Ist eine Demokratisierung der Polizei möglich?

BREMEN. Die Georg-Elser-Initiative hatte am vergangenen Freitag ins Nachbarschaftshaus

"Helene Kaisen" zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen: "Gewalt auf Demonstrationen - Ursachen von Eskalation". Den Hintergrund für die Themenwahl bildete eine Anti-Nazi-Demonstration am 4.11.2006 gegen einen Umzug von Neo-Nazis, bei dem es zu gravierenden polizeilichen Übergriffen auf Gegendemonstranten gekommen ist.

Die Veranstaltung wurde u.a. mitgetragen von: Bündnis 90/ Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, Evangelisches Bildungswerk, Rosa-Luxemburg-Stiftung. Heinrich Böll Stiftung Bremen, Humanistische Union, Landeszentrale für politische Bildung.

Referenten waren neben dem Bremer GdP-Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen in der Bremer Bürgerschaft, Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, (Thema: „Zu viel Macht - zu wenig Kontrolle? Neuere Polizeientwicklung, Kontrolldefizite und Sanktionsimmunität"), Martin Herrkind, Mitglied der amnesty international - Fachkommission Polizeirecherche (Thema: "Polizeiarbeit in der Ambivalenz zwischen dem Schutz der  Freiheiten und ihrer Verletzung") sowie Hartmuth Wrocklage, Mitglied der Bundesvorstandes der Humanistischen Union und Innensenator a. D.. Sein Thema hieß: „Polizei im Wandel - Ist eine Demokratisierung der Polizei möglich."

„Diese Frage", so Wrocklage, „enthält die provokative These, die Polizei sei derzeit nicht demokratisch. Diese These wird fast jeden normal ausgebildeten Polizeibeamten sofort in eine Protesthaltung versetzen und, sofern diese These einige Publizität erlangt, nahezu jeden normalen Innenminister dazu veranlassen, den Erwartungen des Polizeiapparates und dessen Gewerkschaften folgend, sich ‚schützend' vor die Polizei zu stellen."
So sei es derzeit Brauch in deutschen Landen. Dass man damit der Fragestellung, die nach Ansicht des Referenten eine Vorneverteidigung demokratischer Freiheit in kritischer Zeit als Ziel habe, nicht gerecht werde, läge auf der Hand.

Demokratisierung meine hier nicht eine formal-juristische Vorstellung, denn auch eine freiheitliche Demokratie, will sie sich nach außen und innen gegen ihre Gegner oder gar Feinde verteidigen können (will sie „wehrhaft" sein), bedürfe bestimmter Handlungsformen zur Umsetzung und ggf. Durchsetzung demokratischer Entscheidungen. Und insofern müsse die Polizei in wesentlichen Teilen hierarchisch gegliedert sein, soll sie ihren Zweck, Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten, erfüllen. In diesen polizeilichen Handlungsformen sind nicht die Maximen von Meinungsbildung und Mehrheitsentscheidung maßgeblich (die sind an anderer Stelle bereits getroffen), sondern der schnelle Aktions-orientierte Entschluss und dessen konsequenter und hoffentlich auch kompetenter Vollzug.

„Hierarchisch gegliederte Aktionseinheiten in einem demokratischen System, sind daher kein Widerspruch in sich, und auch nichts „Falsches im Richtigen" (um das bekannte Adorno- Wort zu variieren). Sehr wohl aber ist die hierarchisch gegliederte Polizei als Inhaberin des innerstaatlichen Gewaltmonopols immer auch ein potentieller Gefahrenherd für ein demokratisches Staatswesen. Dann nämlich, wenn die Polizei sich verselbständigt und sich gegen das System richtet, dem zu dienen sie angetreten ist. Die Gründe für eine solche illoyale Abwendung der Polizei von der Verfassung sind jederzeit konstruierbar: etwa die Begründung, dieses System „gewährleiste keine Sicherheit mehr" oder „habe sich der Korruption oder gar der Organisierten Kriminalität ausgeliefert". Eine durch die Polizei verursachte Gefahrenlage kann sich bei einer entsprechenden Dimension des Problems auch dann entwickeln, wenn die Polizei eine Gesetzeslage realisiert, die ihrerseits verfassungswidrig ist."

