Notizen aus Russland

Putin schenkt Benedikt eine Ikone.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat Papst

Benedikt XVI. zu dessen 80. Geburtstag eine Triptychon-Ikone geschenkt. Patriarch Alexi II. beschränkte sich auf eine Grußbotschaft.

Neben der Ikone „Tausend Jahre Christianisierung Russlands" hat Putin auch ein Gratulationsschreiben an den Papst geschickt, in dem er an die guten Beziehungen zwischen Rom und Moskau erinnerte. „Mit Herzenswärme denke ich an unser jüngstes Treffen im Vatikan zurück. Das Treffen bestätigte, dass Russland und der Heilige Stuhl zu einem großen Kreis von internationalen Fragen und aktuellen Problemen ähnliche Meinungen vertreten", heißt es in der Gratulationsbotschaft.
Auch Patriarch Alexi erinnerte in seinem Glückwunschschreiben an viele Gemeinsamkeiten zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche. Er würdigte Papst Benedikt als gelehrten Theologen und „tiefgläubigen Christen, der aus vollem Herzen spricht". Originalartikel (Deutsch)

Russland und Menschenrechte 1

Niedrige Renten und die Probleme im Bildungs- und Gesundheitswesen beeinträchtigen das Recht der Russen auf ein würdiges Leben, so Russlands Menschenrechtsbeauftragter Wladimir Lukin in seinem Jahresbericht, den er am 4. April in Moskau vorstellte.

Unter den sozialen Problemen hob Lukin die angespannte Wohnsituation hervor. In Moskau, aber auch in vielen anderen Städten sei der Erwerb von Wohnraum zu einem unerschwinglichen Luxus für einen Großteil der Bevölkerung geworden, sagte der Menschenrechtsbeauftragte. Vor allem für Invaliden, Waisen und andere benachteiligte Gruppen sei es schwer, eine Wohnung zu bekommen. Lukins Bericht basiert auf den Eingaben russischer Bürger. Täglich muss sein Büro etwa 300 Eingaben bearbeiten. Knapp die Hälfte davon betrifft soziale Probleme.

Der Menschenrechtsbeauftragte wies ferner auf Einschränkungen der Pressefreiheit hin. In den meisten Fällen werde ökonomischer Druck auf die Medien ausgeübt. Weit verbreitet sei auch die Selbstzensur. Beides führe dazu, dass das Recht, die Staatsmacht zu kritisieren, nur formal bestehe, heißt es in dem Bericht. Mehr im Originalartikel (Deutsch)

Russland und Menschenrechte 2

Der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin hat das Vorgehen der Miliz bei der Auflösung der Oppositionsmärsche kritisiert. Er sei bereit, die Interessen der Polizei-Opfer zu vertreten, sagte Lukin.

Am vergangenen Wochenende hatten in Moskau und St. Petersburg insgesamt einige Tausend Menschen gegen Präsident Wladimir Putin demonstriert. Nachdem am Sonnabend ein versuchter „Marsch der Unzufriedenen" in Moskau am harten Polizei-Einsatz scheiterte, war es auch in St. Petersburg nach einer Oppositionskundgebung zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Bei den Handgreiflichkeiten wurden nach Medienberichten auch unbeteiligte Passanten und Journalisten verletzt. Die Sicherheitskräfte verhafteten jeweils über 100 Personen.

Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow erklärte, dass er Foto- und Videomaterial zusammenstellen wolle, um sich damit an die Staatsanwaltschaft zu wenden. Ein anderer Organisator, Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, hatte bereits angekündigt, sich wegen der Miliz-Ausschreitungen an das Straßburger Gericht für Menschenrechte zu wenden.

Die Bundesregierung zeigte sich besorgt über die „exzessive Gewaltanwendung" und forderte eine „lückenlose Aufklärung" der Vorgänge. Kanzlerin Angela Merkel werde das Thema bei ihrem nächsten Treffen mit Präsident Putin am 18. Mai in Samara ansprechen, kündigte ein Regierungssprecher an. Mehr im Originalartikel (Deutsch)

Suche Arbeit

Soziologen des Allrussischen Forschungszentrums der öffentlichen Meinung Moskau haben Anfang April die Ergebnisse einer Umfrage zum Ausmaß und den Ursachen der Arbeitslosigkeit vorgestellt.

