„Die Mädchen aus dem Raum 28"

BERLIN. (hpd) Die alljährlich im Deutschen Bundestag wiederkehrende Gedenkstunde für die „Opfer des Nationalsozialismus"

hatte in diesem Jahr das tragende Thema „Kinder als Opfer im Nationalsozialismus".

 

Zur offiziellen Veranstaltung der „Jugendbewegung des Bundestages" in dieser 4. Kalenderwoche sind 85 internationale jugendliche Teilnehmer zusammen gekommen, die sich mit dem Holocaust herausragend beschäftigt haben und sie treffen auf acht Zeitzeuginnen, die als Mädchen zwölf bis vierzehn Jahre alt waren als sie 1944 – befreit aus dem Konzentrations- und Durchgangslager Theresienstadt –, das Ende des Krieges erlebten.

Mit 30 Quadratmetern wurde 1942 in Theresienstadt der „Raum 28 für 30 Mädchen ein Mikrokosmos, in dem die kleine Gemeinschaft ihre Werte formulierten, demokratisch in monatlich stattfindenden Wahlen beispielhaftes Verhalten zu einander auszeichneten und dafür Minister sowie ein Ober- und Unterhaus inszenierten und Freundschaft wie Hoffnung beschworen.

Tagebücher sind es, aus denen die „Mädchen von Zimmer 28" am Abend des 21. Januar 2008 in Berlin auf der Bühne der Akademie der Künste lesen, in ihrer deutschen Muttersprache berichten und zu den Zuhörern der szenischen Lesung springt die Erschütterung der Mädchen vor den lauernden Appellen zum Abtransport nach Auschwitz und der Gefahr aus dieser Gemeinschaft herausgerissen zu werden (Im Anhang: Die Texte der szenischen Lesung).

Zur Eröffnung der Ausstellung ein Bericht von Gaby Flatow:

Dass „Gedenkfeiern" sich längst emanzipiert haben von dem puren Ritual der mehr oder minder überzeugenden „Nie-Wieder-Mahnungen" und bloßer Appelle an das „Nicht-Vergessen-Dürfen" konnte man vielerorts erleichtert – aber um so mehr ergriffen – feststellen, auch hier im Abgeordnetenhaus des Bundestages, bzw. im Foyer des Paul Löbe Hauses, am Vormittag des 23. Januar 2008.

Die Ansprachen von Bundestagspräsident Norbert Lammert wie jene von Dr. Rudolf Jindrák, Botschafter der Tschechischen Republik gaben dem Anlass den historischen Halt wie - am Beispiel antisemitischer Demonstrationen in Pilzn - einen aktuellen Bezug.

Der Pianist Jascha Nemtsov (Potsdam) stellte, kraftvoll und energiegeladen, je ein Werk vor von Schulhoff (1894 - 1942) und Gideon Klein (1919 - 1945), des neben Viktor Ullmann herausragendsten Musiker in Theresienstadt. Ein eindrucksvoller, wenn auch kurzer Verweis auf das Phänomen der künstlerischen Aktivität dieses Konzentrations- und Durchgangslagers, 60 km nördlich von Prag gelegen.

Immer dann werden Gedenktage, -stunden oder gar -minuten zu nachhaltigem Erleben, wenn Authentisches mitwirkt - oder künstlerisch erreicht wird.

Authentisch sind jene, die berichten können

Authentisch: Das sind jene, die berichten können, wie die Wirklichkeit damals war für die Verfolgten des Nazi-Regimes. Wenn sie von sich berichten, was sie gesehen, erlebt, was sie verloren haben - oft die Eltern, Geschwister, zuvor das Zuhause, ihre Instrumente und Haustiere, die Freunde, jeglichen Unterricht und sozialen Halt - aber nicht die Hoffnung, nicht jene, die heute noch zu berichten in der Lage sind.

Acht solcher Zeitzeugen, die jetzt in Israel, den USA, in Tschechien und Österreich leben, hat der Deutsche Bundestag für eine Woche nach Berlin eingeladen. Nicht nur in ihrer Gegenwart, auch mit ihrer Mitwirkung wurde jene Ausstellung eröffnet, die ihr Zimmer 28 zeigte, in dem sie als junge Mädchen die Jahre zwischen 1942 und 1945 als Ghettohäftlinge in Theresienstadt zu verbringen hatten.

Was sie jedoch berichteten, waren eben nicht die Gräuel und Grausamkeiten, den Hunger erwähnen sie kaum, er frisst sich zwischen die Zeilen durch, zwischen jene, in denen die Kostbarkeit eines Kanten Brot und die Ausnahmeerscheinung eines Puddings beschworen werden. Von Wanzenplagen, Typhus, Fieber und den für alle Kinder angsterfüllten Nächten ist in Dokumentationen genug zu lesen, auch in der gleichnamigen Buchvorlage, doch die Gäste hier, die Theresienstadt erlebt und Auschwitz mit ihren eigenen Augen gesehen haben, sprechen davon nicht im Haus der deutschen Abgeordneten. Sie berichten von ihren Idealen, von ihren mit heißem Herzen erstrebten moralischen Werten, von ihrem Bemühen, alle Tugenden eines edlen Menschen zu erfüllen. Und es geschieht - vor aller Augen und Ohren im Foyer des Paul Löbe Hauses etwas Erstaunliches: All der vor sieben Jahrzehnten aufgeschriebene und erstrebte Idealismus, der so jugendlich, ja kindlich fast in Worten erschien, hat sich jetzt in der Realität bewahrheiten können:

Junge Mädchen des Leipziger Gewandhaus Kinderchors singen jene Hymne, die den Mädchen aus dem Zimmer 28 vor nahezu siebzig Jahren Mut und Zuversicht gab, jetzt singen sie gemeinsam, auch die deutschen Chormitglieder auf Tschechisch.

Die Botschaft ist angekommen

Nicht von „Opfern und Tätern" ist hier mehr die Rede, ganz anderes ist hier geschehen, jenseits dieser Grenzziehung, die mit einem Mal aufgehoben zu sein scheint, da das Einigende das Trennende überwunden hat, überwinden sollte! Dies zu erreichen hat Jahre gedauert, 12 Jahre hier, mancherorts konnte es noch nicht erreicht werden oder wurde gar wieder zerstört.

Der vielleicht wichtigste Satz stand nicht im Manuskript des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert: Er dankte den beiden aktiven Zeitzeuginnen noch einmal spontan nach ihrer Lesung aus ihren 1944 entstandenen Tagebüchern und Poesiealben: Sie hätten nicht nur damals, als junge Mädchen im Ghetto hohe moralische Ansprüche erfüllt, sondern sie tun es auch heute, indem sie es verstanden hätten, den Dialog, die Verständigung und die Freundschaft bis zur Gegenwart aufrecht zu erhalten und zu erweitern, z.B. auch zu uns Deutschen, ließe sich ergänzen, gedanklich zumindest.

Zwölf Jahre nach der ersten Begegnung zwischen der deutschen Journalistin Hannelore Brenner-Wonschick und den „Mädchen von Zimmer 28" ist ihre Botschaft im Deutschen Bundestag angekommen. Danke.

Gaby Flatow

 

 

Die Ausstellung: DIE MÄDCHEN VON ZIMMER 28, L 410 Theresienstadt" ist vom 24. Januar bis 15. Februar 2008, zu sehen im Bundestag, Paul - Löbe - Haus (Westfoyer), Konrad - Adenauerstr. 1 - Berlin - Mitte

Montag 8.00 bis 16.00 Uhr / Dienstag bis Donnerstag: 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr / Freitag: 08.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Eintritt frei