BERLIN. (hpd) Nach der Revolution von 1979 war für die Oppositionellen in der Islamischen Republik Iran eine entscheidende Frage: Was ist sinnvoll - Beteiligung oder ein Boykott der Wahlen? Heute ist ein erheblicher Teil der Oppositionellen, insbesondere des säkular geprägten Teils, aus den politischen Institutionen ausgeschlossen und kann nur in der Illegalität oder im Exil aktiv sein.
Der Begriff der „Opposition“ ist im iranischen Kontext ein wenig missverständlich. Es ist nicht immer klar, ob damit nur jene Kräfte gemeint sind, die aus der aktiven Beteiligung im politischen System ausgeschlossen sind, wie Monarchisten, die säkulare Linke, republikanische und religiöse Nationalisten oder etwa die Volksmudschahedin.
Die aus dem politischen Establishment der Islamischen Republik kommenden und in den vergangenen Jahren immer mehr aus der Politik gedrängten Reformisten, wurden teilweise auch verfolgt oder ins Exil getriebenen. Sie können ebenfalls zu "Opposition" gerechnet werden.
Bei der Frage der Wahlbeteiligung geht es bei Teilen der Opposition deshalb um die Entscheidung, welche Kandidaten man aus strategischen Gründen unterstützen sollte und welche nicht.
Dies hängt unmittelbar mit den Erfahrungen in den letzten fünfzehn Jahren zusammen. Die Präsidentschaftswahlen von 1997, die zur Präsidentschaft von Seyed Mohammad Khatami führten, wie die umstrittenen Wahlen von 2009, boten aus strategischer Perspektive den Oppositionskräften im Ausland mehr Anreiz, an den Wahlen teilzunehmen. Zum Beispiel unterstützten Teile der Exilopposition Kandidaten der Reformisten, wie den Kandidaten Mehdi Karroubi, insbesondere wegen seiner Position zu Menschenrechtsfragen.
Die enttäuschende Erfahrung mit dem ehemaligen Präsidenten Khatami, der seine Reformen nicht durchsetzen konnte, führte aber bei vielen auch dazu, dass acht Jahre nach den Wahlen die Mehrheit der Opposition im Ausland zum Boykott der Wahlen aufrief, Mahmud Ahmadinedschad 2005 dann aber als Präsident folgte. Während der Präsidentschaft von Ahmadinedschad verlor das Land international an Ansehen und die wirtschaftliche, soziale und menschenrechtliche Lage verschlechterte sich drastisch. Deshalb riefen viele Oppositionelle dazu auf, doch wieder an den Wahlen teilzunehmen.
Eine Opposition zwischen Wahlbeteiligung und -boykott
Nach den Ereignissen der Präsidentschaftswahlen von 2009 waren die Oppositionellen des Landes mit dem Problem konfrontiert, dass der Glaube vorherrschte, die Führung um den religiösen Führer Khamenei habe die Wahlen gefälscht und die Stimmen für Mussawi und Karroubi einfach Ahmadinadschad gegeben. Warum sollte man aber zu Wahlen aufrufen, solange es keine Garantie gibt, dass es nicht wieder zu Wahlfälschungen kommt und die Opposition zur Wahl bestimmter „strategischer Kandidaten“ aufruft?
Auf der einen Seite argumentieren Gegner einer Wahlbeteiligung seit jeher damit, dass die Beteiligung an diesen Wahlen und insbesondere eine hohe Wahlbeteiligung dem politischen System der Republik Legitimität verleihe. Umgekehrt führen die Befürworter einer Beteiligung, die Präsidentschaftswahlen von 2009 und deren Konsequenzen als Gegenargument an. Gerade weil bei einer Wahlbeteiligung von 40 Millionen Stimmberechtigten eben dieser Kandidat nicht gewählt wurde, kam es in Folge zu massiven Protesten und zu einem gleich doppelten Legitimationsverlust der islamischen Republik. Die Führung musste zum einen recht offensichtlich die Wahlen fälschen und war zum anderen mit den größten Protesten seit dem Bestehen der Republik konfrontiert. Diese waren nur mit massiver Gewalt zu unterdrücken.
Schon seit Wochen debattieren Iraner auf ihren Facebook-Seiten lebhaft über die Präsidentschaftswahlen. Eine Sensation der diesjährigen Präsidentschaftswahl ist zweifellos die Disqualifizierung der Kandidatur Rafsandschanis durch den Wächterrat. Rafsandschani gehörte als einer der mächtigsten Männer im Iran lange zum innersten Zirkel der iranischen Machthaber. Er hatte nach der Wahl von 2009 die Kandidaten der Reformer Mussawi und Karroubi unterstützt und galt nach deren Ausschaltung als einer der großen Verlierer dieser Auseinandersetzung. Nun haben seine Unterstützer zur Wahl von Hassan Rouhani aufgerufen. Zwischenzeitlich hieß es sogar, dass der Wächterrat auch Rouhani disqualifizieren würde. Schnell wurde diese Meldung aber vom Wächterrat dementiert.