Demnach sieht die Mehrheit der Russen (69 %) in der Arbeitslosigkeit ein soziales Übel, das bekämpft werden müsse. 25 % meinen, sie sei eine natürliche Folge marktwirtschaftlicher Verhältnisse. Jeder zweite Befragte ist der Auffassung, dass die Arbeitslosenrate des Landes hoch sei. Besonders pessimistisch sind diesbezüglich die Einwohner kleiner Städte und Dörfer. Nur 1-2 % meinen, dass es gar keine Arbeitslosigkeit in ihrer Region gebe.

Zu den Bevölkerungsgruppen, die es am schwersten hätten, eine Stelle zu finden, zählten 28 % der Befragten Menschen ohne Berufserfahrung, 24 % - Arbeitslose über 35 Jahre, 17 % - Arbeit suchende Rentner, 13 % - Personen ohne Hochschulabschluss und Qualifikation. Seltener nannten die Umfrageteilnehmer folgende erschwerende Faktoren für die Stellensuche - Menschen mit Behinderungen (7 %) bzw. Frauen über 30, Frauen mit Kindern, Experten für bestimmte Fachrichtungen sowie "Faulenzer" (4 %).

Eine Mehrzahl der Befragten von 63 % macht den Staat für die Arbeitslosigkeit verantwortlich; 16 % meinen, dass Arbeitslose selbst schuld daran seien und 15 % sehen die Verantwortung bei den Arbeitgebern. Die Soziologen stellten zudem fest, dass Umfrageteilnehmer, die materiell besser gestellt sind, dazu neigen, die Verantwortung für Arbeitslosigkeit weniger auf der staatlichen Seite als vielmehr an den Betroffenen - Arbeitnehmern und Arbeitgebern - festzumachen. Mehr im Originalartikel (Russisch)

Sozialgefälle in der orthodoxen Kirche

Das Einkommensgefälle zwischen Russlands Reichen und Armen nimmt seit Jahren zu. Die wachsende Ungleichheit hat nun auch die orthodoxe Kirche auf den Plan gerufen. Doch wie sozial ist sie selbst? Metropolit Kyrill, Leiter des kirchlichen Außenamtes und einer der mächtigsten Kirchenführer des Landes, erinnerte die Reichen an ihre soziale Verantwortung: „Seinen Reichtum richtig einzusetzen, galt in Russland stets als Gabe Gottes", mahnte der orthodoxe Theologe Anfang März auf einem von der Kirche einberufenen „Volkskonzil" zum Thema Armut und Reichtum. Allerdings herrscht auch in der russisch-orthodoxen Kirche eine Zweiklassengesellschaft.

Während den Geistlichen in hohen Ämtern Dienstwagen, Wohnung und sogar eine eigene Datsche gestellt werden, leben die einfachen Priester auf dem Lande oft in ärmlichen Verhältnissen. Rund 26.000 Priester gibt es in Russland. Genaue Angaben über ihre Einkommensverhältnisse kann die Kirche nicht machen. Sie räumt aber erhebliche Einkommensunterschiede ein. „Das Gehalt eines Priesters richtet sich nach den Möglichkeiten und dem Spendenaufkommen der jeweiligen Gemeinde", sagt Sergej Swonarjow vom kirchlichen Außenamt. Daher seien die Einkommen höchst unterschiedlich: „In Moskau und einigen entwickelten Regionen ist dies eine ganz andere Summe als in den ärmeren Regionen", so der Kirchenamtsmitarbeiter.

