Initiative gegen politisches Scheitern

Unstimmigkeiten zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs benennen und überwinden

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Was hat die mittlerweile geschiedene Ampelkoalition an einer konsensfähigen Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs scheitern lassen? Die drei Rechtsprofessorinnen Friederike Wapler, Maria Wersig und Liane Wörner hatten im Oktober einen konkreten Entwurf dazu vorgelegt. Die Politik schweigt. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe ist eine Sondierungsrunde unter anderem mit Carmen Wegge, Co-Bundessprecherin des SPD-Arbeitskreises "Säkularität und Humanismus", am 13. November in Berlin geplant. Weitere Termine zum Austausch folgen.

Gerade dort, wo der enorme soziale und weltanschauliche Wandel unübersehbar ist, dabei jedoch Konflikte mit dem konservativ-religiösen Lager auslöst, sind auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen lediglich zu Positionspapieren bereit. Und sie ziehen noch nicht einmal an einem Strang bei der konkreten Zeitspanne einer Fristenregelung. Während die Grünen-Fraktion in ihrem Beschluss vom September eine Entkriminalisierung nur bis zur traditionellen Frühphase innerhalb der ersten zwölf Wochen vorsieht (wofür es lediglich den Grund eines "immer schon so" gibt), plädierte das SPD-Positionspapier bereits im Juni für eine spätere Frist. Diese solle "mit ausreichend zeitlichem Abstand" an die Überlebensfähigkeit des Fötus anknüpfen. Das bedeutet wohl etwa die 20. bis 21. Schwangerschaftswoche. Diesbezüglich würde die SPD wesentlich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf von Prof. Dr. Liane Wörner, Prof. Dr. Maria Wersig und Prof. Dr. Friederike Wappler übereinstimmen.

Wie diese wollen auch die Fraktionen der SPD und der Grünen einem verfassungsrechtlich gebotenen "Schutzkonzept für den Fötus" nach einer jeweils unterschiedlich vorgesehenen Wochenfrist Rechnung tragen. Das heißt: An einer Rechtswidrigkeit von späteren Schwangerschaftsabbrüchen wird festgehalten. Sie sollen – wie nach bisheriger Rechtslage – nur bei Vorliegen einer medizinischen Indikation zur Gesundheitsgefährdung der Frau erlaubt sein, dann bis zum Zeitpunkt der Geburt. "Näheres", so heißt es recht vage im Gesetzentwurf der drei Professorinnen zu dieser Thematik, sei dann "im ärztlichen Berufsrecht und in Leitlinien zu regeln" – also Hauptsache außerhalb des Strafgesetzbuches.

Initiative für eine neue Konsensfindung

Hatte sich das Reformvorhaben aufgrund des ewigen Lagerdenkens in der Ampel festgefahren? Zudem zeichnen sich über die Gestaltung einer außerstrafrechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs auch im Lager der beiden Fraktionen von SPD und Grünen unterschiedliche Ansätze ab. Eine Aussicht auf ein jeweils eigenes oder gar gemeinsames Gesetzesvorhaben besteht derzeit nicht.

Aber haben sich vielleicht auch in der Gesellschaft divergierende (oder sogar nur moderat unterschiedliche) Positionierungen allzu starr gegenübergestanden? Hat man kaum Empathie aufgebracht für Argumente der anderen Seite oder auch nur für Bedenken, die dem jeweils festgefügten Weltbild widersprachen? Es beginnt bei den emotionalisierenden Wortbildern und Vorstellungen zum Objekt des Schwangerschaftsabbruchs: Handelt es sich dabei um ein schutzbedürftiges "werdendes Kind" oder – sofern die Schwangere das will – um ärztlich zu "entsorgendes Biomaterial"? Sachliche Bezeichnungen wären: "Embryo" für die frühe Phase und die ganz frühe, wenn es sich bei der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter tatsächlich nur um ein biologisches Zellhäufchen handelt, und "Fötus" bei fortgeschrittenem Entwicklungsstand mit Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit – wobei dann das absolute Frauenselbstbestimmungsrecht zunehmend an seine Grenze stößt.

Warum konnte ein vollausgearbeiteter Gesetzentwurf aus der Zivilgesellschaft nicht schon viel eher als Blaupause für einen parlamentarischen Gruppen- oder Fraktionsantrag auf den Weg gebracht werden? Dabei hat sich in der laufenden Legislatur das Zeitfenster für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs inzwischen geschlossen – spätestens mit dem Scheitern der Ampelkoalition. Daran werden auch die dringlichsten Appelle nichts mehr ändern können, gibt es doch noch nicht einmal ein Anhörungsvorhaben im Bundestag. Vor allem aber: Womit muss in der nächsten Legislatur unter Unions-Führung gerechnet werden?

