Religiöser Fundamentalismus hat nicht immer den Tod von Menschen zur Folge. Vielmehr ist meist das Gegenteil der Fall. Die große Mehrheit Opfer überzogener Frömmigkeit bleibt am Leben. Tiefe Spuren hinterlässt fanatischer Glaube in der Existenz von Menschen hingegen fast immer. So auch bei Ahmed Nadir. Seit September 2013 befindet sich der 32-Jährige aus Bangladesch in einem Asylbewerberheim in Brüggen, nahe der niederländischen Grenze. In einer kleinen Unterkunft wartet Ahmed Nadir auf die Bewilligung seines Antrages, vorübergehend in Deutschland bleiben zu dürfen.
Denn zurück in sein Heimatland kann der frühere Unternehmer und Berater im IT-Bereich vorläufig nicht. "Als Atheist fürchte mich vor den Extremisten", erklärt Nadir. Und es gibt gute Gründe für diese Furcht. Denn Menschen ohne religiöse Überzeugungen sind in den vergangenen Monaten erneut wiederholt Opfer von gewalttätigen Angriffen aus der Bevölkerung und von Verfolgung durch die staatlichen Sicherheitskräfte geworden. Auch die Regierung des Landes unterstützt insbesondere die Unterdrückung islamkritischer Stimmen in der Gesellschaft. Ahmed Nadir ist eine, aber nicht die einzige.
Der 30-jährige Blogger Asif Mohiuddin musste ebenfalls vor der neuen Welle von Gewalt religiöser Fundamentalisten aus Bangladesch nach Deutschland fliehen. Ihm gelang die Ausreise im Frühjahr mit Hilfe der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, nachdem er im Januar 2013 von einem Mob fanatischer Gläubiger mit 53 Messerstichen lebensbedrohlich verletzt worden war. Nachdem zwei Monate später auf Grundlage des neu erlassenen Information and Communication Technology Act (ICT 2006/13) ein Strafverfahren wegen "Blasphemie und Rufschädigung der Regierung" gegen Mohiuddin eingeleitet wurde, drohen ihm bei einer Rückkehr bis zu sieben Jahren Gefängnis. Zudem hat die Regierung Bangladeschs ein Komitee von neun islamischen Geistlichen eingerichtet, das Internet-Blogger identifizieren soll, die sich auf Facebook oder in Blogs kritisch über den Islam oder den Propheten Mohammed äußern. Die Arbeit des Komitees besteht vor allem darin, Namenslisten von angeblichen Feinden des Islam zu veröffentlichen. Bislang werden knapp 100 Personen auf der Liste geführt, darunter auch die Namen von Asif Mohiuddin und Ahmed Nadir.
Zehntausende forderten Tod von atheistischen Autoren
Anders als bei Asif Mohiuddin blieb der Fall von Ahmed Nadir aber bislang von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Denn obwohl er wegen seiner kritischen Äußerungen gegenüber fundamentalistischen Gruppierungen und islamistischen Parteien ebenfalls Anfang 2013 von Extremisten überfallen worden war und erfahren musste, dass ein Freund unter den Hieben mit einer Machete starb, rechnete er nicht mit der Zuspitzung während der folgenden Monate.
Ahmed Nadir befand sich gerade auf einer Geschäftsreise in Schweden, als zahlreiche Medienberichte um die Welt gingen, welche Demonstrationen zehntausender Gläubiger in Bangladesch zeigten, welche die Verschärfung der Strafgesetze gegen religionskritische Äußerungen und den Tod am Galgen für atheistische Autoren forderten. Es waren die größten Demonstrationen, die es seit zwei Jahrzehnten im Land gegeben hatte. Kurze Zeit später brach ein Trupp Polizisten in Nadirs Wohnung ein und verwüstete alles. Der Überfall führte zum Schlaganfall bei seinem Vater, von dem sich dieser bis heute nicht erholt hat. Als bekannt wurde, dass Nadir von den Sicherheitsbehörden gesucht wird, kündigte der Vermieter seines Büros ihm den Vertrag. Seine Angestellten sagten sich ebenfalls schnell von ihm los, um nicht selbst in Schwierigkeiten zu geraten. Und auch seine Frau ließ ihn wenig später wissen, dass sie nicht bei ihm bleiben wolle. Nadir erkannte, dass eine Rückkehr in sein Heimatland zu gefährlich sein würde. Nachdem Ablauf seines Visums ging er mit Unterstützung der Humanisten in Schweden zurück nach Deutschland, wo er nach Europa eingereist war und stellte einen Antrag auf Asyl. Seitdem wartet er in nun dem abgelegenen Städtchen in Nordrhein-Westfalen auf die Bewilligung des Antrages und sucht eine neue Perspektive. "Meinen Sohn habe ich das letzte Mal im März 2013 gesehen", sagt Ahmed Nadir.
Theoretisch sind die Aussichten auf eine Bewilligung seines Asylantrages nicht schlecht. Atheistische Überzeugungen und die Abwendung vom islamischen Glauben sind in den vergangenen Jahren bereits als Asylgrund in mehreren europäischen Ländern anerkannt worden. Doch auf eine Anhörung durch das Bundesamt für Migration wartete Nadir bislang vergeblich. Und wie ein Sprecher von Pro Asyl auf Anfrage mitteilte, lag die Quote erfolgreicher Anträge für Asylsuchende aus Bangladesch im vergangenen Jahr bei 7,4 Prozent, deutlich niedriger als bei Anträgen von Menschen aus anderen Ländern.