In Russland gibt es keine Kirchensteuer. Die Gemeinden leben von den Spenden ihrer Mitglieder und Nebeneinkünften wie Gebühren für bestellte Messen oder Taufen. Vor allem in kleinen Ortschaften in der Provinz sind die Einnahmen der Gemeinden gering. Nikolai Mitrochin, Direktor des Instituts für Religionsforschung in den Staaten der GUS und des Baltikums, beziffert sie auf durchschnittlich deutlich weniger als 1.000 Euro pro Jahr. Mitunter müssen Priester auch mit Naturalien anstelle eines Gehalts vorlieb nehmen. Sergej Knjasjew, Priester am der Nikolaikirche der kleinen Gemeinde Wawosch in Udmurtien an der Wolga berichtet, dass einige seiner Kollegen Vieh halten und Getreide anbauen, um ihre Familie zu ernähren. „Es gibt Fälle, wo ein Priester bis Januar in Sommerschuhen herumläuft, weil es kein Geld gibt", so Knjasjew.

Dabei ist die russisch-orthodoxe Kirche keineswegs arm. Ihre Jahreseinnahmen liegen bei 100 bis 150 Millionen US-Dollar, schätzt Mitrochin. In den 1990er Jahren machte die Kirche Millionengewinne mit der Einfuhr von Alkohol und Tabak, die sie damals als eine der wenigen Institutionen in Russland zollfrei importieren durfte. Nun gibt es Pläne, mit Moskauer Immobilien große Geschäfte zu machen.

Über das Gehalt der Kirchenspitze gibt es keine gesicherten Angaben. Patriarch Alexi II. bekommt nach Angaben der Hauptbuchhalterin des Moskauer Patriarchats, Natalja Derjuschkina, lediglich seine staatliche Altersrente überwiesen. Nicht eingerechnet sind dabei allerdings die zahlreichen Privilegien, die das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche genießt - angefangen von einem Dienstwagen bis hin zu einer ihm zur Verfügung stehenden Residenz auf dem Land.

So versteht sich das Moskauer Patriarchat zwar als Anwalt der Armen in Russland, warnt aber gleichzeitig vor Neid und einer pauschalen Verurteilung des Reichtums. Reichtum an sich sei nicht verwerflich. Metropolit Kyrill kritisierte auf dem Volkskonzil in erster Linie die zunehmende Einkommenskluft und prangerte die Zurschaustellung von Reichtum und Verschwendungssucht an. Reichtum sei „weder Segnung noch Strafe", sondern „in erster Linie Prüfung und Verantwortung", stellte Patriarch Alexi klar. „Sündhaft ist es, wenn sich das ganze Streben des Menschen auf den Erwerb von Reichtum und maximalen Profit richtet und die seelische Komponente dabei auf der Strecke bleibt", erläutert Kirchenamtsmitarbeiter Swonarjow die Aussage des Kirchenoberhaupts. Originalartikel (Deutsch)

Verbot religiöser Praktiken mit Nazi-Symbolik

Ein Gericht in Krasnodar hat die Tätigkeit einer religiösen Gruppe orthodox-slawischer Altgläubiger verboten, die naziähnliche Symbole, darunter das Hakenkreuz, bei ihren Ritualen verwendeten. Während der Gottesdienste der seit 2000 existierenden Gemeinschaft wurde der Hitlergruß als Bestandteil des Kultes angewendet. Der Einspruch ihres Vorsitzenden gegen diesen Entscheid wurde abgewiesen.

Die zuständige Staatsanwaltschaft verweist in einer Erklärung, dass nach dem Gesetz „Zum ewigen Gedenken an den Sieg des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg 1941-45" die Verwendung von Nazi-Symbolik jedweder Form in der Russischen Föderation verboten sei. Gleichfalls verbiete das Gesetz „Zur Abwendung extremistischer Tätigkeit" die Propaganda und öffentliche Zurschaustellung von Attributen und Symbolen, die denen der nationalsozialistischen Symbolik ähnlich sind oder mit ihr vermischt werden. In diesem Zusammenhang wandte sich der Staatsanwalt an das zuständige Kreisgericht mit der Forderung eines Komplettverbotes der religiösen Gruppe. Originalartikel (Russisch)

33 Soldaten durch Misshandlungen getötet

In der russischen Armee sollen im vergangenen Jahr 6700 Soldaten misshandelt und unter Gewalt gelitten haben, 33 sollen dabei gar ums Leben gekommen sein. Diese Zahlen veröffentlichte der Föderationsrat aus einem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft, der die Rechtslage in der russischen Armee und die rechtliche Verbesserung behandelt.

