Politischer Karneval beim Rosenmontagszug

Düsseldorf bietet der Weltlage die satirische Stirn

Je schlechter die Zeiten, desto besser die Satire: Stolze vierzehn politische Mottowagen hat das Team um den Bildhauer und Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung Jacques Tilly diesmal auf die Straße gebracht – ein neuer Rekord. Stoff genug gab es wahrlich.

Gestern rollte der Rosenmontags-"Zoch" wieder durch Düsseldorf. Mit dabei die weltberühmten politischen Karikaturen-Plastiken des Tilly-Teams.

Allem voran schickten die karnevalistischen Künstler eine Triggerwarnung in Form eines Narren mit Abrissbirne: "Einige Mottowagen könnten verstörend sein" heißt es da auf dessen roter Clownsnase und warnte die Schaulustigen vor dem beißenden, mitunter auch deftigen Spott, der sie an der Strecke erwarten sollte. "Damit schließen wir uns ironisch einem Trend an: der inflationär eingesetzten Unsitte der Triggerwarnung auf Büchern, vor Filmen und Theateraufführungen usw. Viele Menschen empfinden das zu Recht als Bevormundung durch übereifrige Tugendwächter", so Jacques Tilly dazu. "Ob dieser Wagen vielleicht auch die nächsten Jahre als erster Mottowagen fahren wird?"

"Triggerwarnung"
Foto: © Ricarda Hinz

Nicht nur in einigen islamischen Ländern herrscht Geschlechter-Apartheid, sondern auch noch in einigen Karnevalsvereinen des 21. Jahrhunderts: "Im Heimatverein Düsseldorfer Jonges dürfen Frauen – wie auch noch in einigen Karnevalsvereinen aus Köln und Düsseldorf – nicht Mitglied werden", erklärt der Düsseldorfer Wagenbaumeister die zweite 3D-Karikatur mit dem Titel "Frauen bleiben draußen". "Der Vergleich zu den Mullahs im Iran, die extrem frauenfeindlich sind und die Frauen mit Gewalt unter das Kopftuch und den Hijab zwängen, ist vielleicht etwas übertrieben. Aber den Vorwurf, nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein, müssen sich die Herrschaften einfach gefallen lassen", findet Tilly.

"Frauen müssen draußen bleiben"
Foto: © Ricarda Hinz

"Wie die Nazis in den 1920er und 30er Jahren das Radio für sich entdeckten und nutzten, hat die AfD die Kurzvideoplattform TikTok für sich entdeckt und gießt ihre braune Soße in die Köpfe vor allem der jungen Menschen, der Erstwähler", beschreibt sein Erschaffer Wagen Nummer drei. Man sieht die Kanzlerkandidatin der in Teilen gesichert rechtsextremen Partei, wie sie als Hexe im Knusperhaus begeisterten Erstwählern einen Pfefferkuchen in Hakenkreuzform reicht. "Die jungen Menschen sehen nicht, dass die AfD die geistige Nachfolgeorganisation der NPD ist – oder, viel schlimmer, es ist ihnen einfach egal."

"Alice Weidel, die Knusperhexe"
Foto: © Ricarda Hinz

Der nächste Wagen hat bereits eine weite Reise hinter sich: Er war im vergangenen Jahr anlässlich der fünften Amtseinführung Waldimir Putins schon in die Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Seit 2023 liegt ein internationaler Haftbefehl gegen den russischen Herrscher vor. "Denn Putin gehört nicht auf den Präsidentenstuhl, er gehört in den Knast", konstatiert der Düsseldorfer Künstler. Hier ist der Kreml-Chef in Sträflingskleidung und mit blutigen Händen dargestellt, gekettet an eine riesige Eisenkugel, auf der steht: "PUTin jail!" Jacques Tilly steht seit Jahren mit demokratischen Widerstandsorganisationen im Austausch, die häufig seine Figuren über den Karneval hinaus einsetzen. Sei es im Kontext des Brexit, gegen die PiS-Partei in Polen oder eben für ein freiheitliches Russland.

