NÜRNBERG. (hpd) „Die historisch bedingte Privilegierung der Religionsgesellschaften gegenüber den Weltanschauungsgemeinschaften in einzelnen Landesverfassungen ist politisch und rechtlich überholt.“ Die Bundesdelegiertenversammlung des Humanistischen Verbandes Deutschland machte es am letzten Wochenende amtlich: Der Diskriminierung von konfessionsfreien und nichtreligiösen Menschen in Deutschland soll ein Ende gesetzt werden.
Ein weiteres Ergebnis des Treffens war die Wahl eines neuen Präsidiums. Prof. Dr. Frieder Otto Wolf (FU Berlin) wurde von den knapp 50 Delegierten mit fast 90 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten des Bundesverbandes gewählt. Wolf hatte in dieser Position bereits seit dem unerwarteten Rücktritt von Dr. Horst Groschopp Anfang 2010 amtiert.
Schwerpunkte von Beschlüssen in den weiteren Debatten bildeten Lage und Perspektiven des Verbandes und eine Schärfung des Profils als humanistischer Organisation und in der Interessenvertretung konfessionsfreier Menschen.
Der für einige offenbar unerwartet konstruktive Ausgang der Versammlung war im Vorfeld nicht gewiss. Komplexe Debatten, ein rasanter gesellschaftlicher Wandel und eigene Strukturschwächen beschäftigten Gremienvertreter und Mitglieder während der vergangenen Monate intensiv. „Ein gelungenes Jahr 2010“, heißt es nun in einer anschließend veröffentlichten Pressemitteilung.
Zulassung des Schulfaches Humanistische Lebenskunde
In einer weiteren Erklärung wandte sich die Bundesdelegiertenversammlung gegen ein Gerichtsurteil, das vom Verwaltungsgericht Düsseldorf im Januar gefällt wurde. Das Gericht hatte die Klage des HVD in Nordrhein-Westfalen auf Zulassung des Schulfaches Humanistische Lebenskunde abgewiesen.
Die Begründung lautete, dass das Grundgesetz hier Religionsgemeinschaften privilegiere und Weltanschauungsgemeinschaften „als Einflussfaktor im Bereich öffentlicher Schulen“ ausgrenzen würde.
Die Delegierten fassten am Wochenende aus diesem Grund einen Beschluss. Im HVD sieht man die Zeit gekommen, „die zeitbedingte ‚Privilegierung der Religion‘ zu korrigieren, zu der die Landesverfassungsgeber in der Nachkriegszeit vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland mancherorts geneigt haben.“
Der Landesverband in Nordrhein-Westfalen soll Unterstützung für alle rechtlichen und politischen Schritte erhalten, um „diese Gleichbehandlung in Bezug auf den weltanschaulich bzw. religiös gebundenen Schulunterricht zu erreichen.“ Der Kurs auf eine Reform der Verwaltungsgerichtspraxis ist nun gesetzt.
Das neue Präsidium des Bundesverbandes
Das Präsidium des Bundesverbandes steht schon jetzt sichtbar reformiert da. Prof. Dr. Hero Janßen (Göttingen, TU Braunschweig), Helmut Fink (Nürnberg, Universität Nürnberg-Erlangen) und Erwin Kress (Menden) wurden zu Vizepräsidenten des Verbandes bestimmt, als Schatzmeisterin wurde Dr. Ines Scheibe gewählt. Beisitzer sind Ulrike von Chossy (Nürnberg), Michael Niepel (Bielefeld) und Dr. Bruno Osuch (Berlin).
Eine Neuerung war auch die Wahl eines Vertreters der Jungen Humanistinnen und Humanisten in Deutschland e.V. in das Präsidium. Hier erweiterte Florian Noack das Präsidium, der bereits seit 2008 Vorsitzender dieser Jugendorganisation des Humanistischen Verbandes ist.
Im Fokus stand auch die Debatte über grundlegende Positionsbestimmungen. Das „Humanistische Selbstverständnis“ soll zukünftig nicht nur redaktionell, sondern auch inhaltlich überarbeitet werden.