In dem Dokument heißt es, die Rechtslage in den Streitkräften bleibe weiter Besorgnis erregend. Die Verfasser weisen darauf hin, dass die Kommandeure einen Teil der Verantwortung für die so genannte Dedowschtschina, das Schikanieren von Rekruten durch Dienstältere, tragen. Unterlagen der Inspektionen und Strafakten bezeugten, dass die Kommandeure häufig über die wirkliche Situation in den Einheiten nicht unterrichtet seien. Die Zahl der registrierten Verbrechen in der russischen Armee belief sich im vorigen Jahr auf 25.100. Insgesamt kamen 766 Soldaten ums Leben. Im Bericht heißt es, fast täglich verließen Soldaten ihre Einheiten, sind traumatisiert und werden umgebracht. Originalartikel (Deutsch)

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Thema:

Für und Wider zur Homosexualität - ein Dauerbrenner in Russland

Ein wichtiger Indikator für die gelebte Demokratie in einer Gesellschaft ist deren Einstellung zu ihren Minderheiten, darunter denen mit einer anderen als der mehrheitlichen sexuellen Identität. Wie schwer sich diesbezüglich die russische Mehrheitsgesellschaft mit der Vielfalt des Lebens tut, verdeutlicht der dortzulande scharf geführte, ja regelrechte Kulturkampf um die so genannten „Minderheiten nichttraditioneller sexueller Orientierung". Und so leiden Schwule, Lesben und Transsexuelle unter der unheiligen Dreifaltigkeit aus russisch-orthodoxer Kirche, autokratisch herrschender Staatsmacht und einer Bevölkerungsmehrheit, die den Betroffenen gegenüber ablehnend eingestellt ist.

Auf Kosten dieser Minderheit profilieren sich Kirchenobere als stimmgewaltige, geistige Brandstifter. Im Konsens mit den politischen Herrschern verbreitet der orthodoxe Klerus massiv und unnachgiebig seine dogmatische Sexualmoral. Damit fördern Alexi II. & Co. - analog zu ihren katholischen und islamischen Brüdern im Geiste andernorts -, bewusst oder unbewusst, ein gesellschaftliches Klima der Intoleranz - bis hin zum Hass - gegen alle und alles, was nicht der „reinen" religiösen Lehre und/oder dem „gesunden Volksempfinden" entspricht.

Die orthodoxe Kirche kann sich hierbei bestens auf ihre ideologischen Vormonopolisten aus der Sowjetzeit stützen, die jahrzehntelang den Nährboden für die heutige aggressive Homophobie in der russischen Gesellschaft kultivierten. Denn seit den 1930er Jahren sorgten Stalin und seine Nachfolger für eine bemerkenswerte Verklemmtheit gegenüber jedweder Geschlechtlichkeit einschließlich der strafrechtlichen Verfolgung ihrer homosexuellen Variante. Die Tabuisierung des Sexuellen war Bestandteil einer „religiös-atheistischen" Biederkeit und Dogmatik der KPdSU, die nicht nur abweichende Ideen und Überzeugungen bekämpfte, sondern auch die Vielfalt der Veranlagungen und Gefühle des Menschen jenseits der vermeintlichen Norm nicht zuließ.

Zwar wurde nach dem Zerfall der UdSSR der Paragraph zur Homosexuellenverfolgung 1993 aus dem russischen Strafgesetzbuch gestrichen. Die allgemein vorherrschende Meinung hat sich in den letzten Jahren jedoch eher wieder verschlechtert, was unter anderem soziologische Umfragen bestätigen. In der aktuellen Debatte zum Umgang mit Schwulen, Lesben und Transsexuellen werden vor allem folgende Argumente als Beweis für die „Schädlichkeit des Einflusses" dieser sexuellen Minderheiten ins Feld geführt (vgl. die mehrfache hpd-Berichterstattung der vergangenen Monate):

