In zwangloser Folge veröffentlicht der Humanistische Pressedienst Darstellungen der einzelnen Verbände über ihren Verband. Diese Texte sind die Sichtweise
der Verbände selber. Nach dem „Bund freireligiöser Gemeinden Deutschlands", dem „Humanistischen Verband Deutschlands" und dem "Bund für Geistesfreiheit" als vierte Folge der „Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften".
Respektvolles Streiten im Dachverband
von Volker Mueller
Der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., vormals als Deutscher Volksbund für Geistesfreiheit im Oktober 1949 gegründet, vereint zur Zeit neun freigeistige Vereinigungen. Er vertritt die unterschiedlichen Interessen seiner ihm angehörenden freien Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland und ist nun in der IHEU (Internationale Humanistische und Ethische Union) und der EHF (Europäische Humanistische Förderation) als Mitglied aktiv. Mit viel Auseinandersetzung, Ringen um die konsensfähige und vernünftige Lösung eines Problems und Streit in der Sache hat der Dachverband seine Aufgaben formuliert und realisiert, hat sie überprüft, kritisiert und verändert. Dabei bleiben auch manche Gesichtspunkte offen und ungeklärt. Nicht immer führen Streit und Auseinandersetzung im DFW zu Resultaten, doch ohne sie hätten wir kein demokratisches Miteinander und keine Dachverbands-Identität nach außen. Wir merken immer wieder, dass Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Gleichberechtigung die wesentlichen Voraussetzungen für gemeinsames Arbeiten und Streiten sind. Sie wahren die Identität des DFW und den Respekt und die Toleranz voreinander, die zu freundschaftlicher Verbundenheit führen.
Wichtig beim Streiten sind die Gewissheit gemeinsamer Grundpositionen und ein Wohlwollen untereinander. Dazu gehört die Auffassung, dass Werte und Normen eines Gemeinwesens nur bei Wahrung der Würde jedes Einzelnen im Dialog vereinbart werden können. Intolerante Ideologien, Dogmen, rassistische und völkische Denk- und Verhaltensweisen, autoritäre Strukturen sowie Gewaltanwendung und -androhung stehen im Widerspruch hierzu. Sicher ist, dass der DFW parteipolitisch unabhängig ist sowie für die Trennung von Staat und Kirche und die Gleichstellung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eintritt. Unsere freien Weltanschauungen leben davon, dass sie auf verschiedene Zugänge und Quellen bauen und Verbindung zu den Wissenschaften halten. Wir haben keinen Bezug zu monotheistischen Religionen und lehnen das Staatskirchentum und den Monopolanspruch der christlichen Kirchen ab. Uns verbindet, dass wir geistige und soziale Lebenshilfen über unsere Vereinigungen hinaus anbieten und als Kultur- und Interessenorganisationen tätig sind. Wir treten für die Gleichbehandlung aller Weltanschauungen und Religionen in Staat und Gesellschaft ein, soweit diese keinen Absolutheitsanspruch erheben und ihre Ansichten nicht auf undemokratische Weise durchsetzen möchten.
Als die Gründungsväter des damaligen Volksbundes für Geistesfreiheit am 8. Oktober 1949 in Wiesbaden zusammengekommen sind, um einen gemeinsamen Verband zu gründen, spielten gewiss mehrere Überlegungen eine Rolle: Die Erfahrungen aus der Zwangsherrschaft und Hitler-Diktatur, aus Krieg und Not hat die überlebenden Menschen tief gezeichnet und ihre Lebensgrundlagen drastisch verändert. Weltanschauungen gingen zu Bruch, ethische Lebensvorstellungen galt es, neu zu gewinnen. Die Kirche hatte sich als unzureichende moralische Instanz bewiesen, versuchte aber nach dem 2. Weltkrieg, sich alte und neue Privilegien in der Bundesrepublik zu sichern.
Wir sehen den tiefen Bruch in der freigeistigen Bewegung, die 1933 durch den Nationalsozialismus zerschlagen wurde. Viele Freigeister fielen den Nazis zum Opfer, litten oder emigrierten. Die Vorgängerin, die „Reichsarbeitsgemeinschaft freigeistiger Verbände der deutschen Republik" konnte während der Weimarer Republik eine umfassende Aktivität entfalten; sie vertrat über eine Million Mitglieder. Schon vor dem 1. Weltkrieg war auch die Bildung des „Weimarer Kartells" ein erfolgreicher Versuch, die freigeistigen Kräfte in Deutschland zu bündeln, einer Zersplitterung entgegenzuwirken und gemeinsame Interessen zu formulieren und umzusetzen. Somit steht unser heutiger Dachverband in einer klaren direkten Traditionslinie demokratischer freigeistiger Interessenzusammenschlüsse, die trotz aller Individualität und gelegentlichen Zersplitterung der angemessene selbstbestimmte Weg für Vereinigungen und Körperschaften kirchenfreier Menschen zu sein scheint. Als ideelle Basis im DFW konnten wir erkennen, dass wir keine übernatürlichen Kräfte sehen und benötigen, um sich die Zusammenhänge der Welt und des Zusammenlebens der Menschen in der Natur zu erklären. Denken, Geist und Glaube haben für uns keine Tabus und Vorurteile, keine Dogmen, vor allem keine religiösen Dogmen. Daher sprechen wir auch von freier Geistigkeit und mit Recht von Menschenwürde.
