Streit um Präsidentschaft des OVG NRW geht in die nächste Runde

Die doppelt loyale Frau

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Seit Juni 2021 ist der höchste Posten im Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen vakant.

War es nicht die nach Artikel 33 Grundgesetz unerlässliche "Bestenauslese", sondern das Ergebnis politischer Vorfestlegung eines befangenen Justizministers, als Benjamin Limbach aus mehreren nahezu gleich hochqualifizierten Konkurrenten die sehr späte Nachbewerberin Katharina Jestaedt aus dem Innenministerium, vormals lange Zeit Cheflobbyistin der deutschen katholischen Bischöfe in Berlin, als künftige Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster auswählte?

In erster Runde war die Verfassungsbeschwerde dagegen des mit ihr konkurrierenden Richters am Bundesverwaltungsgericht, Dr. Carsten Günther, erfolgreich. Und nun widmen sich dieser Frage gleichzeitig in einer zweiten Runde ab November derselbe Senat des OVG Münster, dessen erste Entscheidung in Karlsruhe als verfassungswidrig aufgehoben wurde, und parallel ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen.

Das höchste Amt der Verwaltungsjustiz des Landes ist seit Juni 2021 unbesetzt. Nach dem Koalitionswechsel von der CDU/FDP-Regierung Laschet zur schwarz-grünen Regierung Wüst fand der grüne Justizminister Limbach im Juni 2022 einen Besetzungsvorschlag seines Vorgängers Biesenbach (CDU) zu Gunsten des Abteilungsleiters im Justizministerium Ministerialdirigent Dr. Andreas Christians vor. Anderthalb Jahre hatte die Suche nach einer neuen OVG-Spitze bis dahin schon gedauert. Aber Limbach hielt das Verfahren an und verlängerte es in der Folgezeit fast um ein weiteres Jahr bis zu seiner – neuen, anderen – Entscheidung.

Nach einem gemeinsamen Abendessen mit seiner Duz-Bekannten Katharina Jestaedt im Juli 2022 – ein persönliches "Näheverhältnis" bestreitet der Minister – gab er ihr trotz äußerster Dringlichkeit der Stellenbesetzung zunächst fast zwei weitere Monate Zeit für ihre Nachbewerbung, obwohl die personalpolitische Schaltstelle der Verwaltungsjustiz in NRW schon länger als ein Jahr verwaist war und – auch Limbach betont dies ständig – hervorragend beurteilte, "hochkarätige" Bewerber schon lange zur Verfügung standen, während Frau Jestaedt seit nunmehr 13 Jahren mit der Justiz nichts mehr zu tun hat. Ihre Nachbewerbung ging erst am 13. September ein. Sogar schon vor dieser offiziellen Bewerbung und weiter danach führte Limbach Gespräche mit den aussichtsreichsten Bewerberkonkurrenten, die – das ist unstreitig – auch die Chancen im Bewerberkreis zum Inhalt hatten. Wie deutlich dabei über eine Rangfolge der Bewerbungen und einen Vorrang der neuen Konkurrentin gesprochen wurde: das ist ebenso streitig wie die Bewertung, ob sich schon aus den Gesprächen eine Vorfestlegung des Justizministers erkennen lässt. Zum Inhalt der Gespräche Limbachs mit Bundesrichter Günther gibt es im Verfahren vor dem OVG Münster inzwischen zwei konträre eidesstattliche Versicherungen der beiden Gesprächspartner. Eine davon muss – strafbar – falsch sein.

Seine eigenen Einlassungen zeigen: Limbach hat – unstreitig – den höchstbeurteilten Mitbewerbern mindestens nahe gebracht, ihre Bewerbung zu überdenken oder sogar auf sie zu verzichten, und zwar zu Zeitpunkten, als er noch nicht einmal eine dienstliche Beurteilung über seine Favoritin in Händen hatte. Bereits daraus – also aus dem unstreitigen Sachverhalt – ergibt sich seine Vorfestlegung und Befangenheit, ohne dass es auf den streitigen Teil der beiden eidesstattlichen Erklärungen ankäme.

Das kontinuierlich grundlegende Interesse der CDU am personalpolitischen Zugriff auf die Spitze des OVG

Der "Schalthebel" der Verwaltungsjustiz, an dem vorbei Neueinstellungen und beruflicher Aufstieg von Richterinnen und Richtern kaum möglich sind, sollte von Anfang an mit einer zuverlässig konservativen Persönlichkeit besetzt werden. Ausersehen war zunächst der Düsseldorfer Verwaltungsgerichtspräsident Andreas Heusch. Heusch hatte mit seiner verfassungswidrigen Kreuzaktion in seinem Gericht gegen das Bundesverfassungsgericht katholisch-konservatives Profil hinreichend unter Beweis gestellt. Er nahm seine Bewerbung zum OVG-Präsidenten aber zurück, nachdem seine Wahl zum Präsidenten des Landesverfassungsgerichts gescheitert war. Die späte Nachbewerberin Katharina Jestaedt ist für die CDU mit doppelter Loyalität zu Partei und Kirche eine ihm ebenbürtige "Idealbesetzung", auch wenn sie seit nun 13 Jahren mit der Justiz nichts mehr zu tun hat. Die alte Bekanntschaft mit dem Justizminister, aber auch weltanschaulich-religiöse Nähe öffneten ihr die Extra-Tür zu einer besonders komfortabel gestalteten und politisch begleiteten Bewerbung in einer grenzenlosen "Nachspielzeit" des Besetzungsverfahrens.