  • Politiker wie der Moskauer Bürgermeister Luschkow behaupten, dass Homosexuelle „Propaganda" zur Verbreitung ihrer Lebensweise betreiben würden. Daher müsse man ihren öffentlichen Einfluss eindämmen und Demonstrationen für ihre Rechte verbieten.
  • In Kirchendokumenten, z. B. zum Kampf gegen die Immunschwäche AIDS, werden nebulös „unanständige sexuelle Beziehungen" gebrandmarkt, was immer man damit auch anzudeuten gedenkt.
  • Homosexualität ist laut orthodoxem Duktus „Sünde" und für den Zerfall der traditionellen Familie und anderer Werte verantwortlich.
  • Schwule und Lesben werden für den Rückgang des Bevölkerungswachstums verantwortlich gemacht. In diesem Sinn sprach der russische Präsidenten Putin zu Beginn des Jahres davon, dass er als Staatsoberhaupt bzgl. der Frage der Homosexualität das Problem einer negativen demographischen Entwicklung sehe. Bezüge auf diese „Argumentation" durch orthodoxe Kirchenführer ließen nicht lange auf sich warten.

Vor dem Hintergrund dieser sozialen Irrationalität erscheinen auch in dieser Ausgabe der „Notizen aus Russland" wieder Meldungen über ein aktuelles Dauerthema der russischen Öffentlichkeit, das aus humanistischer Sicht schon lange begraben sein sollte.

Homo-Diskriminierung - staatlich begründet

Als sich der russische Präsident Wladimir Putin im Oktober vergangenen Jahres im Rundfunk dem direkten Gespräch mit den Bürgern des Landes stellte, wurde er von der Internetgemeinde „RU_Antidogma" unter anderem mit folgender Frage konfrontiert: „Sehr geehrter Wladimir Wladimirowitsch! In vielen zivilisierten Ländern der Welt ist die Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zugelassen worden. ... Was steht aus Ihrer Sicht als Präsident der Einführung einer Institution bürgerlicher gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in unserem Land entgegen?"

Der Präsident ging auf diese wie auch auf andere Fragen zur Situation homo- und transsexueller Menschen in Russland nicht ein. Doch seine Präsidialverwaltung verschickte alle unbeantworteten Fragen an die „jeweils zuständigen Behörden" - die Beamten in den Regionen. Nach einem halben Jahr erhielt jetzt der Leiter von „RU_Antidogma" die folgende offizielle Antwort:

„Sehr geehrter Ruslan! Bezüglich Ihrer Anfrage an den Präsidenten der Russischen Föderation W. W. Putin während der ‚Direktverbindung' vom 21. bis 25. Oktober 2006 zu den Faktoren, die einer Registrierung bürgerlicher gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in unserem Land entgegenstehen, teilt Ihnen das für Standesämter in der Provinz Tscheljabinsk zuständige Staatliche Komitee Folgendes mit. Im russischen Familienrecht sind die sozialen Normen festgehalten und vom Staat geschützt, die sich durch das Rechtsbewusstsein der Gesellschaft im Verlaufe einer langwierigen Periode der historischen Entwicklung herausgebildet haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt richtet sich die Aufmerksamkeit des Staates auf die Verbesserung der demographischen Situation im Land, auf die Unterstützung der Institutionen Familie und Ehe (als Verbindung von Mann und Frau) sowie auf die Schaffung einer würdigen Zukunft unserer Kinder. Die von Ihnen gestellte Frage stellt sich gegenwärtig für unsere Gesellschaft als nicht aktuell dar." Originalartikel (Russisch)

Homo-Aufklärung - ganz orthodox

Das russische Nachrichtenportal GayNews.Ru veröffentlichte Anfang April folgenden Kommentar:„In letzter Zeit erfreuen hochrangige Russen immer öfter das gelangweilte Europa. Vor kurzem lachte man dort über Juri Luschkows Ausführungen zur Homosexualität. Nun plant auch noch Alexi II., die Europäer zu belustigen, und zwar in Straßburg im Herbst dieses Jahres. Die Generalprobe zu dieser Comedy-Show fand heute in Moskau statt. Auf einem Treffen mit Journalisten erklärte der Patriarch, dass er im Verlauf des für Oktober geplanten Besuches und Auftritts vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates das Thema der geistlichen Krise im heutigen Europa zur Sprache bringen will. Unter Krise versteht der Patriarch von ganz Russland Schwulenparaden, gleichgeschlechtliche Ehen und Homosexualität.