"PUTin jail!"
Foto: © Ricarda Hinz

"Die drei Säcke", wie Bildhauer Tilly sie genannt hat, teilen sich den nachfolgenden Mottowagen. Und der Name ist durchaus wörtlich zu verstehen: Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der russische Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump, die gerade unter sich die Welt aufzuteilen scheinen, sind allesamt nackt dargestellt, mit überdimensionierten Hoden, auf denen jeweils passend zum Land, das sie regieren "Make … great again" zu lesen ist, angelehnt an den Wahl-Slogan Trumps. Sie seien das neue Trio infernale dieser Erde, sagt der Erbauer. "Mit ihnen beginnt wieder ein neues Zeitalter der Schurkenstaaten, wie schon in den 1920er und 30er Jahren in der Epoche des Faschismus. Vor allem Putin und Trump feiern ihre primitive Männlichkeit, aber alle drei inszenieren sich als Herrscher mit den dicksten überhaupt denkbaren Eiern. Alle drei Großmächte dieser Erde befinden sich jetzt in den Händen von antidemokratischen Despoten, kriminellen Gewaltherrschern. Jetzt gilt wieder das Faustrecht, das Recht des Stärkeren, wie schon in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte. Das liberale Zeitalter der Nachkriegszeit mit ihrer Rechtsstaatlichkeit und ihren Menschenrechten ist vorbei. Der liberale Westen existiert nicht mehr, Europa ist weltweit die letzte verbliebene Insel demokratisch fundierter Rechtsstaatlichkeit. Die Frage ist: Wie lange noch?" – so lautet seine bittere Bilanz.

"Die drei Säcke"
Foto: © Ricarda Hinz

Ein riesiger Augapfel ist auf einen ängstlichen Satiriker gerichtet: Die Wokeness hat ihn genau im Blick und passt auf, was er sagt und tut. Für Jacques Tilly hat dieser Wagen auch eine persönliche Bedeutung: "Alle kuschen vor den Woken, den 'Erwachten', den selbst ernannten Antirassisten und Diskriminierungsfeinden: Die Medien, die Politik, die Wirtschaft, die Kulturschaffenden, Satiriker und Karikaturisten. Alle haben Angst vor dem nächsten Shitstorm, der zum Rufmord und damit zum Karriereende führen kann." Die Schwelle dessen, was als grenzüberschreitende Verletzung gilt, sei in den letzten Jahren immer weiter nach unten geschraubt worden. "Wirklich freche Satire, die per definitionem verletzend sein muss, wird dadurch erschwert oder gar verunmöglicht", so der Karikaturist über sein Metier. "Dieser Wagen soll den Humoristen Mut machen, sich wieder ihrer Hauptaufgabe zuzuwenden, nämlich mit beißendem Spott und großem Mut darauf aufmerksam zu machen, dass Fehlentwicklungen stattfinden. Und die Wokeness in ihrem jetzigen Zustand, mit ihrer inquistorischen Prangermentalität, ist eine Fehlentwicklung."

"Wokeness is watching"
Foto: © Ricarda Hinz

Eine Plastik widmete der Düsseldorfer Wagenbaumeister dem Nahostkonflikt. Ein Gott – welcher, kann man sich aussuchen, somit kann sich auch niemand über die Darstellung einer Gottheit echauffieren, die man laut religiöser Gebote nicht darstellen darf – hält in der einen Hand einen Israeli, in der anderen einen Palästinenser am Ohr gepackt und schreit sie wütend an: "Und jetzt sucht endlich eine politische Lösung!" – Dieser Gott habe den ewigen Kreislauf von Verbrechen und Vergeltung im Nahen Osten einfach nur noch satt, beschreibt Tilly sein Werk. "Zumal sich fast alle Beteiligten dieses Dauerkonflikts missbräuchlich auf Gott berufen und ihren Kampf mit angeblich 'heiligen' Schriften legitimieren." Die Hamas hat den schlimmsten Massenmord an Juden nach dem Holocaust begangen, und das israelische Militär hat danach inzwischen über 40.000 Palästinenser getötet, die große Mehrzahl davon Frauen und Kinder. "So wird das Morden wohl die nächsten Jahrzehnte weitergehen ­­­­– wenn Gott nicht endlich direkt eingreift und den Konfliktparteien gehörig die Meinung geigt", prophezeit der Karnevalskünstler.

"Irgendein Gott zum Nahostkonflikt"
Foto: © Ricarda Hinz

Wie wird die KI die Welt und das menschliche Zusammenleben verändern? Wird sie den Menschen nur unterstützen oder zur Gefahr? "Das Leben auf diesem Planeten wird durch KI in einem Maße verändert werden, das wir uns noch gar nicht richtig vorstellen können", ist Jacques Tilly überzeugt. In seiner Darstellung frisst die Künstliche Intelligenz ein menschliches Gehirn, denn der Bildhauer aus der Rheinstadt meint, eine der Folgen werde sein, dass wir alle dümmer und fauler werden. "Wozu noch lernen, sich anstrengen, nachdenken und recherchieren, wenn doch die KI alle Probleme im Nu lösen wird? Die Folge: Unser Denkorgan wird verkümmern."