Aufgrund dieser Einschätzung und Erfahrung ist es umso wichtiger, so frühzeitig wie möglich unter den Reformbefürworter:innen gegenseitig bestehende Einwände und erwünschte Ergänzungen zur Sprache zu bringen. Einen Aufschlag dazu machen will der Bundesverband des Humanistischen Verbands Deutschlands, zunächst mit zwei Abendveranstaltungen. Zusammen mit seiner Humanistischen Akademie lädt er zunächst am 13. November unter dem Titel "Frauenrecht und Fötenschutz" in Berlin ein.1

In die Thematik einführen werden: Professor Hartmut Kreß (Uni Bonn), Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne und Beirat im Institut für Weltanschauungsrecht, sowie Carmen Wegge (MdB, SPD), nicht nur engagierte Vertreterin von Säkularen, Konfessionsfreien und Humanist:innen, sondern auch Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Auf dem Podium werden neben frauenrechtlichen und ärztlichen Vertreter:innen eine liberale EKD-Position durch Professor Reiner Anselm (Uni München) miteinander ins Gespräch kommen. Ein zweiter Veranstaltungsteil zum Thema "Später Schwangerschaftsabbruch" folgt am 29. Januar 2025. Die Reihe wird am Frauentag, dem 8. März von den Humanisten Baden-Württemberg in Stuttgart fortgesetzt.

Überzeugender Gesetzentwurf der Rechtsprofessorinnen

Für die überfällige Entkriminalisierung kann in Zukunft nur eine gesellschaftspolitisch breit aufgestellte Bewegung Wirkung entfalten, welche auch unterschiedliche Strömungen und Vorschläge zur Kompromissbildung zusammenführt. Die Kernpunkte im konkret ausgeführten Gesetzentwurf 2024 der juristischen Expertinnen Wapler, Wersig und Wörner entsprechen weitgehend Vorschlägen von 2022 des Humanistischen Verbands Deutschlands Bundesverband (HVD), welche mit Fachberatung von Ethikprofessor Dr. Hartmut Kreß erarbeitet worden waren. Darin wird von einer stufenweisen Entwicklung des Embryos über den Status des Fötus bis hin zur Menschwerdung und Geburt ausgegangen und eine zivilrechtliche Fristenregelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz bis zur 21./22. Schwangerschaftswoche angeregt.

Die drei Rechtsprofessorinnen waren Anfang 2023 von der Ampelregierung in die Expert:innenkommission zu möglichen Neuregelungen des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts berufen worden. Dank ihrer speziellen Expertise und dem vorangegangenen einjährigen Austausch in dem interdisziplinären Gremium sind sie prädestiniert gewesen für diesen anspruchsvollen 43-seitigen Gesetzentwurf. Demnach soll mittels Novellierung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes eine Frist ausschließlich zur Frauenselbstbestimmung – ohne Beratungspflicht, sondern mit Rechtsanspruch auf freiwillige Beratung – bis zur vollendeten 22. Schwangerschaftswoche normiert werden. Entsprechende medizinische Leistungen, die als nunmehr rechtmäßige von den Krankenkassen zu bezahlen sind, hätten öffentliche Kliniken verpflichtend vorzuhalten – dabei natürlich auch die konfessionellen. Demgegenüber bliebe die persönliche Gewissensfreiheit für einzelne Gynäkolog:innen erhalten. Der Professorinnen-Entwurf hat einen beachtlichen Erfolg erzielt und erhielt von 26 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen unterstützende Erstunterschriften. Das ist bemerkenswert – hatten sich einige von diesen noch im November 2023 gegenüber der Expert:innen-Kommission dazu teils widersprüchlich positioniert – nämlich einen Verzicht auf jegliche Neuregelung nach der Abschaffung von Paragraf 218 StGB propagiert.

Zu überwindende Unstimmigkeiten

Das heißt, sie waren vor allem gegen jegliche Fristenregelung auch außerhalb des Strafrechts, in der ja zwischen Frühphase und späteren Phase eines entwickelten Fötus differenziert würde. Ihnen musste demzufolge auch die Stellungnahme des HVD vom November 2023 für die Expert:innenkommission als nicht opportun erscheinen. Für manche entschiedene Pro-Choice-Aktivist:innen gilt es schon als gegnerische Lebensschutzposition, wenn dort vom HVD Sätze wie dieser zum Status des Fötus formuliert sind: "Die ethische Zuschreibung, es mit einem Lebewesen zu tun zu haben, welches als leidens- und schädigungsfähig angesehen werden und in einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung Berücksichtigung finden kann, hängt vor allem von einer fortgeschrittenen neuronalen Verschaltung seiner Großhirnrinde ab."

Das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion für die Abschaffung von Paragraf 218 StGB bezieht sich auf den Endbericht der von der Ampelregierung eingesetzten Expert:innenkommission: Diese sähe "bis zum Zeitpunkt der eigenständigen Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus einen gesetzgeberischen Handlungsspielraum für eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts vor. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren müssen daher neu austariert werden." Wie das näher zu regeln sei, wird jedoch nicht ausgeführt.

