"Islamismus und religionsbezogene Konflikte an Schulen" – so lautete er Titel der September-Veranstaltung des Arbeitskreises Säkulare der SPD Düsseldorf. Auslöser für diesen Diskussionsabend war ein Zeitungsbericht aus der Lokalpresse Anfang des Jahres 2024, der von erheblichen Störungen des Schulfriedens an einer Gesamtschule in Neuss durch eine sogenannte "Scharia-Polizei" berichtete.
Eingeleitet von Philipp Möller, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Konfessionsfreien, hielt Michael Hammerbacher1, Leiter des DEVI - Verein für Demokratie und Vielfalt e.V. in Berlin einen Vortrag über das Phänomen der "konfrontativen Religionsbekundung".
Seit 2017 bildet der DEVI Pädagogen zu "Beratungslehrern für weltanschauliche und religiöse Vielfalt" aus, organisiert Projekttage und bietet Fallbegleitungen an Schulen an. Im Jahr 2021 führte der Verein im Rahmen der vom Bezirksamt Berlin Neukölln geplanten Einrichtung einer "Anlauf- und Dokumentationsstelle Konfrontative Religionsbekundung" eine Bestandsaufnahme an zehn Neuköllner Schulen durch und beauftragte die Ethnologin Susanne Schröter mit der Evaluation des Pilotvorhabens.
Die Umfrage des DEVI zeigte Hinweise auf besorgniserregende Auswirkungen islamistischer Agitation an den untersuchten Schulen in Neukölln, insbesondere in Form von religionsbezogenen Konflikten. Dies führte damals zu erheblichem politischen Aufruhr.
"Konfrontative Religionsbekundung" – Was ist das?
Beim Phänomen der konfrontativen Religionsbekundung oder bei religionsbezogenen Konflikten an Schulen handelt sich um:
- Konflikte um religiöse Kleidung
- Forderung nach Gebetszeiten und -räumen
- Nichtteilnahme an schulischen Aktivitäten
- Verweigerung von Aufgabenstellungen
- Beanspruchung von Sonderrechten
- Systematische und lang anhaltende Demütigungen und Beleidigungen entlang von religiösen Themen
- Abwertung von Pädagoginnen
- Anpassungsdruck - besonders auf muslimische Schülerinnen
Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme hatten im Anschluss linke und grüne Abgeordnete der Berliner Regierung zusammen mit islamistischen Verbänden dazu veranlasst, die DEVI-Erhebung als "antimuslimisch" zu diffamieren. Neben der Rufschädigung für den Verein wurden auch die Gelder für die geplante Dokumentationsstelle gestrichen. Es sei ein regelrechter "Shitstorm" gewesen, wie Michael Hammerbacher berichtete.
Man habe den DEVI sogar aus der "Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus" ausschließen wollen, einem Fachverband von rund 30 Organisationen, die in der Prävention zum Thema Islamismus bundesweit tätig sind und von "Demokratie leben" gefördert werden.
Die finanzielle Förderung des DEVI e.V. sei inzwischen aber wieder sichergestellt, wie der Referent auf Nachfrage berichtete.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle dokumentierten "religionsbezogenen Konflikte" an Schulen Vorfälle mit muslimischem Hintergrund betreffen.
Da es bislang keine repräsentative, bundesweit angelegte wissenschaftliche Studie zu diesem Phänomen gibt, berief sich der Leiter des DEVI auf Ergebnisse aus sieben anderen Untersuchungen, die seit 2017 durchgeführt wurden. Allerdings sind auch diese Studien nicht repräsentativ und beziehen sich jeweils auf vergleichsweise kleine Fallgruppen.
So enthüllte der Forschungsbericht "Junge Menschen in Deutschland 2022" (JuMiD 2022) des Instituts für Kriminologie der Universität Hamburg nach der Auswertung der Antworten (circa 3.500 Befragte, rund 300 Muslime):
- 47,8 Prozent stimmten der Aussage zu "Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen",
- 43,2 Prozent stimmten der Aussage zu "Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland",
- 40,1 Prozent stimmten der Aussage zu "Die Sexualmoral der westlichen Gesellschaften ist völlig verkommen",
- 9,8 Prozent stimmten der Aussage zu "Juden kann man nicht trauen",
- 11,4 Prozent finden es gerechtfertigt, wenn Muslime sich gegen die Bedrohung des Islams durch die westliche Welt mit Gewalt verteidigen.
