Biographie eines „freischaffenden Nazis“

(hpd) Der Journalist Willi Winkler präsentiert die Biographie eines „freischaffenden Nazis“, der nach 1945 aus einem dubiosen Netzwerk heraus nationalsozialistische Kriegsverbrecher ebenso wie palästinensische Terroristen unterstützte. Der gut lesbaren und strukturierten Lebensbeschreibung fehlt es leider an einer erörternden Deutungen dieser politisch etwas absonderlichen Konstellation im „Zeitalter der Extreme“.

Das 20. Jahrhundert war reich an Personen, deren politische Karrieren mit unterschiedlichsten Stationen verbunden waren. Ein Beispiel dafür ist der Schweizer Bankier Francois Genoud, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nationalsozialistische Kriegsverbrecher ebenso wie linke Terroristen unterstützte. Willi Winkler, der 2010 den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus erhielt, hat seiner Person eine Biographie gewidmet. Deren Titel „Der Schattenmann“ soll nicht nur Aufmerksamkeit erregen, agierte Genoud doch tatsächlich als Strippenzieher im Hintergrund. Dabei verfügte er über Kontakte sowohl zu alten Nazis und unterschiedlichen Geheimdiensten wie zu algerischen Nationalisten und palästinensischen Terroristen. Was sich wie der Stoff eines überdrehten Polit-Thrillers liest, lässt sich gleichwohl gut anhand historischer Quellen belegen. Genau dies ist auch die Absicht von Winkler, der mit der Biographie eines „freischaffenden Nazis“ (S. 9), so seine Charakterisierung, ein Leben im „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) darstellen will.

Der 1915 in Lausanne als Sohn eines Tapetenfabrikaten geborene Genoud begegnete mit 17 Jahren im Oktober 1932 Hitler. Seit dem verstand er sich als glühender Nationalsozialist und behielt die Verehrung für den „Führer“ auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei. Bereits zuvor reiste er in den Mittleren Osten und lernte dort Amin al-Husseini kennen. Der Mufti von Jerusalem schlug sich später auf die Seite der Nationalsozialisten und setzte seine antisemitische Hetze auch nach der Gründung des Staates Israel fort. Die ideologische Schnittmenge des Antisemitismus erklärt wohl mit die ansonsten absonderlichen politischen Kontakte Genouds. Direkt nach 1945 erwarb Genoud die Rechte an den Schriften hochrangiger NS-Funktionsträger wie etwa des ehemaligen Propagandaministers Joseph Goebbels. Deren geschickte Vermarktung brachten dem Schweizer Bankier enorme Summen ein, welche er wiederum in die Förderung des linken Terrorismus wie in die Unterstützung nationalsozialistischer Kriegsverbrecher steckte.

So erhielten Klaus Barbie und Adolf Eichmann aus der gleichen Quelle finanzielle Mittel wie Carlos und Wadi Haddad. Gleichzeitig verfügte Genoud offensichtlich auch über gute Kontakte in die politische Mitte der Gesellschaft hinein. Dafür steht etwa die langjährige Freundschaft mit dem früheren SS-Untersturmführer und späteren BKA-Präsidenten Paul Dickopf oder den „Naumann-Kreis“ in der nordrhein-westfälischen FDP der 1950er Jahre. Außerdem betätigte sich Genoud mindestens als Doppelagent sowohl für den Geheimdienst Ägyptens wie der Schweiz. Bezüglich derartiger Beziehungen und Kontakte bestehen aber keine genauen Kenntnisse, bemerkt Winkler doch hierzu: „Geheimdienste verraten gewöhnlich nichts über ihre Mitarbeiter. Eine regelrechte Biographie dieses immer flüchtigen Agenten ist deshalb kaum möglich, zu unbestimmt ist sein flackerndes Erscheinen, zu wenig greifbar sind seine Taten“ (S. 10f.). 1996 lud Genoud seine Freunde zu sich ein und beging Selbstmord mit Gift – ganz wie manche seiner politischen Vorbilder 1945 und 1946.

Winkler erzählt diese Lebensgeschichte einerseits auf Basis zweier früherer Biographien von Karl Laske und Pierre Péan und andererseits anhand neuerer Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Kontexten. Gleichwohl arbeitet er immer wieder auch mit Andeutungen und Spekulationen, wo es an genauen Belegen und Quellen fehlt. Mit Bewertungen hält sich der Autor in seiner gut strukturierten Arbeit eher zurück, was je nach Auffassung des Lesers um der näheren Objektivität willen begrüßenswert ist oder um der fehlenden Analyse bedauert werden kann. Hier wird eher der letzten Einschätzung zugeneigt, lädt der beschriebene Lebensweg doch zu interessanten Reflexionen ein: Gab es bei den Kooperationspartnern von Genoud allgemeine Gemeinsamkeiten in Denkformen und –inhalten oder bestanden sie nur in einer Feindschaft gegen Juden und Israel? Der im Untertitel von Winkler benannte Weg „von Goebbels bis Carlos“ wirkt so nur als Ausdruck eines „mysteriösen Lebens“. Gerade dessen Aufschlüsselung wäre durchaus interessant gewesen!

Armin Pfahl-Traughber

 

 

Willi Winkler, Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das mysteriöse Leben des Francois Genoud, Berlin 2011 (Rowohlt Berlin), 352 S., 19,95 €