"KI frisst Gehirn auf"
Foto: © Ricarda Hinz

Dass die Kommunen finanziell überlastet sind, ist ein ähnlicher Evergreen in den Nachrichten wie die überbordende Bürokratie, die jede Partei vorhat abzubauen, und der Fachkräftemangel, dem niemand ernsthaft beikam, bis er drastische Lücken im Alltag verursachte. Das Tilly-Team hat die Kommunen als Esel dargestellt, der unter dem Gewicht von Soziallasten und Altschulden, die er tragen soll, droht, zusammenzubrechen. Das Motiv gab es schon einmal, als Auftragsarbeit für das Aktionsbündnis Für die Würde unserer Städte, dem 70 Kommunen aus sieben Bundesländern angehören. 2021 besuchte es die Parteizentralen in Berlin und das Tier ächzte noch unter den Coronalasten. "Die Ausgaben, die Bund und Ländern den Kommunen aufoktroyieren, werden immer höher und treiben die Kommunen in eine Schuldenfalle", führt der Erbauer des Wagens aus. "Durch die Tilgung der Zinsen für die Altschulden drohen finanzschwache Kommunen handlungsunfähig zu werden. Der Bund muss endlich die Altschulden übernehmen, er muss endlich fair mit den benachteiligten Städten und Gemeinden umgehen", fordert Tilly.

"Kommunenesel"
Foto: © Ricarda Hinz

Dann kam ein besonders treffendes Bild: Ein Arzt versucht den Tech-Milliardär Elon Musk mit einer Zwangsjacke einzufangen, während dieser mit wahnsinnigem Gesichtsausdruck, mit einem Dreispitz mit dem Titel "Napo-Elon" auf dem Kopf und einer offenkundig vollen Windel mit AfD-Aufdruck bekleidet vor ihm wegrennt. In der einen Hand hält Musk ein Megafon, beschriftet mit "X" – wie das Soziale Netzwerk, das einmal Twitter war, bevor er es gekauft hat – aus dem braune Flüssigkeit quillt, in der anderen ein US-Fähnchen in Hakenkreuz-Form. "Musk war mal ein genialer Visionär und Geschäftsmann, der mit Tesla und SpaceX neue Maßstäbe gesetzt hat. Nun hat sich er sich selbst in einen faschistoiden Rechtsextremismus hineinradikalisiert", ordnet der kreative Erschaffer sein Werk ein. Musk wolle, gemeinsam mit seinem Chef Trump, die amerikanische Demokratie zerstören. Seine Aufgabe dabei sei die Vernichtung der Staatsverwaltung und der Staatsorgane. "Ganz klar: Elon ist größenwahnsinnig, hält sich für 'Napo-Elon'. Er gehört inzwischen eindeutig in die Klapsmühle."

"Napo-Elon"
Foto: © Ricarda Hinz

Besagter Chef folgte ihm auf dem Fuße: Donald Trump, der durch das Liebäugeln mit Annexionen und Zöllen die Weltordnung und die Weltwirtschaft in Brand steckt und Flächenbrände mit Klimazerstörung und Massenabschiebungen verursacht. "Mit Donald Trump ist ein Wahnsinniger auf den Posten des mächtigsten Menschen der Welt gekommen, nun schon zum zweiten Mal", sagt es Jacques Tilly ganz direkt heraus. "Diesmal will er alles 'richtig' machen. Sein Hauptziel ist die Zerstörung der alten liberalen Ordnung. Alles, was seiner kruden Weltsicht widerspricht, wird von ihm aggressiv vernichtet. Er ist der ultimative Brandstifter, ein kranker Pyromane, der die Welt brennen sehen möchte – wie einst Kaiser Nero." Er lebe in einer eigenen "Trumpwelt", die mit der wirklichen Welt nichts mehr zu tun habe. "Da Trump jeden Tag neue Unglaublichkeiten raushaut, fällt es den Wagenbauern wirklich schwer, bei dieser sich immer schneller drehenden Irrsinnsspirale mitzuhalten", stellt er zudem trocken fest.