Hauptanliegen damals wie heute ist, mit einer Stimme gemeinsam nach außen aufzutreten, vor allem in den gesellschaftspolitischen Bereichen und den Medien. Der Respekt vor der Identität des Anderen, seinen Sichtweisen, Traditionen und verbandseigenen Verfahrensweisen ist der Garant dafür, dass der DFW seine Aufgaben erfüllen kann, er nicht an Streit zerbricht oder auf der Stelle tritt und er das Gemeinsame in die Zukunft trägt. Diesen Respekt müssen wir immer wieder erringen. Dabei darf nicht ausgeschlossen sein, dass man sich in der Sache kritisiert oder unterschiedliche Positionen innerhalb des Dachverbandes duldet und erträgt und nicht gleich den Grundkonsens im DFW infragestellt. Toleranz und freies Denken und Handeln sind zunächst unter den freigeistigen Vereinigungen selbst nötig, um glaubwürdig unsere Forderungen öffentlich zu vertreten.
Die Trennung von Staat und Kirche, wie sie schon im Mai 1949 im Gründungsaufruf des Dachverbandes als Forderung enthalten ist, reicht weit zurück in die Anfänge unserer Bewegung, in die Aufklärung und in die freireligiösen Bestrebungen der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Eine Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, keine Privilegierung nur einer weltanschaulichen Richtung, die Gleichstellung und Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, insbesondere der Schutz weltanschaulicher und ethnischer Minderheiten, standen und stehen im Vordergrund. Dabei richten wir uns gegen fundamentalistische und sektenartige Entwicklungen sowie gegen den Alleinvertretungsanspruch der beiden christlichen Kirchen, alleinige moralische Instanz in der Gesellschaft zu sein. Freidenker, Atheisten, Agnostiker, Monisten, Freireligiöse, Unitarier und andere Freigeister und Humanisten hätten wohl keine Ethik, hätten keine Werte und humanistischen Verhaltensweisen?
Zugleich haben wir seit 1992 eine Bildungs- und Seminararbeit entwickelt, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Identität der DFW-Mitgliedsverbände und im Herangehen an inhaltliche Probleme unserer Zeit herausarbeitet. Wir haben uns zwischen den Verbänden besser verstehen gelernt und haben bei uns vor allem in den ersten neunziger Jahren Missverständnisse und auch Unkenntnis zwischen West und Ost im vereinigten Deutschland beseitigt. Wir haben Dialog gelernt und vor allem praktiziert! Dabei ging es um Weltanschauung und Religion, um Menschenwürde und Menschenbilder, um Verfassungsfragen und Lebensqualität, um das Selbstverständnis der freigeistigen Bewegung, um Naturschutz, Energiepolitik und Humanismus, um Arbeit für alle, um demokratische Grundwerte, Freiheits- und Menschenrechte im sich vereinigenden Europa, um soziale Menschenrechte weltweit. Der rote Faden war stets der des gemeinsamen Verstehens, des kollektiven Erkennens von Gemeinsamkeiten und Handlungsmöglichkeiten und des Respekts vor freigeistigen Unterschieden, die mehr und mehr erfahren und verstanden wurden. Wichtig erscheint uns weiterhin die Wahrung der Identität jedes Verbandes und eines toleranten Miteinanders zwischen unseren freigeistigen Organisationen, das auch manches Tabu gelegentlich aufbricht, um in der Sache weiterzukommen.
Machen wir uns aber nichts vor: Konflikte sind auch im DFW, d.h. zwischen den Mitgliedsverbänden vorhanden und noch zu lösen. Sie stellen sich in der verfassungsrechtlich konsequenten Trennung von Staat und Kirchen, der Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Bundesrepublik, der Wahrung der kulturellen und sozialen Bedürfnisse der kirchenfreien Menschen wie der Jugendweihe/ Jugendfeier, der Bildungs- und Schulpolitik und der Medien dar.
