Infantilisierung durch Konsumkapitalismus

(hpd) Früher produzierte man Waren, um Bedürfnisse zu befriedigen; heute produziert man Bedürfnisse, um Waren zu verkaufen.

So unterscheidet Benjamin R. Barber den frühen demokratischen von dem aktuellen konsumorientierten Kapitalismus.

"Ich will Haben"-Mentalität

Der Professor of Civil Society an der University of Maryland, ehemaliger innenpolitischer Berater der Clinton-Regierung, formuliert in seinem neuen Buch „Consumed!" eine vehemente Attacke gegen ein neues Ethos in den USA und der westlichen Welt: „Es ist ein Ethos der künstlich herbeigeführten Kindlichkeit, eine Infantilisierung, die eng mit den Anforderungen des Konsumkapitalismus in einer globalen Marktwirtschaft zusammenhängt" (S. 10). Mit der Kindlichkeit meint Barbar die „Ich will haben"-Mentalität, die Reduzierung individueller Identität auf den fortgesetzten Warenkonsum. Die damit verbundenen kulturellen Einstellungen und sozialen Verhaltensweisen prägten die Gesellschaft, sie führten zu Egoismus und Kulturverlust, Narzissmus und Verantwortungslosigkeit.

Egoismus und Kulturverlust, Narzissmus und Verantwortungslosigkeit

Dies veranschaulicht Barbar anhand der verschiedensten Beispiele aus dem Alltagsleben, sei es der gezielten Marketing-Strategien für die Zielgruppe Kinder, der sozialen Funktion des Einkaufszentrums als Treffpunkt von Konsumenten, der kultartigen Fixierung auf bestimmte Markenprodukte oder der Permanenz von Werbung an nahezu allen Orten menschlicher Kontakte. Dabei versteht sich seine Streitschrift nicht als antikapitalistisches Traktat, denn: „Es geht heute ... nicht um den Kapitalismus an sich, sondern um die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen dem Kapitalismus und den vielen sonstigen eigenständigen Lebenswelten, zu deren Entstehung er einmal beigetragen hat, die er nun aber, angewiesen auf Hyperkonsum, zu zerstören droht" (S. 255). Barbar warnt davor, dass die Konsumfixierung das Alltagslebens der Menschen immer mehr erobere. Demgegenüber fordert er: Die Demokratie müsse wieder zum souveränen Garanten aller privater Bereiche und der Kapitalismus müsse wieder eine wirtschaftliche Maschine der Bedürfnisbefriedigung werden.

Barbers Anklage gegen Kaufsucht und Kommerzkultur ist nicht neu, ähnliches konnte man schon vor Jahrzehnten bei Erich Fromm, Christopher Lasch oder Neil Postman lesen. Insofern überzeugt auch die schroffe Aufteilung zwischen frühem guten und aktuell schlechtem Kapitalismus nicht ganz. Mitunter argumentiert Barber hier wie in anderen Kontexten etwas holzschnittartig.

Gleichwohl können seine eindringlichen Warnungen vor den gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung nicht zur Seite geschoben werden. Barber betont dabei auch die Notwendigkeit einer Gegenbewegung, um den angemessenen und begründeten Protest nicht irgendwelchen Fanatikern zu überlassen. Er setzt hier auf eine kritische Konsumentenbewegung und soziale Kapitalisten. Außerdem plädiert Barber für eine Demokratisierung der Globalisierung, bleibt dabei aber ähnlich allgemein wie bei der Ursachenanalyse für das Aufkommen der Konsumfixierung. Insofern geht Barbers angemessene Kritik nicht in die Tiefe, verdient aber durchaus Beachtung und Reflexion.

Armin Pfahl-Traughber

Benjamin R. Barber , Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt. Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Griese, München 2008 (C. H. Beck-Verlag), 395 S., 24,90 €