Zu denen, die demgegenüber in ihren Stellungnahmen für ein zeitlich uneingeschränktes absolutes Frauenselbstbestimmungsrecht plädierten, gehören etwa Terre des Femmes, AWO, Pro Familia, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, der Zentralrat der Konfessionsfreien und das Institut für Weltanschauungsrecht.

Einlenken zugunsten notwendiger Umsetzung

Im ifw-Plädoyer – gerichtet an die Expert:innenkommission – wurde noch im November 2023 ausgeführt: "Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) spricht sich dafür aus, den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig, d.h. ohne jegliche Fristen, zu legalisieren." Den einer solchen Freigabe entgegenstehenden Bundesverfassungsgerichtsurteilen (zuletzt von 1993) hielt das ifw vor: Nicht nur beim (frühen) Embryo, sondern auch bei einem Fötus (also höherem Entwicklungsstand) "leiden beide höchstrichterlichen Entscheidungen unter der Fehlannahme eines angeblichen Grundrechtsschutzes", der sich "exegetisch" nicht ableiten ließe.

Ein Beispiel für Kompromissbereitschaft im Sinne des gemeinsamen Grundanliegens: Das ifw und die oben genannten gleichgesinnten Organisationen – wie etwa das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung – lenkten ein. Sie stimmten der Teillegalisierung mit Kern einer gesetzlichen Fristenlösung zu und setzten ihre Unterschrift unter den zivilrechtlichen Gesetzentwurf (hier die Zusammenfassung). Die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed begrüßt ihn ausdrücklich als handwerklich überzeugend und erklärt zur Unterstützung durch das ifw: "Auch wenn der Gesetzesentwurf hinter unserer Forderung nach der vollständigen Legalisierung zurückbleibt, sollte er unbedingt umgesetzt werden, denn durch die Möglichkeit, bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche legal einen Abbruch vorzunehmen, wird sich die Versorgungslage der ungewollt Schwangeren in Deutschland in einem kaum zu überschätzenden Maße verbessern."

Den grundsätzlichen Kritiker:innen einer Fristenregelung ist in einem Punkt recht zu geben: Es bedarf nachvollziehbarer Argumente, dass der Schwangerschaftsabbruch bis zu einer bestimmten Woche völlig freigegeben ist, aber dann genau zum Beispiel ab der 12. oder der 22. Woche ohne medizinische Indikation nicht mehr rechtmäßig sein soll. Hier wäre eventuell eine parlamentarische Kompromissbildung nötig, die sich vielleicht auf 16 oder 18 Wochen zu einigen hätte – oder auf eine Pufferzone dazwischen mit Sonderregelungen.

Komplexe Gestaltungsspielräume nach der ersten Phase

Wochenfristen, (Pflicht-)Beratung, Früh- und Spätphasen, Indikation, Stigmatisierung, Rechtswidrigkeit ohne Strafbarkeit – das hört sich alles recht kompliziert an für Laien. Vergessen wir nicht: fast alle Bundestagsabgeordneten gehören dazu.

Auch gegebenenfalls noch neue Entwürfe, die sich auf den gut 330 Seiten umfassenden Endbericht der Expert:innenkommission beziehen, können einen weit gefassten Gestaltungsrahmen für sich in Anspruch nehmen. Denn dort heißt es in der Zusammenfassung (Verfasserin dieses Schlusskapitels: Prof. Liane Wörner) auf Seite 321: Nach einem Jahr intensiver Beratungen und Anhörungen habe sich ergeben, "dass der Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein sollte […]. Ein gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum besteht in der mittleren Phase der Schwangerschaft. In der Spätphase der Schwangerschaft, also mit Eintritt der extrauterinen Lebensfähigkeit, ist der Schwangerschaftsabbruch als grundsätzlich rechtswidrig einzuordnen, es sei denn, die Fortsetzung der Schwangerschaft ist der Frau ausnahmsweise unzumutbar."

Der von den drei Professorinnen jetzt vorgelegte Gesetzentwurf normiert also – nach dieser Einteilung – eine frühe bis fortgeschrittene mittlere Phase als nicht länger rechtswidrig. Dies wird vom Humanistischen Verband nachdrücklich unterstützt, der allerdings auch die Spätabbrüche im Blick hat, die (definiert nach gesetzlicher Frist) nur mit medizinischer Indikation für Ärzt:innen straffrei sind. Die Zahl beträgt nach derzeitiger Regelung in Deutschland zwar nur knapp 4 Prozent in Relation zu den rechtswidrigen, dabei aber straflos bleibenden etwa 100.000 jährlichen Eingriffen – das sind pro Jahr allerdings immerhin rund 3.500 Fälle. Dieser Sonderproblematik, welche vor allem die Einordnung der pränatalen Diagnostik betrifft, wird der HVD eine Nachfolgeveranstaltung am 29. Januar widmen.

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1 Hier finden Sie Programm und Anmeldung zur kostenfreien Teilnahme am 13. November an "Frauenrecht und Fötenschutz" in Berlin