Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass alle, die sich nun für “bessere Bildung in der Kommune” einsetzen, auf die Privatisierung von Schulen etc. abzielen?
Nun, da sprechen wir jetzt über den altbekannten Unterschied zwischen individuellen Ansätzen und Absichten auf der einen und dem objektiven Wirken von Engagement und Aktivität auf der anderen Seite. Die Übernahme von Bildungsverantwortung auf kommunaler Ebene selbst stellt ja auch noch nicht die befürchtete Privatisierung dar, sie ist ja quasi erst der rote Teppich, der dieser den Weg auslegt und ebnet. Wenn es über die Länder- und Bundesfinanzen nicht gewährleistet wurde, müssen sich die hier Engagierten schlicht fragen lassen, wie soll es denn dann aber mittels der noch schlechteren Kassenlage der Kommunen möglich sein, die Unterfinanzierung der öffentlichen Bildung zu wuppen – die ja in kommunaler Hand zunächst vielleicht noch weiterhin öffentlich bliebe, wenn sie denn da bliebe.
Und genau da liegt dann auch der Hase im Pfeffer… Denn wie bereits an Beispielen aus Bayern, die wir in der Broschüre anführen, zu sehen ist, sehen sich die Kommunen angesichts ihrer Haushaltsprobleme immer mehr außerstande, Bildungseinrichtungen wirklich zu halten und gehen früher oder später dazu über, diese an private Träger zu verscherbeln. Und diese Konsequenz soll dann Zufall sein? Wir jedenfalls glauben nicht daran. Und ich werde auch nicht müde, in diesem Kontext aus einem denkwürdigen Strategiepapier der OECD zu zitieren. Dort heißt es, und deutlicher kann man es wohl kaum ankündigen:
“Um das Haushaltsdefizit zu reduzieren, sind sehr substanzielle Einschnitte im Bereich der öffentlichen Investitionen oder die Kürzung der Mittel für laufende Kosten ohne jedes politische Risiko. Wenn Mittel für laufende Kosten gekürzt werden, dann sollte die Quantität der Dienstleistung nicht reduziert werden, auch wenn die Qualität darunter leidet. Beispielsweise lassen sich Haushaltsmittel für Schulen und Universitäten kürzen, aber es wäre gefährlich, die Zahl der Studierenden zu beschränken. Familien reagieren gewaltsam, wenn ihren Kindern der Zugang verweigert wird, aber nicht auf eine allmähliche Absenkung der Qualität der dargebotenen Bildung, und so kann die Schule immer mehr dazu übergehen, für bestimmte Zwecke von den Familien Eigenbeiträge zu verlangen, oder bestimmte Tätigkeiten ganz einstellen. Dabei sollte nur nach und nach so vorgegangen werden, z.B. in einer Schule, aber nicht in der benachbarten Einrichtung, um jede allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zu vermeiden.”
Gibt es denn Erfahrungen aus anderen Ländern im Diskurs um Kommunalisierung und Privatisierung? Wie läuft es beispielsweise in Schweden, dem bisherigen Bildungsmusterland, dessen Schulsystem vor einigen Jahren kommunalisiert worden ist?
Unser Autor Uli Ludwig hat für uns den Geschäftsführer des schwedischen Zentralverbandes der Lehrerinnen und Lehrer, Lars Hallenberg, interviewt, der sehr eindrücklich schildert, wie drastisch die Kommunalisierung der Schulen in Schweden dort die Arbeitsbedingungen verschlechtert und letztlich zur massenhaften Einführung der privaten so genannten “Freien Schulen” geführt hat. Ludwig stellt in einem eigenen Aufsatz denn auch die schwedische Kommunalisierung der öffentlichen Schulen als neoliberales Projekt dar und entkleidet damit zugleich den Mythos vom schwedischen Bildungsmusterland.
Und wie verhält es sich mit dem oft bemühten Vorbild USA, wo das öffentliche Schulsystem schon immer in kommunaler Hand war?
Matthias Holland-Letz, Diplom-Volkswirt und freier Fachjournalist für Politik und Wirtschaft, der unter anderem für die Privatisierungsreporte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verantwortlich zeichnet, gibt mit seinem Beitrag “Schul-Privatisierung in den USA. Charter Schools auf dem Vormarsch” eine Antwort auch auf diese Frage. Dabei zeichnet er nicht nur ein Bild vom zunehmenden Niedergang des öffentlichen Bildungssystems in den USA, sondern konstatiert auch bereits den Beginn des Einmarsches charter-school-ähnlicher Einrichtungen in die deutsche “Bildungslandschaft”.
Die Strategie der Verteidiger des öffentlichen Schulsystems sollte in den nächsten Jahren also sein…
…zunächst weiterhin die Lage so gut und genau zu beobachten und zu analysieren, wie es zum Beispiel Herbert Storn in seinem Aufsatz über die Erfahrungen in Frankfurt tut, um mit dieser Analyse dann vor Ort, aber auch landes- und bundesweit, aufklären und die laufenden Privatisierungstendenzen angreifen zu können. Wir hoffen, mit unserer Broschüre einen Beitrag dazu geleistet zu haben. Gleichzeitig muss um eine auskömmliche Steuerfinanzierung zur qualitativ hochwertigen Erfüllung der öffentlichen Bildungsaufgaben gekämpft werden. Hier muss auch die Bildungsgewerkschaft GEW ihre Aktivitäten noch entschiedener ausweiten. Denn ein gutes öffentliches Bildungssystem nach dem Motto “Freier Zugang statt freier Handel!” ist und bleibt die beste Bastion gegen Angriffe von privat interessierter Seite.
Vielen Dank für das Gespräch.
Reinhard Frankl ist Grund- und Hauptschullehrer im Landkreis Aschaffenburg und hat seit Ende der 80-iger Jahre Funktionen auf verschiedenen Gliederungsebenen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) inne. 2005–2012 war er unter anderem Sprecher der AG Bildungsfinanzierung beim Hauptvorstand der GEW. Seit einigen Jahren ist er zudem Sprecher von Attac Aschaffenburg und Vorstandsmitglied von KLARtext e.V.
Die erwähnte Broschüre wird von KLARtext e.V. mit Unterstützung des Vereins Schule und Erziehung Aschaffenburg und der GEW Hessen herausgegeben und kann gegen eine Spende (mindestens 2 Euro) plus evtl. Versandkosten über info(at)klartext-info.de bestellt werden. Zudem steht ihr Inhaltsverzeichnis auch zum [Download PDF - 337 KB] bereit.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors von den Nachdenkseiten übernommen.