Ferner konnte sich Alexi II. wieder des Modethemas Demographie nicht enthalten. ‚In Westeuropa sind heutzutage gleichgeschlechtliche Ehen äußerst verbreitet, und das bei dem bestehenden demographischen Problem', erklärte er. ‚Viele Nöte in unserem Land rühren daher, dass die Institution der Familie und die christlichen Werte verloren gegangen sind', so Patriarch Alexi.

Offenbar hatte der Patriarch sich auch bei bestimmten ‚Leuchten der medizinischen Welt' darüber schlau gemacht, ob Homosexualität eine Krankheit sei. ‚Sie sagten, es sei eine Abweichung von der Norm. Doch es gibt auch anderen Abweichungen von der Norm, beispielsweise Kleptomanie, für die jedoch niemand Reklame macht. Warum wird also so viel Werbung für Homosexualität betrieben?', sagte Alexi II.

Apropos, die Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche denken sich jedes Mal etwas hübsches Neues aus, wenn es um Homosexualität geht. Verglich der Patriarch, wie erwähnt, heute Homosexualität mit Kleptomanie, so setzte im Oktober vergangenen Jahres Kirill, Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, in einer Polemik Schwule mit Mördern gleich." Originalartikel 1 (Russisch) und Originalartikel 2 (Russisch)

Homosexualität - wissenschaftlich

Der Soziologe und Nestor der russischen Sexualwissenschaft Igor Kon beantwortete auf einer Internetkonferenz der Zeitung „Komsomolskaja Prawda" die Frage, ob Homosexualität in Russland eine Modeerscheinung sei und wie man den Begriff „Propagierung der Homosexualität" deuten solle. Der Wissenschaftler erklärte, dass er mit diesem Begriff nichts anfangen könne und betonte, dass es diesbezüglich keine Modeerscheinung gäbe: „Die Frage der Wahl der sexuellen Orientierung ist keine Modeangelegenheit." Und weiter: „Gibt es etwa Stimmen, die propagieren würden, dass Homosexualität besser als Heterosexualität sei?"

Nach Meinung des Wissenschaftlers werde eher eine landesweite Kampagne der Homophobie geführt und es gäbe diverse Forderungen, etwas zu verbieten oder zu schließen. „Dies widerspreche ganz klar den allgemeinen Tendenzen der Kultur und unserer Gesetzgebung. Und dies ist leider auch mit einem generellen Phänomen verbunden - dem Anwachsen der Xenophobie, d. h. dem Hass und der Feindseligkeit gegenüber allem Andersartigen und Fremden. Das ist tatsächlich eine gefährliche Erscheinung, gegen die man kämpfen muss", resümierte Igor Kon.

Seine Unterschrift unter eine von Gay-Aktivisten verfasste Erklärung „Zu den Verletzungen des Menschenrechts auf Selbstbestimmung" kommentiert der Akademiker auf seiner Homepage folgendermaßen: „Für mich als Wissenschaftler wie als Bürger sind die hierin enthaltenen Anklagen gerechtfertigt. Die aggressiven homophoben Erklärungen und Handlungen gegen Andersliebende, die man für alle Probleme der Welt bis hin zu einer sinkenden Geburtenrate verantwortlich macht, sind für mich mit den Vorstellungen einer modernen Wissenschaft, den Normen der Moral, der Verfassung und dem internationalen Recht unvereinbar. Diese demagogische Kampagne, die auf das Entfachen einer Fremdenfeindlichkeit und die Isolation Russlands vom Westen gerichtet ist, hat unser Land schon vor den Augen der zivilisierten Welt lächerlich gemacht. Diejenigen, die die Beendigung dieser Kampagne fordern, verteidigen nicht nur ihre eigenen Bürgerrechte und ihre menschliche Würde, sondern auch das nationale Ansehen Russlands." Originalartikel 1 (Russisch) und Originalartikel 2 (Russisch)

Tibor Vogelsang