Die Niedersachsensurvey 2022 (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen) zeigte folgende Ergebnisse auf:
- 67,8 Prozent der befragten Muslime stimmt der Aussage zu "Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland",
- 35,3 Prozent der befragten Muslime stimmt der Aussage zu "Ich habe Verständnis für Gewalt gegen Menschen, die Allah oder den Propheten Mohammed beleidigen",
- 30,2 Prozent der befragten Muslime stimmt der Aussage zu "Einen religiösen Führer, der von einem Rat unterstützt wird, finde ich besser als das demokratische System in Deutschland",
- bei 22 Prozent der befragten Muslime sind islamistische Einstellungen vorhanden.
Die "Distanz-Studie" unter 694 Lehrkräften (Uni Vechta/Internationale Hochschule Bremen) mit dem Projekttitel "Strukturelle Ursachen der Annäherung an und Distanzierung von islamistischer Radikalisierung - Entwicklung präventiv-pädagogischer Beratungsansätze" – liefert aktuell folgende Informationen:
- 34,1 Prozent der Befragten gaben an, religiöse Konflikte in der Schule wahrzunehmen,
- 36,6 Prozent der Befragten gaben an, im Schulalltag Herausforderungen im Kontext religiöser Praktiken zu begegnen: diese beziehen sich insbesondere auf religiöse Feste und Feiertage, religiös begründetes Fasten oder aber im Zusammenhang mit religiösen Aspekten begründetes Versäumen von Unterricht und Klassenfahrten,
- 26 Prozent der Befragten gaben an, Erfahrungen mit islamistischen Einstellungen und Aussagen zu haben.
Obwohl es in Deutschland zahlreiche Studien und Forschungsinstitute zum Thema Diskriminierung gibt, die großzügig finanziert und personell gut besetzt sind, bleibt der Bereich der konfrontativen Religionsbekundung an Schulen bislang "massiv unterforscht", wie der Referent nüchtern feststellte. Gleichzeitig fließen jährlich hohe Millionenbeträge in die Präventionsarbeit gegen islamistischen Extremismus an Schulen. Doch auf welcher Grundlage diese Präventionsprojekte überhaupt basieren, wenn es an wissenschaftlicher Fundierung zu diesem Themenkomplex mangelt, bleibt bisher ungeklärt.
Auch in der praktischen Ausgestaltung der Ziele und Methoden der verschiedenen Präventionsangebote zeigen sich Unterschiede, sowohl in der Wahrnehmung als auch in der Interpretation der Phänomene. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die jeweiligen Handlungsempfehlungen. Michael Hammerbacher warnte, dass dies im schlimmsten Fall zu pädagogischen und fachpolitischen Fehlschlüssen führen kann.
Ausgangspunkt Diskriminierung
Viele Angebote gehen vom einzig bestimmenden und zentralen Ausgangspunkt der Diskriminierung (von Muslimen) aus, bekannt auch unter problematischen Begrifflichkeiten wie "antimuslimischer Rassismus" oder "Kulturrassismus". Davon würden dann, so der Referent, die weiteren pädagogischen Maßnahmen und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Aber dort, wo konservative und/oder extremistische religiöse Milieus die Mehrheit stellen, funktionieren die klassischen Konzepte von Vielfalt und Demokratieförderung nicht mehr. Eine Diskriminierung von Muslimen in unserer Gesellschaft als einzige Begründung für islamistische Haltungen anzuführen, sei weder fachlich noch pädagogisch ausreichend. Bei Radikalisierung handelt es sich um ein multidimensionales Phänomen.
Das hat nichts mit dem Islam oder Religion zu tun!?