Lebhafte Diskussion unter Exiliraner/innen
Wäre Rafsanjani zu den Wahlen zugelassen worden, hätten weniger Kräfte innerhalb der Oppositionsbewegung zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Noch vor Rafsanjanis Disqualifizierung hat ein im französischen Exil lebende iranische Journalist bei einer Veranstaltung der „United republicans of Iran“ in Berlin gesagt: „(Ali Akbar) Hashemi (Rafsandschani) hat einen bedeutenden Unterstützer, Khatami. Und fast alle Reformer werden diese Kandidatur Hashemis unterstützen.“ Während derselben Versammlung sagte der iranische Exilpolitiker Mehran Barati, der Führer der islamischen Republik, Ayatollah Khamenei, werde nicht mit der Weltgemeinschaft verhandeln. Eher werde er einen Krieg in Kauf nehmen. „Khamenei glaubt, der Iran wird wie in dem Krieg zwischen den USA und Vietnam am Ende als Sieger hervorgehen“, behauptet Barati. Die Beteiligung an den Wahlen ist für die Opposition ein Bestandteil der weichen politischen Veränderungen, das heisst ohne Gewalt. Wenn aber diese Chance nicht besteht, dann gibt es auch keinen Grund an den Wahlen teilzunehmen.
Die Disqualifizierung Rafsandschanis hat aber dazu geführt, dass viele iranische Exilgruppen zum Wahlboykott aufrufen. Das „Komitee der Koordination des Grünen Weges“, wie sich die Unterstützer von Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi im Ausland nennen, haben eine Erklärung abgegeben, in der es heisst: „ Die bevorstehenden Wahlen beinhalten nicht einmal ein Minimum an allgemein anerkannten Standards für freie Wahlen.“
Auch die Auslandsgruppe der „Mudschahedin enghelab eslami“, die den reformistischen Kräften nahestehen, haben zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen und dazu erklärt: „Die Disqualifizierung von Hashemi Rafsandschani mit Unterstützung der Führung hat gezeigt: Solange das Machtgefälle zwischen den existierenden Kräften sich nicht ändert, wird es nicht möglich sein, dass ein überparteiischer Präsident jemals gewählt wird.“
Die Organisation der Republikaner/innen, dessen Mitglied Mehran Barati ist, betont in einem Aufruf, dass die Stimme der Bürger bei diesen Wahlen ohnehin ineffizient sein werde. Sie fordern von Khatami und Rafsandschani, diesem „Wahlphantom“ nicht in die Falle zu laufen und ihr Kapital, dass sie durch ihren Widerstand gegen Khamenei bekommen haben, nicht aufs Spiel zu setzen.
Reza Alijani ist ein im französischen Exil lebender politscher Aktivist in einer Gruppe der Reformisten, die für einen Wandel im Iran steht und die den Ideen von Dr. Mosadegh und Mehdi Bazargan, den früheren iranischen Ministerpräsidenten folgen. Alijani äusserte sich in der bereist erwähnten Veranstaltung am 6. Mai in Berlin über die Kandidaten so: „Saeed Dschalali, ist der Kandidat für die öffentlichen atomaren Verhandlungen. Ali Akbar Welayati ist der Berater der Führung in den atomaren Fragen und zuständig für die geheimen Verhandlungen und Mohamad Bagher Ghalibaf, der jetzige Bürgermeister von Teheran, ist im Planungsstab des Atomprogramms. In dem inneren Kreis von Ayatollah Khamenei gibt es zwar ungelöste Probleme, aber die Wahl jedes einzelnen dieser drei Kandidaten bedeutet, dass in Wahrheit Herr Khamenei selbst der wahre Präsident ist.“
Pro und Contra auch unter Journalist/innen
Der frühere iranische politische Aktivist, Saeed Habibi, meinte: „Die wirtschaftliche Lage ist sehr bedeutend für die Wahlen. Hierzu sollte man die konkurrierenden wirtschaftlichen Kräfte analysieren. Zurzeit haben die Revolutionsgarden die Wirtschaft des Landes in der Hand. Sie konkurrieren mit den Gruppen der Basarhändler um die wirtschaftliche Vorherrschaft im Lande.“ Ein Architektur-Student äußerte in Richtung der älteren Iraner, dass es für seine Familie, die im Iran lebt, immer schwieriger wird, ihm Devisen zu schicken und man die Dinge sicherlich anders sehen würde, wenn man hier mit dem Euro leben würde. Da sind dann die Probleme mit den Sanktionen und den Schwierigkeiten mit der Medikamentenversorgung ganz weit weg.
Einen heftigen Disput gibt es ohnehin zwischen Exiliraner/innen und den im Lande lebenden Menschen, die sich eine Einmischung, auch von ihren eigenen Landsleuten aus dem Ausland nicht wirklich wünschen. Auch die Kluft zwischen den „frischen“ Neuankömmlingen und den seit Jahrzehnten im Ausland lebenden Iranern ist in diesen Dingen groß, fühlen sich die „jungen“ Flüchtlinge noch ganz mit der Heimat verbunden, anders, aber letztlich ähnlich wie der Älteren.