Dass prinzipiell solche Konfliktlagen entstehen können, zeige nicht nur die Geschichte, sondern auch eine Schrift der Humanistischen Union aus dem Jahre 2003 („Innere Sicherheit als Gefahr"), die sich u.a. mit ständigen Grundrechtsverletzungen und datenschutzrechtlichen Übergriffen des Staates auseinander setzt.

Wrocklage erinnerte daran: „Wir wissen: Freiheit stirbt in kleinen, schleichenden Schritten. Hier ist Gegenwehr erforderlich. Gegenwehr setzt eine entsprechende Zivilcourage voraus." Zivilcourage im Einflussbereich der Polizeiapparate sei umso wirksamer, je mehr die „Zivilität" in der Polizei selbst ausgeprägt sei.

„Lassen Sie mich", so der Referent, „deshalb auf ein wesentliches Kriterium für die demokratische Qualität einer Polizei hinweisen, darauf nämlich, wie entscheidend eine eindeutig zivile politische Leitung der Polizei ist. Es ist diese zivile Leitung, die demokratische Werte und demokratische Mehrheitsentscheidungen und - auch das ist entscheidend wichtig - zivile Weltsichten in die Polizeiorganisation hinein trägt. Gerade auch in der aktuellen Lage ist es die zivile politische Leitung der Polizei, die drei vorrangige Aufgaben im Zusammenhang mit der Gewährleistung der öffentliche Sicherheit zu bewältigen hat:

  • Erstens muss die zivile politische Leitung das Primat der Politik durch tatsächlich wahrgenommene und wirksame Führung der Polizei durchsetzen (ein Kuschen vor dem Sicherheitsapparat darf es nicht geben),
  • Zweitens muss die zivile Leitung für eine demokratische Stabilität innerhalb der Sicherheitsorgane Sorge tragen: dafür nämlich, dass sich die Polizei in ihrer allgemeinen Orientierung und in ihren Einzelfallentscheidungen der Verfassung nicht nur als allgemeiner Rechtsordnung, sondern als innerer Verhaltensmaxime verpflichtet weiß. Das heißt: Die Politik hat zu gewährleisten, dass die Polizei die Menschen- und Grundrechte (z.B. das Demonstrationsrecht) aus innerer Überzeugung genau so respektiert wie die anderen Leitentscheidungen der Verfassung (z.B. das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip).
  • Drittens muss die politische Leitung der Versuchung widerstehen, den ständigen Forderungen nach „schärferen Gesetzen" bzw. nach „schärferen Exekutivmaßnahmen" zur Herstellung oder zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit zu erliegen, wie sie oft gerade auch aus den Sicherheitsapparaten selbst in die Öffentlichkeit getragen oder auch lanciert werden (oft verbunden mit zusätzlichen Finanz- und Personalforderungen).

Das Stichwort „Demokratisierung der Polizei" tauche auch international – von Argentinien über Liberia bis zum Irak – immer dann auf, wenn es um eine Neuordnung nach einem Systemwechsel von einem autoritären oder diktatorischen Regime hin zu einer demokratischen Verfassung geht. Insgesamt ergäben sich daraus zwei interessante Erkenntnisse:

  • einmal habe die jeweilige Staatsform zumindest der Tendenz nach einen maßgebenden Einfluss auf die Organisation der Polizei: Diktaturen zentralisieren die Polizei, Demokratien dezentralisieren sie.
  • zum anderen sei die Organisation des Polizeiapparates zumindest ein Indiz für den Stand der Entwicklung einer Demokratie in einem Staate. Um es positiv auszudrücken: Eine Demokratie erscheint als Staatsform umso nachhaltiger in der Wirklichkeit etabliert und gefestigt, je entwickelter die Organisationskultur der Polizei ist.