Die heterogene Zusammensetzung des DFW führt zu einem ständigen Diskussionsprozess, der in den letzten Jahren zu produktiver Auseinandersetzung, zu innerer Stabilität und zu effektiveren Arbeitsweisen geführt hat. Ergebnisse konnten vor allem in der Menschenrechtspolitik, in der internationalen Öffnung des DFW, in der Bildungspolitik, im Verhältnis von Staat und Religion/ Weltanschauung und der Sozialpolitik erarbeitet und vorgelegt werden.
Der DFW strebt seit langem ein Dach für alle an, sieht sich aber keinesfalls selbst schon als dieses freigeistige Dach an. Es ist im Dialog zu entwickeln. Hierbei ist die Diskussion um die Zentralratsidee hilfreich, wenn sie auch einige Illusionen beinhaltet. Der Begriff „Dachverband" erscheint uns sehr tragfähig und offen, Begriffe wie „3. Konfession", „Zentralkomitee" und „Leitkultur" werden im DFW eher kritisch gesehen oder sogar abgelehnt. Die positiven Aspekte der Zentralratsidee und des Vorschlags einer gemeinsamen Presseagentur wollen wir aufnehmen und (nicht populistisch) weiter diskutieren.
Auch hat sich unsere Bündnisarbeit mit anderen, dem DFW nicht angehörenden Verbänden verbessert, sodass so mancher auch über Schatten der Vergangenheit oder des Vereinsdünkels gesprungen ist. Das Bestreben nach mehr Gemeinschaftlichkeit zwischen den freigeistigen und humanistischen Verbänden ist dem DFW eigen. Darum bemüht er sich auch aktiv, in der alle halbe Jahre tagenden Sichtungskommission verschiedener säkularer Verbände mitzuarbeiten. Die Sichtungskommission benötigt weitere und neue Impulse und mehr Offenheit und Aufeinander-Zugehen. Dazu ist der DFW bereit. Die Debattensituation im gesamten freigeistigen oder säkularen Spektrum ist leider noch nicht so offen und vertrauensvoll, wie wir es uns wünschen. Konkurrenzen, das Bestreben nach Hegemonie und das Abwerben von Mitgliedern sind vorhanden. Leider werden inhaltliche und organisationspolitische Unterschiede öfter als persönliche Eigenheiten von Funktionsträgern betrachtet.
Wie verstehen wir uns selbst? Welche Identität ist der Hintergrund unserer Aktivitäten? Unsere Vereinigungen vertreten undogmatische Lebensauffassungen, die auf den Menschenrechten basieren und diese umzusetzen wie zu schützen trachten. Dies hat Konsequenzen! So sind wir der Auffassung, dass sich Menschen ihren Sinn des Lebens - im Rahmen ihrer jeweiligen Kultur - selbst geben und keine irrationalen oder übernatürlichen Mächte für ihre Welterklärung benötigen.
Die Debattenkultur innerhalb des DFW und der Respekt zwischen seinen Mitgliedsverbänden haben sich trotz mancher historischer Schwierigkeiten gut entwickelt. Differenzen werden nicht verschwiegen, aber das Gemeinsame wird in den Vordergrund gestellt. Der Grundsatz, dass die Zusammenarbeit im DFW bei Wahrung der Traditionen und Identitäten der Einzelnen erfolgt, ist eine Garantie für das Funktionieren des Dachverbandes.
Streiten bringt uns voran und führt uns zu Verständnis und Respekt.
Dr. Volker Mueller, Falkensee
Präsident des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V.
Vorsitzender des Humanistischen Freidenkerbundes Brandenburg e.V.
Literaturangaben:
Georges Minois: Geschichte des Atheismus. Weimar 2000.
Helmut Steuerwald: Kritische Geschichte der Religionen und freien Weltanschauungen. Neustadt 1999.
Horst Groschopp: Dissidenten. Berlin 1997.
50 Jahre für Geistesfreiheit, Humanismus und Menschenrechte. Festschrift. Hg. v. DFW. Pinneberg 2000.
Volker Mueller: Spuren im Wertewandel. Neustadt 2002.
Volker Mueller (Hg.): Ludwig Feuerbach - Religionskritik und Geistesfreiheit. Neustadt 2004.
Volker Mueller: Humane Identität in ethischer Neuorientierung. In.: Schriftenreihe der Freien Akademie. Band 21. Berlin 2002.
Schriftenreihe für freigeistige Kultur, hg. vom DFW, insbesondere die Hefte Nr. 16 (Werteerziehung in der Schule. 2002), 19 (Das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland und Europa. 2003) und 20 (Der Beitrag Europas zur Zukunft der UNO. 2004).