"Donald Trump, der Pyromane"
Foto: © Ricarda Hinz

Hitler-Vergleiche sind so eine Sache. Häufig werden sie leichtfertig gezogen und damit ihre Drastik verwässert. Dieser hier scheint aber mittlerweile angebracht: Wladimir Putin und Donald Trump reichen sich die Hand zum "Hitler-Stalin-Pakt 2.0" und zerquetschen dabei die Ukraine. Der Karnevalswagenbauer führt aus: "Trump verübt gerade an der Ukraine und ihrem bewundernswerten Kampf gegen den überlegenen russischen Angreifer einen ungeheuerlichen Verrat. Er verbündet sich gegen die Ukraine mit dem russischen Aggressor Putin und übernimmt Eins zu Eins die verlogene Sichtweise der russischen Staatspropaganda." Es gebe eine historische Parallele zu diesen aktuellen Geschehnissen: "1939, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, einigen sich die Schurkenstaaten Hitlerdeutschland und Stalins Russland auf Kosten Polens im Hitler-Stalin Pakt. In einem geheimen Zusatzprotokoll teilten sie Polen in ihre Interessensphären auf. Eine Neuauflage dieses verbrecherischen Politaktes könnte momentan wieder stattfinden. Nur heute nicht auf Kosten Polens, sondern auf Kosten der Ukraine."

"Hitler-Stalin-Pakt 2.0"
Foto: © Ricarda Hinz

Die Ampel ist Geschichte, ihre Spitzenvertreter werden nach derzeitigem Stand wohl in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden. Das Bild dazu: Olaf Scholz versucht noch, am Meeresgrund mit seinem roten Boot weiterzusteuern, von Christian Lindner ist nur noch ein Totenschädel übrig. "Die SPD und Kanzler Scholz haben in der jetzigen Bundestagswahl eine beispiellose Niederlage erlitten. Mit 16 Prozent erreichten die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis in ihrer bald 150-jährigen Geschichte", erklärt Tilly den dreizehnten Wagen der diesjährigen Session. Diese Wahlniederlage gehe eindeutig auf Scholz' Konto. Der Düsseldorfer Bildhauer findet dazu deutliche Worte: "Scholz war als Kanzler von Anfang an eine Fehlbesetzung. Seine Politik war die eines Zauderers, eines Zögerers, eines kleinmütigen Bedenkenträgers. Sie war schon immer inkonsequent, initiativlos und feige. Diese Untugenden hat er uns allerdings fälschlicherweise als 'Besonnenheit' verkauft. (…) Scholz ist und bleibt ein 'Scholzomat', ein wandelnder Aktenordner. Er ist im Kern immer ein kleiner, überforderter Beamter geblieben. Ganz im Gegensatz dazu steht seine an Selbstüberschätzung krankende Eigenwahrnehmung. Er glaubt immer, als einziger den Durchblick zu haben. (…) Er ist völlig zu Recht abgesoffen."

"Olaf Scholz ist abgesoffen"
Foto: © Ricarda Hinz

Friedrich Merz von der Union wird Olaf Scholz nachfolgen. Ersteren porträtierte das Wagenbauteam als überforderten Esel, der vor lauter Last, die er mit der Deutschland-Kutsche ziehen soll, die Beine nicht auf den Boden bekommt. Die Gewichte sind Schuldenbremse, Invesitionsstau, Rezession, Trump, Ukrainekrieg, Migration, Bundeswehrfinanzierung und die AfD. Der Kommentar dazu lautet: "Der zukünftige Kanzler Merz übernimmt sein Amt in einer sehr schwierigen innen- und außenpolitischen Situation. Er muss ohne Zögern und Zaudern (im Gegensatz zu seinem Vorgänger) sehr viele Probleme auf einmal angehen (…). Wollen wir hoffen, dass er sich politisch nicht als Leichtgewicht herausstellt und dem Amt auch in diesen schweren Zeiten gewachsen ist (…). Wir brauchen jetzt einen Kanzler, der nicht von dem Gewicht der vielen Krisen und Probleme heillos überfordert ist."

"Friedrich Merz als überforderter Esel"
Foto: © Ricarda Hinz

Wie immer entfaltete die Bildsprache ihre über alle Grenzen hinweg funktionierende Wirkung: Weltweit wurde über die Düsseldorfer Karnevalswagen berichtet. Man kann hoffen, dass es auch die erreicht, die hier karikiert wurden.

Unterstützen Sie uns bei Steady!