Streiflichter aus der "Présidentielle 2007"

Notizen aus Frankreich zur Präsidentschaftswahl.

Wie halten es die Kandidaten mit der Religion?

Obwohl die religiösen Fragen bei fast alle Kandidaten vorsichtig anklingen - Nicolas Sarkozy schmückt die meisten seiner Vorträge mit Referenzen auf die christlichen Werte, Bayrou spricht ständig über seinen Glauben, und die „gerechte Ordnung" von Royal entnimmt sie der Enzyklika von Benedikt XVI - spielen die brennenden religiösen Probleme von heute kaum eine Rolle im Wahlkampf. In einer Interviewreihe der Zeitschrift „La Vie" werden die weltanschaulichen Grundlagen der Kandidaten jedoch deutlicher.

Nicolas Sarkozy ist und bleibt offen katholisch und betet, wenn er Probleme hat. Er verteidigt die Rolle der Religion in der Gesellschaft und bedauert, dass die Kirchen sich nicht öfter zu den großen Fragen der Gesellschaft äußern. Er hat aber Abstand genommen von seinen Vorschlag zur Reform des Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat von 1905 - die zu einer staatlichen Finanzierung der Kirchen geführt hätte.

Ségolène Royale bekennt, auf Grund ihrer katholischen Erziehung, christliche Werte verinnerlicht zu haben. Die Liebe zwischen den Menschen ist für sie sehr wichtig, aber es darf keine Vermischung zwischen religiösen Überzeugungen und öffentlichen Angelegenheiten geben.

François Bayrou nennt seine Überzeugungen zugleich „gläubig, laizistisch und regierend". Er gibt die Widersprüchlichkeit dieser Charakterisierung zu, indem er z.B. als Gläubiger die Bischöfe respektiert, ihnen als Regierender aber nicht zu gehorchen hat. Eine Meinung, die durch seine Anhänger kritisiert wird, da sie zu seiner Ablehnung der Aufnahme der christlichen Werte in der europäischen Verfassung geführt hat.

Marie-Georges-Buffet, Kandidat der Kommunisten, akzeptiert, dass die Gläubigen einen Nährboden der Gesellschaft darstellen und ihr einen Sinn geben. Glauben soll kein Tabu sein und die Laizität darf keine schizophrene Trennung zwischen den öffentlichen und privaten Lebensräumen errichten.

Le Pen, als gläubiger Katholik, geht weiter: Die Religionen repräsentieren ein Element der sozialen Stabilität. Für ihn sind „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" Werte christlicher Herkunft. (Französisch)

Nichtwählen ist eine Sünde

Der Bischoff von Nanterre, Gérard Daucourt, deklarierte in einem Interview mit „Le Parisien" die Wahlenthaltung zu einer Sünde. Obwohl keines der Programme mit den Evangelien übereinstimme, müssen die Gläubigen sich doch einbringen. (Französisch)

Protestanten wählen mehrheitlich rechts

Eine Enquete der Zeitschrift "Reforme" zeigt, dass beim ersten Wahlgang die Protestanten zu 34% bzw. 27% für Sarkozy bzw. Bayrou wählen, gegenüber 28% bzw. 23% aller Franzosen. Für Le Pen wählen andererseits nur 8% gegenüber 13% aller Franzosen. Dies bedeutet eine stärkere Rechtsrichtung als bei früheren Wahlen. Begründet wird dies durch den Einfluss der Evangelikalen und der Diskussion um die Frage der Sitten. (Französisch)

Für Christen gibt es kein Links oder Rechts

In einem Interview verteidigt Kardinal Barbarin seine These, dass die Kategorien links und rechts den Christen nichts zu sagen haben. Das Entscheidungskriterium der Christen ist die Liebe Christus. Christsein ist ein sozialer Dienst und keine Forderung einer katholischen Partei oder einer christlichen Gruppierung. Die Demokratie ist nur eine Art des politischen Funktionierens, aber sie ist nicht Gott und kann manchmal den Kopf verlieren. (Französisch)