Motive des Beschlusses sind unter anderem, sich stärker gegenüber anderen säkularen Organisationen wie etwa der Giordano Bruno Stiftung zu profilieren und der gängigen Ansicht von der Vertretung und wissenschaftlich fundierten Pflege eines „Allerweltshumanismus“ entgegen zu treten.
Die Aufnahme in den Bundesverband gelang dem vor kurzem gegründeten HVD in Hessen. Zum Thema wurde auch mit Blick auf dieses Ereignis die unterschiedlich starke Entwicklung der einzelnen Landesverbände, wo das Spektrum an Mitgliederzahlen weiterhin von wenigen Dutzend bis zu mehreren Tausend reicht.
Eine entscheidende Änderung erwartet in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit auch das bisherige Magazin „diesseits“, mit dem in Zukunft eigene Ideen und Positionen stärker in die Öffentlichkeit getragen werden sollen.
Eine Zeitschrift für das gesamte säkulare Spektrum
Vom reinen Verbandsmagazin hat man sich nun verabschiedet. Eine Zeitschrift für das gesamte säkulare Spektrum, so lautet jedenfalls der Plan, soll die neue „diesseits“ werden. Gleichzeitig will sich der Verband mit einem eigenen Online-Medium ab März präsentieren.
Weitere Diskussionen gab es um die 2008 beschlossenen Bundesrichtlinien. Ein Vorstoß aus Bremen, diese wieder aufzuheben, konnte sich nicht durchsetzen. Es soll nun bis zur nächsten Bundesdelegiertenversammlung überprüft werden, inwiefern die Maßgaben von den unterschiedlichen Landesverbänden umgesetzt werden können.
Kooperationen
Die neuerliche Debatte zur Frage, welche weiteren Veränderungen mit Perspektive auf die kommenden Jahre im HVD realisiert werden sollten, gab es zahlreiche Vorschläge. Die engere Kooperation und Abstimmung mit anderen humanistischen Organisationen wie der Giordano Bruno Stiftung oder der Jugendweihe wurde vorgeschlagen und erörtert.
Treffen des Bundespräsidiums mit den Geschäftsführern und Vorsitzenden der Landesverbände sollten häufiger stattfinden. Plädiert wurde auch für die verstärkte Konzentration auf Kernkompetenzen des Verbandes, wie die Unterstützung bei der Patientenverfügung und die Jugendarbeit. Schließlich war sogar der Wunsch zu hören, künftig über eine professionelle Presseagentur verfügen zu können.
Der Bundesdelegiertenversammlung gelang es mit ihrem Treffen auch, Repräsentanten weiterer säkularer Organisationen für einen Besuch zu interessieren. Christian Vogel, Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Nürnberger Stadtrat, sowie Vertreter der Giordano Bruno Stiftung, der Gesellschaft für kritische Philosophie, der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft und der Jugendweihe Deutschland e.V. zählten zu den Gästen.
„Das menschliche Miteinander war genauso wichtig wie die formelle Tagesordnung.“ So bilanzierte Michael Bauer, Geschäftsführer des HVD in Nürnberg, die Tagung. Beobachtet hat er eine „konstruktive und freundliche Atmosphäre“. Das bestätigte Präsident Frieder Otto Wolf: „Viel Arbeit liegt vor uns und ich denke, wir haben das alle verstanden. Packen wir es gemeinsam an.“
Persönliche Schwerpunkte in seiner Arbeit sollen in den kommenden Monaten die Neufassung des „Humanistischen Selbstverständnisses“ und die engere Verbindung von Bundesverband und der Humanistischen Akademie Deutschland sein.
Von dieser Seite kam auch die vorläufig einzig kritische Mahnung auf dem Treffen in Nürnberg. Der Direktor der Akademie, Horst Groschopp, warnte vor überzogenen Zielen und plädierte für mehr Realismus in den Landesverbänden bei künftigen Zielsetzungen.
Arik Platzek