 

Was bedeute das nun konkret für die Polizei?

In einem ersten Schritt erläuterte der Innensenator a. D. konkrete Ansatzpunkte interner polizeilicher Organisationskultur im weitesten Sinne, die er in Leitbegriffen zusammenfasste. Benannt und erläutert wurden: Zivile Leitung der Polizei / Dezentralisierung als organisatorisches Grundprinzip, und dementsprechend Delegation von Verantwortung, auf der Basis dieses Prinzips / Zusammenfassung der Aufgaben nach dem Grundsatz der Einheit von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung - AKV / Eigenständiges Budgetrecht dezentralisierter Polizeibehörden / Teambasierte Aufbauorganisation nach Regelkreisen / Systematische Kooperation mit anderen Dienststellen (z.B. Jugendnothilfe, Sozialarbeiter, Drogenberatungsstellen) / Individualisierung der Verantwortung und Transparenz der Polizeiarbeit etwa durch Einführung von Namensschildern / Neuordnung der Aus- und Fortbildung der Polizei im Sinne einer Externalisierung der Ausbildungsorganisation und einer Modernisierung der Ausbildungs- und Fortbildungsinhalte (Stichwort z.B. Menschenrechtsbildung der Polizei).

Wrocklage betonte sehr eindrücklich: „Meine Damen und Herren, auch wenn diese Stichworte zunächst technokratisch klingen mögen, niemand sollte den Eigenwert jeder einzelnen dieser Maßnahmen (z.B. Einführung von Namensschilder) gering achten. Erst recht aber kann die Realisierung dieser (und weiterer) Maßnahmen als geschlossenes Handlungskonzept aufgrund ihres kumulativen Effektes einen Mentalitätswechsel im polizeilichen Personalkörper bewirken und damit zu einer neuen Organisationskultur in der Polizei führen. Damit würde die Polizei einen echten demokratischen Qualitätssprung nach vorn machen und an demokratischem Profil nach Art eines Qualitätsstandards gewinnen.

Schließlich behandelte Hartmuth Wrocklage die Möglichkeit einer vertieften Demokratisierung der Polizei durch externe Einflussmechanismen.

Zunächst verdeutlichte er zur Klarstellung: „Die verfassungsrechtlich erforderliche demokratische Legitimationskette für die Institution und den Einsatz der Polizei ist eindeutig gegeben. Und zwar durch die entsprechenden Polizeigesetze, durch die Bereitstellung der erforderlichen Etatmittel, durch die politische und parlamentarische Verantwortung des jeweils zuständigen Innenministers für die Polizeien von Bund und Ländern. Der Innenminister selbst und damit im weiteren Sinne auch die Polizei wird durch das Parlament und seine Ausschüsse (Innenausschuss, ggf. parlamentarische Untersuchungsausschuss) kontrolliert.

Man könnte denken, damit sei die Welt in Ordnung. Aber sie ist es nicht. Wie nicht nur die Insider (die es aber nicht gern zugeben) wissen, sondern z.B. auch die mit Menschenrechtsfragen befassten NGO's (etwa amnesty international, die Deutsche Liga für Menschenrechte, die Humanistische Union), gibt es Kontrolldefizite bei der Polizei. Die am schwersten wiegende Kontroll-Lücke ist eine strukturelle. Sie wird gemeinhin mit dem Phänomen „Mauer des Schweigens" beschrieben.

Es geht hier um folgendes Dilemma: Einerseits steht jeder Polizeibeamter unter Strafverfolgungszwang (§ 163 StPO). Er muss also strafbares Verhalten eines Kollegen anzeigen. Andererseits setzt er sich damit in Widerspruch zu dem persönlichen Interesse seines Kollegen und zu der vermeintlichen Interessenlage der Polizeiorganisation als Ganze. Diese Interessen scheinen aus der Sicht „der Polizei" zu gebieten, kein „Kameradenschwein" zu sein, das „eigene Nest" nicht zu beschmutzen", die „Klappe zu halten". Verstößt ein Beamter gegen diese „Kultur" ist er massiven Pressionen ausgesetzt, die von Mobbing, über strukturelle Ausgrenzung bis zu Retourkutschen gehen können, wenn nicht zu noch Schlimmerem."