Die Vorfestlegung des Ministers zeigt sich nicht nur in den Bewerbergesprächen, sondern auch in der Ausrichtung der Nachspielzeit auf die Interessen seiner Favoritin.

Der Präsidialrat der Verwaltungsgerichtsbarkeit, das Mitwirkungsorgan der Richterinnen und Richter im Bewerbungsverfahren, kritisierte die zielgerichtete Verfahrensgestaltung gegen die hochqualifizierten Mitbewerber und zu Gunsten der späten Favoritin deutlich: dieser sei das Verfahren bewusst "offen gehalten worden". Erstinstanzlich hatte das Verwaltungsgericht Münster – mit Tatsachen sorgfältig belegt und unterfüttert mit höchstrichterlicher Rechtsprechung – den begründungslosen Abbruch eines bereits zum Abschluss gekommenen Bewerbungsverfahrens und die zielorientierte Weiterführung als rechtswidrige Manipulation bezeichnet.

Das OVG wies dies mit ungewöhnlich barschen Worten als haltlos zurück und gestand mit obrigkeitsstaatlichem Vorverständnis dem Justizminister als Dienstherrn eine nahezu unbegrenzte Gestaltungsmacht im Bewerbungsverfahren zu. Dementgegen wies das Bundesverwaltungsgericht wenige Wochen nach der OVG-Entscheidung in einer anderen Sache erneut nachdrücklich darauf hin, dass der Dienstherr "die ihm eingeräumte Organisationsgewalt über die Stellenbesetzung – auch im Hinblick auf die zeitliche Verfahrensgestaltung – nicht gezielt und manipulativ einsetzen" dürfe, "um eine Auswahlentscheidung zu Gunsten oder zu Lasten einzelner Bewerber zu steuern. Dies schließt aus, dass er Maßnahmen ergreift, die bei objektiver Betrachtung, d.h. aus der Sicht eines unbefangenen Beobachters, als eine Bevorzugung oder aktive Unterstützung eines Bewerbers erscheinen. Er darf nicht bestimmten Bewerbern Vorteile verschaffen, die andere nicht haben".

Das Bundesverwaltungsgericht sah sich dabei ausdrücklich zu dem außergewöhnlichen Hinweis veranlasst, dass das OVG Münster in Sachen OVG-Präsidentschaft jüngst von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen war: "anderer Ansicht offenbar OVG Münster, Beschluss vom 29. Februar 2024 – 1 B 1158/23…", heißt es dort. Das erstinstanzliche Verwaltungsgericht Münster darf sich dadurch in seiner Beurteilung der Nachspielzeit als rechtswidrige Manipulation bestätigt fühlen und das OVG wird in der zweiten Runde statt harter Worte und weltfremder Kurzschlüsse zur Unbefangenheit des Ministers die Rechtsprechung nicht nur des Bundesverfassungsgerichts, sondern besonders die des Bundesverwaltungsgerichts beachten müssen.

Wie sehr die eigene Vorfestlegung von der Identifikation des Justizministers mit seiner Kirche abhängt, zeigt sich daran, dass er das kirchliche Arbeitszeugnis für neun Jahre Lobbytätigkeit für die Deutsche Bischofskonferenz positiv hoch gewichtet, ohne Problembewusstsein oder irgendeine kritische Reflexion darüber, ob höchstes kirchliches Lob für langjährigen loyalen Kirchendienst uneingeschränkte Eignung für das hohe Richteramt begründen kann. Missachtet seine Kirche doch in ihrem Bereich fundamentale Grund- und Menschenrechte und hat doch seine Favoritin dazu "in absoluter Loyalität mit den deutschen Bischöfen" markante Lobbybeiträge geliefert.

Politisierung statt Bestenauslese ist das hervorstechende Merkmal der unendlichen Auswahlgeschichte für die Präsidentschaft des OVG Münster. Die Ministerialdirigentin, aber auch der Bundesrichter hielten es sogar für normal und notwendig, ihrem Parteifreund und Machtmanager des Ministerpräsidenten, dem Chef der Staatskanzlei Nathanael Liminski, ihre Aufwartung zu machen, mit Hoffnung auf Protektion aus dem politischen Machtzentrum auf dem Weg nach oben. Am Ende bleibt diese Frage: "Was bedeutet das für die Unabhängigkeit der Justiz gegenüber den anderen Staatsgewalten – nicht in Polen oder Ungarn, sondern in Nordrhein-Westfalen? Persönliches Ansehen und Autorität für das höchste Amt der Verwaltungsjustiz erwächst daraus nicht."

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