Protestbündnis demonstriert in Erfurt gegen die Subventionierung des Katholikentags und die unzureichende Aufarbeitung des Missbrauchsskandals

"Katholische Missionierung auf Staatskosten"

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Der Hängemattenbischof in Erfurt
Der Hängemattenbischof in Erfurt

Seit zehn Jahren reist die Aktionsgruppe "11. Gebot" zu jedem Kirchen- und Katholikentag, um mit ihrer drei Meter hohen Moses-Figur an das "11. Gebot" zu erinnern: "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" Beim Katholikentag in Erfurt wird "Moses" durch die bekannten Skulpturen des "Hängemattenbischofs" und des "Geldhamsters" unterstützt. Sie weisen auf einen "doppelten Skandal" hin: Während die katholische Kirche noch immer Millionenzuschüsse vom Staat kassiert, werden die Opfer sexueller Gewalt im Stich gelassen.

Mit den drei aufsehenerregenden Großplastiken, einer "Kirchenaustritts-Beratungsstelle" und einer Ausstellung zur Geschichte der Betroffenen sexualisierter Gewalt will das Aktionsteam "11. Gebot" gemeinsam mit dem "Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen" auf die hinkende Trennung von Staat und Kirche sowie die verschleppte Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in kirchlicher Verantwortung aufmerksam machen. Jens Windel von der Betroffeneninitiative-Hildesheim, der als Betroffener aktuell das Bistum Hildesheim wegen Amtshaftung auf Entschädigung verklagt, weist darauf hin, dass nur eine der über 500 Veranstaltungen des Erfurter Katholikentags sich mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche beschäftigt: "Wie kann das sein angesichts der Tatsache, dass es sich hierbei um den wohl größten Justizskandal der Nachkriegsgeschichte in Deutschland mit zehntausenden Betroffenen und mehreren hunderttausend nie aufgearbeiteten Straftaten handelt? Wie kann es sein, dass die katholische Kirche von der Bundesregierung noch immer hofiert, statt zur Rechenschaft gezogen wird?!"

David Farago, Leiter der Aktionsgruppe "11. Gebot", meint dazu, "dass sowohl die Kirchen als auch Teile der Politik den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren haben": "Sie agieren noch immer so, als sei die Mehrheit der Bevölkerung christlich. Dabei haben wir den Punkt erreicht, an dem weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland Mitglieder der katholischen oder evangelischen Kirche sind. In Erfurt sind Katholiken längst eine verschwindend kleine Minderheit, die Konfessionsfreien liegen hier bei über 85 Prozent. Dies ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass der Katholikentag trotz der starken Unterstützung durch den MDR massive Probleme hatte, Privatunterkünfte für sein Glaubensfest zu finden."

2,3 Millionen Euro Steuergeld für katholische Missionierung?

Trotz der gravierenden Veränderungen in der Gesellschaft wird der Katholikentag in Erfurt mit mindestens 2,3 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gefördert, kritisiert Maximilian Steinhaus vom Aktionsteam "11. Gebot": "Das Land Thüringen gibt 1,2 Millionen Euro, der Bund 500.000 Euro und die mit über 78 Millionen Euro verschuldete Stadt Erfurt 600.000 Euro. Dieses Geld muss die Stadt faktisch als Kredit aufnehmen, um es an die Kirche für ihr nicht nachhaltiges Missionierungsfest verschenken zu können. Wie will man so etwas in einer weitgehend konfessionsfreien Stadt rechtfertigen?! Welches Interesse sollten Erfurter Bürgerinnen und Bürger an einer katholischen Missionierung auf Staatskosten haben? Immerhin trägt die öffentliche Hand 32,4 Prozent der Gesamtkosten in Höhe von 7,1 Millionen Euro. Diese öffentliche Subventionierung ist nicht nur verfassungsrechtlich zu verwerfen, sondern ergibt auch aus einer rein ökonomischen Sicht keinerlei Sinn."

So ging man in der Begründung für die Zuschüsse noch von 40.000 bis 80.000 Teilnehmenden und ca. 1.000 Veranstaltungen aus. Stattdessen werden es nun wohl nur rund 20.000 Besucher und 500 Programmangebote sein, wie der Katholikentag selbst auf seiner Veranstaltungsseite angibt. Steinhaus rechnet vor: "Bei 2,3 Millionen Euro von der öffentlichen Hand und 20.000 Teilnehmern wird jeder Besucher mit 115 Euro aus Steuermitteln subventioniert. Fällt die Besucherzahl noch niedriger aus, wäre die Pro-Kopf-Quote sogar noch höher. Eine absurd hohe Summe! Zum Vergleich: Für das berühmte Krämerbrückenfest gab Erfurt 2023 nur rund 300.000 Euro aus – konnte damit aber über 110.000 Besucher anlocken. Das Volksfest kostete den Steuerzahler weniger als 3 Euro je Besucher. Der Katholikentag erhält im Vergleich das 38-fache an Steuermitteln!"

Die Politik wollte diese hohe öffentliche Förderung unter anderem damit rechtfertigen, dass der Katholikentag angeblich Programmpunkte anbiete, die nicht nur für Katholiken, sondern für die gesamte Gesellschaft von Interesse seien. Doch dieses Argument lässt Steinhaus nicht gelten: "Wenn man in der Programmdatenbank alle Schlagworte mit religiösem Bezug auswählt, erhält man 381 Ergebnisse. Über 76 Prozent der 500 Veranstaltungen drehen sich also um religiöse Themen. Darüber hinaus werden selbst weltliche Themen häufig durch die religiöse Brille betrachtet. Es wundert daher nicht, dass nach den eigenen Studien des Katholikentags weniger als zwei Prozent der Besucher keine Christen sind."

Auch der Vergleich mit anderen städtisch geförderten Kultur- oder Sportveranstaltungen greift zu kurz, meint David Farago: "Es ist ein allgemeiner Grundsatz des Haushaltsrechts, dass öffentliche Förderungen nur vergeben werden, wenn der Veranstalter die Kosten nicht selbst decken könnte. Während Kultur- und Sportvereine oft unterfinanziert sind, besitzt das Bistum Erfurt jedoch ein Vermögen von 323,5 Millionen Euro. Allein 2023 betrugen die Erträge 61,55 Millionen Euro. Aus diesem Grund schiebt die Kirche den 'armen' Katholikentags-Verein als angebliche Laienbewegung und Veranstalter vor. Tatsächlich aber ist das Erfurter Bistum Mitveranstalter. Von einer unabhängigen Bewegung kann hier keine Rede sein."

Die Aktionsgruppe "11. Gebot" hat mit den Großskulpturen "Moses", "Der Hängemattenbischof" und "Der Geldhamster" in der Vergangenheit für internationale Schlagzeilen gesorgt. Wer die Plastiken einmal vor Ort erleben möchte, findet dazu in den nächsten Tagen Gelegenheit: Das Aktionsbündnis wird von Mittwoch (29.5.2024) bis Samstag (1.6.2024) jeweils von 10 bis 20 Uhr auf dem Erfurter Anger (vor dem Gebäude der Deutschen Post) protestieren. Dort wird am Mittwoch, dem 29.05.2024, um 11:11 Uhr auch eine Pressekonferenz der Aktionsgruppe "11. Gebot" und des "Aktionsbündnisses Betroffeneninitiativen" stattfinden.

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