Der jeweils eigene Gott

(hpd) Für den bekannten Münchener Soziologen Ulrich Beck ist die Säkularisierungsthese gescheitert: Angesichts einer immer stärkeren Individualisierung des Religionsverständnisses muss für ihn im interreligiösen Dialog auf den exklusiven Wahrheitsanspruch des eigenen Glaubens zugunsten einer gemeinsamen Orientierung auf den Frieden verzichtet werden.

 

Einerseits wird vielfach von einer Rückkehr der Religionen gesprochen, andererseits leeren sich die Kirchen an den Sonntagen immer mehr. Wie erklärt sich dieser scheinbare Widerspruch? Ganz einfach, es handelt sich bei genauer Betrachtung um gar keinen Gegensatz. Darauf weist der Münchener Soziologe Ulrich Beck, bekannt geworden durch seine Analysen zur „Risikogesellschaft", in seinem neuesten Buch „Der eigene Gott. Friedensfähigkeit und Gewaltpotential der Religionen" hin. Darin verweist er nicht nur auf die örtlichen Unterschiede: Die Abkehr von der Institution Kirche lässt sich primär in Westeuropa ausmachen, die Rückkehr der Religionen in nahezu allen anderen Regionen der Welt. Darüber hinaus verweist Beck auf den Unterschied von „Religion" und „Religiosität". Erstere definiert er als Bild des Glaubens und Gottes, das von den organisierten Kirchen mit ihren Dogmen und Praktiken vorgegeben werde. „Religiosität" sei demgegenüber die subjektive Form des Glaubens, also davon abhängig, was das Individuum jeweils daraus mache.

Dieses Begriffsverständnis zieht sich durch die sechs Kapitel von Becks Buch: Zunächst wird darin auf die immer stärkere Herausbildung individueller Religionsvorstellungen aus einem spirituellen Baukasten heraus verwiesen und die Rückkehr der Götter als Krise der normativen Grundlagen der europäischen Moderne gedeutet. Danach benennt Beck Gewalt und Toleranz als die zwei Gesichter der Religionen und interpretiert die Erfindung des „eigenen Gottes" als Ausdruck der Religiosität. Und schließlich stellt er fünf Modelle der Zivilisierung weltreligiöser Konflikte vor und sieht in der Prioritätensetzung für Frieden statt Wahrheit die inhaltliche Grundlage dafür. Die letztgenannte Argumentation geht davon aus, dass Religionen strukturell ein Konfliktpotential eigen ist: Der Anspruch, allein über den einzig wahren Glauben und das sittlich Gute zu verfügen, führe zur dualistischen Unterscheidung von „Glauben" und „Unglauben" und von „Wir" und den „Anderen", jeweils verbunden mit Absolutheitsansprüchen und Abwertungstendenzen.

Wie lassen sich nun die damit verbundenen Differenzen und Konfliktpotentiale entschärfen und minimieren? Da entgegen der Säkularisierungsthese nicht von einer ab-, sondern zunehmenden Bedeutung der Religionen ausgegangen werden müsse, fordert Beck von den Religionen eine stärkere Orientierung am gegenseitigen Frieden und weniger an der eigenen Wahrheit: „Es kann keinen nur religiös begründeten Kosmopolitismus geben, in dem der absolute Wahrheitsanspruch einer Religion (nämlich ‚meiner') den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen die religiösen Wahrheiten der Anderen ‚toleriert' werden." Und weiter heißt es: „Im Verhältnis der weltreligiösen Wahrheiten zueinander bedarf es eines weltbürgerlichen Kosmopolitismus der Religionen, der nicht auf unumstößlichen, den Menschen vorgegebenen Wahrheiten beruht, sondern auf von Menschen untereinander vereinbarten, letztlich auf Regeln, Verträgen, Verfahren (Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit)" (S. 242). So verstanden könnten Religionen Modernisierungsakteure in der Weltrisikogesellschaft sein.

Durchaus zutreffend benennt Beck die bedenklichen Dimensionen der Monopolansprüche von Religionen. Hieraus ergibt sich auch, dass ein Dialog der Religionen allein nicht zu einer Entschärfung von Konflikten führen kann, minimiert doch der jeweilige alleinige Geltungsanspruch auf Heil und Wahrheit jeden Kompromiss. In der Tat bedarf es hierzu der Anbindung an Normen und Regeln säkularer Art, die erst ein gleichrangiges Miteinander von Auffassungen und Individuen ermöglichen. Damit verbindet sich die Forderung nach einer Eingrenzung des Geltungsanspruchs der Religionen, welcher sich eben nicht als verbindliche Vorgabe auf Alltagsleben, Politik und Recht erstrecken darf. Dazu fehlen bei Beck aber die entsprechenden Ausführungen. Gleiches gilt für die Frage der praktischen Umsetzung seines Friedens-Primats. Indessen benennt er mit dem Verweis auf diesen Gesichtspunkt - trotz der insgesamt sehr umständlichen Argumentation seines Buchs - einen bedeutenden Faktor für die Gestaltung einer interreligiösen Kooperation auf weltpolitischer Ebene.

Armin Pfahl-Traughber

Ulrich Beck, Der eigene Gott. Friedensfähigkeit und Gewaltpotential der Religionen, Frankfurt/M. 2008 (Verlag der Weltreligionen), 276 S., 19,80 €