Eine politikwissenschaftliche Analyse

Die Gefahr einer "Tyrannei der Minderheit" in den USA

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Das Weiße Haus

Die beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt legen bezogen auf die politische Entwicklung in ihrem Heimatland eine kritische Untersuchung vor, welche vor einer Demokratiegefährdung durch eine Minderheitenherrschaft warnt. Man muss ebendort keine Mehrheiten haben, um doch Präsident zu werden.

Im 19. Jahrhundert warnte Alexis de Tocqueville davor, dass sich eine "Diktatur der Mehrheit" in den USA etablieren könne. Es bestand seinerzeit bei dem französischen Denker die Furcht davor, dass Massenstimmungen negative Wirkungen zeitigen könnten. Demgegenüber ist heute bezogen auf das Land von einer "Tyrannei der Minderheit" die Rede, zumindest bei den beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Beide sind durch ihr Buch "Wie Demokratien sterben" von 2018 international bekannt geworden, warnten sie darin doch vor einem Erosionsprozess in demokratischen Ordnungen.

Cover

Ihr neues Buch "Die Tyrannei der Minderheit" konzentriert sich demgegenüber auf die Entwicklung in ihrem Heimatland, hat es doch "Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können" als Untertitel. Es erinnert an ein Faktum: Bei seiner ersten Kandidatur für das Präsidentenamt erhielt Donald Trump nicht die meisten Wählerstimmen, nur eine Minderheit wählte ihn an die Spitze des Staates. Wie konnte das sein?

Antworten auf diese Frage finden sich bei Levitsky und Ziblatt. Sie machen auf die besondere Anfälligkeit für eine "Diktatur der Minderheit" in den USA aufmerksam, blicken aber auch auf die Entwicklung in anderen Ländern und Zeiten. Das neue Buch ist ebenso wie das vorherige Buch von einer anschaulichen und lockeren Schreibe geprägt, welche aber in Inhalt und Tonfall nicht in oberflächliche und platte Zuspitzungen abgleitet. Bevor die beiden Autoren zum eigentlich Gemeinten kommen, erinnern sie noch einmal an die Basiswerte moderner Demokratie, wozu etwa die Akzeptanz von Wahlergebnissen oder der Verzicht auf Gewalt gehören. Bekanntlich teilt man diese Grundprinzipien in der republikanischen Partei nicht mehr flächendeckend. Gleiches gilt für die notwendige Distanz gegenüber antidemokratischen und extremistischen Kräften. Und nun rächt sich aus Autorensicht die Fortexistenz "nichtmajoritärer Institutionen", welche auf ganz verschiedenen Ebenen eben die Herrschaft von politischen Minoritäten ermöglichen würde.

Eine schlichte Beobachtung wird dabei in folgende Worte gekleidet: "Heute sind die Republikaner vor allem die Partei spärlich besiedelter Regionen, während die Demokraten die Partei der Städte sind. Infolgedessen ist die Schieflage der Verfassung zugunsten kleiner Bundesstaaten, die im 20. Jahrhundert zu einer zugunsten ländlicher Gebiete wurde, im 21. Jahrhundert zu einer parteilichen Schieflage geworden. Wir erleben unsere eigene Art des 'schleichenden Gegenmajoritarismus’" (S.197). Einschlägige weitere Bedingungsfaktoren in bestimmten Institutionen werden von Levitsky und Ziblatt souverän herausgearbeitet: dem obersten Gerichtshof, dem Senat, dem Wahlmännerkollegium und dem Wahlsystem. Besondere Aufmerksamkeit verdienen bei diesen Beschreibungen die Erörterungen zu den Wahlbezirksmanipulationen. Hier bestehen jeweils Besonderheiten in den USA, gab es doch in anderen Ländern nicht ähnliche Verzerrungen. Darauf machen immer wieder die erwähnten vergleichenden Blicke in andere Staaten aufmerksam.

Bilanzierend konstatieren die Autoren dann: "Unsere übermäßig nichtmajoritäre Verfassung ist nicht nur eine historische Kuriosität. Sie gefährdet auch unsere Demokratie, da sie autoritäre parteiliche Minderheiten schützt und stärkt. Gleichzeitig ist es fast unmöglich, sie zu ändern" (S. 253). Indessen werden in dem Buch durchaus Reformvorschläge vorgetragen, wofür aber einschlägige politische Mehrheiten und Willensbekundungen fehlen. Der Blick auf diese institutionellen Defizite wird gleichwohl von Levitsky und Ziblatt geschärft. Ihre Darstellung und Erörterung überzeugt über weite Strecken, allenfalls hätte man sich zu bestimmten Aspekten wie eben die Bedingungsfaktoren dafür über die Jahrzehnte noch mehr gewünscht. Denn wie erklärt sich die kritisierte Entwicklung, die es in diesen Dimensionen eben nicht überall gab? Die Ausführungen verdienen großes Interesse, geht es doch um die politischen Entwicklungen in einer bedeutsamen Weltmacht. Gerade aufgrund deren demokratischer Ausrichtung bedarf es solcher kritischer Problemanalysen.

Steven Levitsky/Daniel Ziblatt, Die Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können, München 2014 (Deutsche Verlags-Anstalt), 349 S., 26,00 Euro

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