Präventionsprojekte laufen darüber hinaus oftmals Gefahr, in eine sich verstärkende "Täter-Opfer-Umkehr" zu geraten, insbesondere wenn die religiöse Ideologie nicht ausreichend berücksichtigt wird und stattdessen der Schwerpunkt auf die "Diskriminierung von Muslimen" oder die "Diskriminierung von Religion in der Schule" gelegt wird.
Man müsse "grundrechtsklar" auftreten und individuelle Rechte in den Mittelpunkt des Diskurses stellen, so die Forderung des Referenten. Wenn dann aber Präventionsangebote im Themenfeld vom alleinigen Ausgangspunkt der Diskriminierung ausgehen, dann komme man auf einen falschen pädagogischen Pfad.
Zusammenfassend mangelt es an:
- einer einheitlichen Problembeschreibung im Bereich der Organisationen, die sich mit "konfrontativer Religionsbekundung" befassen,
- einer empirischen Datenbasis zur Verbreitung des Phänomens "konfrontative Religionsbekundung und Islamismus an Schulen",
- einer offenen Fachdebatte, da der Diskurs bislang vorwiegend ideologisch-politisch geprägt ist.
Das große Interesse an dem Themenabend, an dem auch zahlreiche Mitglieder kooperierender Organisationen wie FrauLebenFreiheit Düsseldorf und der Säkularen Flüchtlingshilfe teilnahmen, sowie die anschließende Diskussion verdeutlichten die Dringlichkeit, die Sichtbarkeit eines wehrhaften säkularen Staates zu stärken.
Es ist unerlässlich und längst überfällig, eine solide wissenschaftliche Datenbasis zu schaffen und endlich eine unideologische, sachliche Debatte über dieses wichtige Themenfeld zu führen.
- Michael Hammerbacher war auch Gründungsmitglied der Initiative "PRO Berliner Neutralitätsgesetz" (siehe: Initiative "PRO Berliner Neutralitätsgesetz" formiert sich) ↩︎
5 Kommentare
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Kommentare
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Der "konfrontativen Religionsbekundung" könnte und sollte man einen "konfrontativen religionsgeschichtlichen Unterricht" (LER) entgegensetzen, in dem die islamische Quellenlektüre (in Übersetzung,
SG aus E am Permanenter Link
Das Thema ist doch eigentlich ausgelutscht. Die Standpunkte sind klar, wie man z.B. hier nachlesen kann: (1) (2).
Von mir darum nur soviel: Zum Konzept "Konfrontative Religionsbekundung" gehört ebenso Kurt Edlers "Grundrechtsklarheit". Und die sollte m. E. nicht nur auffälligen Schülern (SuS) vermittelt werden, sondern auch in der säkularistischen Szene und eben hier auf hpd.de diskutiert werden. Denn auch muslimische Schüler sind Grundrechtsträger. Das sollte man nicht vergessen.
—
(1) https://www.ufuq.de/aktuelles/stellungnahme-des-knix-kompetenznetzwerks-islamistischer-extremismus-zum-ansatz-der-konfrontativen-religionsbekundung-und-zur-medialen-darstellung-der-is/
(2) https://www.ufuq.de/aktuelles/konfrontative-religionsbekundung-paedagogische-zugaenge-zu-konflikten-jenseits-von-religioesem-othering-und-alarmismus/
(3) https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/neuss-schulausschuss-scharia-vorfaelle-erkenntnisse-runder-tisch-100.html
(4) https://wegweiser.nrw.de/faq
Stefan Dewald am Permanenter Link
Einer der Gründe, warum es seit 2004 meine Stimme nicht mehr für grün gibt.
Jens am Permanenter Link
Das wird Michael Hammerbacher sicherlich freuen; er ist nämlich Mitglied von B90/Die Grünen.
Michael Hammerbacher am Permanenter Link
Hallo. Nicht das Gerüchte aufkommen. Ich bin in keiner Partei Mitglied. Was stimmt, ich war von 1982 - 1993 Mitglied der Alternbativen Liste/ Später Grüne. Das ist aber schon etwas länger her. Viele Grüße