" in den Tod oder (je nach Weltanschauung) ins Jenseits an.

Zu Teil 2 des Textes geht es hier.

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