Rassistische Diskriminierung spielt kaum eine Rolle bei den Kandidaten

Der Vereinsrat der Schwarzen (CRAN) bedauerte die Abwesendheit der Probleme der rassischen Diskriminierung im Wahlkampf. Es sei an der Zeit, tiefgehende Reformen vorzunehmen: „Für die Diskriminierung auf Basis der Hautfarbe, müssen Lösungen auf Basis der Hautfarbe eingebracht werden" sagte der Ratsvorsitzende Patrick Lozès und präsentierte einen Plan der Diversifizierung mit 60 Maßnahmen.
Die Vorschläge stützen sich auf eine breite Stimmung bei vielen der linken Wähler, die Royale vorwerfen, keinen einzigen Vorschlag zum Neudurchdenken der Instrumente der republikanischen Gleichheit zu machen. (Französisch)

Wissenschaftlicher Protest gegen die genetischen Vorstellungen von Sarkozy

Nachdem Nicolas Sarkozy in einem Gespräch mit dem Philosophen Michel Onfray behauptete, dass Pädophilie und Selbstmord genetisch angeboren seien, erntete er nicht nur bei seinen politischen Gegnern Proteste sondern auch aus wissenschaftlichen Kreisen. Ségolène Royale sieht durch diese Auffassungen die gefährlichen und brutalen Auffassungen Sarkozys über die Menschheit bestätigt. Der Genetiker Axel Kahn, Direktor des berühmten Institut Cochin, negiert nicht den Einfluss von Genen, aber die Erblichkeit von Pädophilie hält er für Unsinn, obwohl die Sachlage bei Selbstmord subtiler ist. Allgemein wird die in den USA sehr verbreitete Meinung der genetisch unmittelbar determinierten sozialen Haltung abgelehnt. Man brauche mehr wissenschaftliche Untersuchungen unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Bedingungen. (Französisch)

Juden und Christen gegen die Sterbehilfe

Die im Rahmen der Präsidentschaftskampagne wieder aufgekommene Diskussion über das Ende des Lebens haben den Bischof von Paris, André Vingt-Trois, und den Großrabbiner von Paris, David Messas, veranlasst, eine gemeinsame Erklärung zur Sterbehilfe abzugeben. So hat Royale eine bedingte Zulassung von Maßnahmen der Sterbehilfe vorgeschlagen, während Sarkozy Grenzen des menschlichen Leides sieht. Die beiden Kleriker lehnen daraufhin jede Form der Unterstützung der Sterbehilfe zum Beenden menschlichen Leidens ab und verweisen auf das Gesetz Léonetti von 22.04.05 zu palliativen Diensten, das ausreichende Regelungen beinhaltet. Nur Maßnahmen zur Linderung des Schmerzes sind in diesem Sinne für sie akzeptabel, nicht die zur Beschleunigung des Todes. Maßnahmen zur künstlichen Verlängerung des Lebens werden jedoch aus Gründen der möglich entstehenden disproportionalen Schmerzen auch abgelehnt. (Französisch)

Die nationale Identität steht ins Zentrum der letzten Phase der Kampagne von Sarkozy

Trotz vieler Kritik bestätigt der Präsidentschaftskandidat der UMP seine Absicht, als Präsident die Kenntnisse der französischen Sprache als eine Hauptvoraussetzung für die Integration der Allochthonen in die Gesellschaft durchzusetzen. Im Herzen der französischen Identität stehe die französische Sprache, weil sie „ein Zement, eine Kultur, eine Art und Weise des Denkens, eine Form des Widerstandes gegen die Uniformisierung der Welt" ist. Bereits seit 2003 besteht der durch ihn als Innenminister eingeführte „Vertrag zur Aufnahme und Integration" (CAI) in welchem der Ausländer sich verpflichtet, die französischen Gesetze und Werte zu respektieren - im Austausch für Maßnahmen zur zivilen und sprachlichen Bildung. Allmählich entwickelte sich der CAI jedoch von einem Instrument der Integration zu einem der Selektion: Sprachprüfungen sind obligatorisch und führen beim Scheitern ohne Rücksicht auf eventuelles Analphabetentum zum Abschieben. Die Gegenkandidaten Sarkozys legen sich in diesem Bereich nicht fest. Ségolène Royale will die Immigration gemeinsam mit den Ursprungsländern regeln, Bayrou sieht ein komplexes Programm von Integrationsmaßnahmen vor, Le Pen äußert sich dazu nicht, da jede Immigration sowieso „wild und unkontrolliert" bleibt. (Französisch)