Wenn sich nun ein Beamter den Normen einer solchen Polizeikultur und der Pression seiner Kollegen beuge, mache er sich selbst wegen Strafvereitelung im Amt strafbar (§§ 258, 258 a StGB). Aus dem Zeugen wird ein Täter. Ursprungstäter und Folgetäter haben eine „gemeinsame Leiche im Keller". Beide sind auf Dauer voneinander abhängig. Das Fundament für eine Mauer des Schweigens sei gelegt. Und diese Mauer wachse, vervielfältige sich und werde nahezu undurchdringlich.

Ein Lösungsweg aus diesem Dilemma heraus - Königswege gäbt es nicht - könne in der Schaffung einer externen nicht dem Strafverfolgungszwang unterworfenen Institution liegen. Solche Institutionen sind unter verschiedenen Namen im Ausland bereits errichtet worden: z.B. das „Klachtenbüro" in Amsterdam, die „Police-Complaints-Commission" in Kanada oder die „Police-Complaints-Authority (PCA) in Australien.

„Wie notwendig eine effektiv arbeitende Polizeikommission oder ein Polizeibeauftragter nach Art des Wehrbeauftragten ist, das hat mir meine Zeit in der Verantwortung als Innensenator eindringlich vor Augen geführt. Rolf Gössner, Menschenrechtler, Rechtsanwalt und Publizist, hat dazu Vorschläge gemacht, die weitgehend meinen Erfahrungen und Vorstellungen entsprechen. Er fordert eine professionelle, unabhängige, polizeiexterne Kontrollinstanz mit angemessenem Unterbau und mit speziellen Kontrollbefugnissen, etwa mit: dem Akteneinsichtsrecht / dem Auskunftsrecht / dem Ladungs- und Vernehmungsrecht / dem Zutrittsrecht / dem Recht auf Unterstützung durch Polizeidienststellen und andere Behörden / dem Recht auf Beteiligung im Gesetzesverfahren / dem Recht auf selbständige Öffentlichkeitsarbeit."

Darüber hinaus sollten wir alle einen Blick nach Belgien werfen. Dort bestehe ein so genannter Ausschuss P, der klar dem legislativen Bereich zugeordnet sei, aber so weitreichende polizeiliche Befugnisse habe (man könnte von einer „Gegenpolizei" sprechen), dass nicht zu befürchten ist, dass Polizeibeamte es wagen würden, eine „Verweigerungshaltung" einzunehmen.

„Ohne eine effektive externe demokratische Kontrollinstanz fehlt derzeit eine solche Gegenmacht. Das ist ein schweres Defizit im Bereich des aktiven Demokratieschutzes. Deshalb plädiere ich für eine schlagkräftige, unabhängige, externe Kontrollinstanz für die Polizei, die bei Bund und Bundesländern den jeweiligen Parlamenten zugeordnet ist."

Insgesamt kam Wrocklage zu der Schlussfolgerung, die zugleich eine klare positive Beantwortung der im Thema seines Vortrages gestellten Ausgangsfrage ist:
1. Eine Demokratisierung der Polizei, wie sie unter dem Aspekt interner und externer Erhöhung der Kontrollintensität erörtert wurde, ist nicht nur möglich, sondern sie ist zwingend erforderlich.
2. Sie ist es generell, aber auch und erst recht in Zeiten allgemeiner Sicherheitshysterie.
3. Die Demokratisierung der Polizei ist ein Ziel, für das sich Bürgerengagement lohnt: Wir brauchen dringend eine tief greifende Polizeireform in Bund und Ländern.

 

CF