„Lebendig und kräftig und schärfer"?

Drei Atheisten beim evangelischen Kirchentag. Ein Nachruf.

KÖLN. Wieder einmal fand

in der rheinischen Großstadt ein großes kirchliches Fest statt, das gerüchteweise von dem viel beschworenen Erstarken der Religionen zeugen sollte. Drei Ungläubige folgten diesem hell leuchtenden Stern der medialen Berichte über die heilig-religiöse Stimmung nach Köln, um sich ein eigenes Bild des angeblich christlichen Treibens zu machen.

 

Und tatsächlich trafen wir auf dahin schwebende Menschen, die mit verklärtem Blick und hochgezogenen Mundwinkeln dazu einluden, gemeinsam mit ihnen zu feiern. Überall hörte man fröhliche Stimmen und sah die Menschen, wie sie sich immer wieder durchmischende Gruppen bildeten. Sie sammelten sich auf den Treppen vor dem Dom, auf dem Domplatz und am Rhein - in der ganzen Innenstadt fand man sie, wenn es auch nicht so viele waren, wie wir erwartet hatten. Doch anstatt mit den friedvollen und glücklich wirkenden Christen in Kontakt zu kommen, trafen wir zunächst schnell auf die Flyer verteilenden und Schilder tragenden Missionare, die an allen Ecken standen.

Weltuntergangspropheten und Wundergläubige

Diese Evangelikalen, die als Weltuntergangspropheten von den Vernünftigen eher müde belächelt wurden, versuchten durch ihre Selbstdarstellung des konsequenteren Auslebens biblischer „Wahrheiten", die meist mit Kritik an den großen Amtskirchen verbunden war, die anderen Christen zu erreichen, was ihnen teilweise wirklich gelang - auch weil viele der Bibelfestigkeit nichts entgegenzusetzen hatten. Als wir mit ihnen sprachen, erfuhren wir, solange wir uns genügend verstellten, erschreckende Details des Weltbildes dieser Menschen: Frauenfeindlichkeit, Verschwörungstheorien gingen mit der mehr oder weniger verschleierten Drohung der baldigen Wiederkehr des Messias einher; einer dieser Vertreter des Wortes Gottes wies dabei erstaunliche Kenntnisse philosophischer, religionskritischer (Nietzsche) und historisch-kirchenkritischer (Deschner) Literatur auf - wer den Wortgläubigen Dummheit oder Unkenntnis der Geschichte des Christentum unterstellen will, irrt. Der Prediger der freien Missionsgemeinde Krefeld redete auf uns ein und war eilig bestrebt, Predigten und Informationsblätter an die interessierte Jugend zu verteilen, die auch gleich eingeladen wurde, zum nächsten Treffen in Krefeld zu erscheinen. Ins Gespräch kam man übrigens, nachdem man sich gemeinsam kritisch über die vielen „für den Kölner Dom ausgepressten Menschen" geäußert hatte...

Anders als diejenigen, die die heilige Schrift mit aller Schärfe unter das unwissende Christenvolk bringen wollten, brauchten die Charismatiker sich gar nicht mehr bemühen, die Protestanten zu überzeugen. Die Bewegung jener, die sich und ihre Gemeinden im ständigen Kontakt mit ihrem Gott wähnt, ist bereits integriert und man konnte auf dem Kirchentag erahnen, dass sie bei den gläubigen Protestanten auch in Deutschland an Bedeutung gewinnen. Ob man die Gläubigen mit geschlossenen Augen und während des lauten Gebets zitternd antraf oder US-amerikanische Gospelsänger hörte - wenn jemand größere Massen außerhalb der Hauptveranstaltungen anzog, dann waren es diese Menschen. Doch selbst sie erreichten mit ihren Geschichten von der Begegnung mit Gott und den Wunderheilungen Blinder und Lahmer nicht alle, insbesondere viele jüngeren Jahrgangs (im Alter von vierzehn bis fünfundzwanzig Jahren) zeigten nicht viel Interesse an den Gesprächen über Gott und Jesus den Erlöser.

Kirchentag oder Event?

Nachdem wir uns von den Missionierungsversuchen erholt hatten, erfuhren wir in vielen Gesprächen mit den jüngeren Kirchentagsbesuchern, dass sie weder mit den Kirchen noch mit der Bibel viel am Hut hatten. So wussten einige nicht, welche Bedeutung Pfingsten hat, glaubten nicht an den biblischen Gott und besuchten an diesem Tag zum ersten Mal im Jahr eine Kirche - die kirchlichen Moralvorstellungen teilten sie auch nicht: Das Motto „lebendig und kräftig und schärfer" nahmen sie wörtlicher, als es die Veranstalter wohl beabsichtigt hatten. Je später der Tag wurde, desto größer wurde die Zahl der Flaschen auf den Domtreppen und die knutschenden Paare nahmen genauso zu, wie die derjenigen, welche sich eine kleine Ecke suchten und so nicht unweit der über den Werteverfall predigenden Missionare bedenkenlos sündigten, denn Sex vor der Ehe fanden sie nicht nur vertretbar, sondern sogar wichtig.

Insgesamt festigte sich immer mehr die Einschätzung, dass ein nicht geringer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen dort ein Fest feierten, bei dem man sich aus allen Ecken Deutschlands traf und sich der ausgelassenen Stimmung ganz ohne Gottesbezug hingab. Einige derer, die man zunächst als entrückte Christen ansah, erwiesen sich als leicht angetrunkene Jugendliche, die fröhliche Stimmung kam auch eher von den Zuschauern der Kindertheater als von an Gebetskreisen Beteiligten.

So kann man wohl festhalten, dass das Bild, welches von diesem Kirchentag gerne gemalt wird, nicht haltbar ist: Weder ist die Menge der jungen Leute ein Anzeichen dafür, dass Religion wieder „in" wäre, noch sind sich die Christen so einig, wie sie glauben machen wollen. Immer wieder traf man auch auf missmutig dreinblickende Kölner Bürger, die sich wohl schon auf das nächste Mal freuten: Oberbürgermeister Schramma hat bereits zum ökumenischen Kirchentag eingeladen, der die Kassen der Stadt erneut leeren wird...

 

Daniel Gotthardt