In dieser Hinsicht will Sarkozy ein eigenes Ministerium „für die Immigration und der nationalen Identität" gründen. Gegen dieses Vorhaben widersetzen sich sogar einige seiner Mitstreiter. Die sehr bekannte konservative jüdische Politikerin Simon Veil, hält die Initiative für sehr gefährlich. (Französisch)

Sarkozy auf Linie der deutschen Bischöfe?

In einem Forum - organisiert durch die feministische Zeitschrift „Elle" - bekräftigte der rechte Präsidentschaftskandidat Sarkozy seinen Willen, den Frauen die Möglichkeit zu geben, frei über das ja oder nein einer bezahlten Arbeitstätigkeit zu entscheiden. Wenn gewählt, will er jedoch die heutigen kinderkrippenfreundlichen Gesetze ändern. (Französisch)

Für Le Pen hat der Staat keine Schuld an der Deportation der Juden

Le Pen bedauert, dass Chirac die Verantwortung des französischen Staates bei der Deportation der Juden anerkannt hat. Sogar François Mitterand habe dies nicht gemacht. Zu dem Problem der Shoah will er sich aber nicht äußern, weil „es nicht gestattet ist eine andere als die der öffentlich Aufgezwungenen zu haben". 1987 hat Le Pen eine Strafe von 183.000 Euro bekommen, weil er die Gaskammern als ein historisches Detail des Zweiten Weltkrieges bezeichnet hatte. (Französisch)

Nach Le Pen ist Sarkozy kein echter Franzose

Auf Grund der ungarischen Herkunft von Sarkozy meint Le Pen, dass er selbst der bessere Kandidat sei. Sarkozy habe nicht „die Vergangenheit, welcher die Struktur der Nation entspricht". Der Präsident muss die Inkarnation des Volkes und der Nation sein, und der Fakt drei ausländischer Grosseltern zu haben, qualifiziere ihn nicht dazu. (Französisch)

Was sonst noch passierte:

Sind die Evangelikalen potenzielle Terroristen?

Der allgemeine Auskunftsdienst (Renseignements généraux) hat die Aufgabe, Informationen über alle Formen von Terrorismus, städtischen Unruhen und Bedrohungen zu sammeln und will jetzt eine Enquete über die Zusammenschlüsse der Evangelikalen durchführen, unter besonderer Berücksichtigung von Ereignissen, die mit Kulthandlungen zusammenhängen. Jean-Arnold de Clermont, Präsident der protestantischen Föderation Frankreichs, ruft darauf hin alle Pastoren auf, demgegenüber sehr vorsichtig zu sein. Er glaubt nicht an die wissenschaftliche Neutralität der Studie, sondern sieht sie eher als eine Polizeimaßnahme und die dürfen nie die Religion zum Inhalt haben. (Französisch)

Kolloquium über Karikatur und Religionen

Vom 22. bis 24.05.2008 richtet die „Equipe Interdisciplinaire de Recherches sur l'Image Satirique" ein internationales Kolloquium über das Verhältnis zwischen Karikatur und Religion in Brest aus. Um Teilnahme wird gebeten und Informationen finden Sie auf: (Französisch und Englisch)

Als X bestattet

Pro Jahr werden bis zu 3.000 Menschen anonym, weil unbekannt, bestattet. Nur in den Krankenhäusern allein wird die Zahl auf bis zu 800 geschätzt. Für die Identifikation fehlen die Infrastruktur und auch das Geld. Die Situation wird in dem Artikel mit einer Reihe von schockierenden Fällen illustriert. (Französisch)

 

Rudy Mondelaers