Neue Form weltlichen Erinnerns

Unter dem Motto „Trost finden im Internet“ ging heute pünktlich zum Totensonntag – wie immer profitable Geschäfte gut vorausahnend

und auf der Welle säkularisierten Erinnerns schwimmend – das Internet-Portal <htttp://www.trauer.de> ins Netz.

Die Verlage Holtzbrinck und die mächtige WAZ-Gruppe haben ein Internetportal eingerichtet für Sterbeanzeigen, Nachrufe und Rat zum Thema Trauer und Tod. Wenn sie sonst nicht etwas zu katholisch oder zu evangelisch wären, je nachdem, wo sie ihre vielen Zeitungen erscheinen lassen, würden sie vielleicht sogar Patientenverfügungen anbieten, in denen man dann festhält, an welcher Portalstelle man / frau nach dem Ernstfall wieder auferstehen kann als digitales Wesen.

Wir beobachten hier den Beginn der fünften Kulturstufe modernen abendländischen Bestattens und Totengedenkens, das verbunden ist mit der räumlichen und kulturellen Ablösung vom Kirchhof. Das setzte im 18./19. Jahrhundert ein mit der Einführung des bürgerlichen individuellen Grabs, was das Ende der Beinhäuser brachte. Die Krematorien des späten 19. Jahrhunderts bescherten unserer Kultur die Industrialisierung des Todes. Die Millionen Kriegstoten führten zur „Vermassung“ des Bestattens, säkularisierten den Vorgang weiter und hoben (zeitweilig?) die Pietät auf.

Nach den beiden großen Kriegen und dem Völkermord an den Juden, wo die Krematorien ihre Unschuld verloren und es seit dem schwer fällt, sich rückwirkend lediglich an ihre aufklärerische Mission zu erinnern, obsiegt mit einer Leichtigkeit, die dem Thema eigentlich fremd sein müsste, die Individualisierung des kommerziellen Bestattens: Welche Religion oder Weltanschauung wird gewünscht? Havy metal? Bahai? Allawitisch? Ganz ohne? Oben ohne? Was Sie zahlen – das kriegen Sie. Inzwischen tobt der Kampf um die Asche der Oma in der Urne auf dem Küchenschrank, wo dann Schwester Hedi sich einklagt, auch mal draufschauen zu dürfen.

Diese vierte Stufe ist derzeit im Vormarsch, gekennzeichnet durch die Selbstbestimmung der Bestattungsart, des -ortes, der Feierform, des Denkmals, der Anonymität oder des Pomps ... kurz: es läuft auf das Ende des Friedhofszwangs hinaus. Die Kommunen stehen der Privatisierung der Bestattungsorte gar nicht so fremd gegenüber, weil – es sind Verlustgeschäfte.

Die profitable Industrialisierung verstetigt sich mit der Serialität der Angebote und dem Baukastenprinzip (man besuche Berlin-Bauschulenweg im Keller: sogar Fließband). Der harte Konkurrenzkampf und die Monopolbildungen auf diesem Geschäftsfeld lassen das Kleingewerbe, den Familienbetrieb und die Freidenkerverbände und auch die Kirchen über kurz oder lang als Verlierer dastehen. Jessica Midford nannte die Anfänge davon bereits 1965 „Tod als Geschäft“.

Heute haben wir den <„FriedWald“> (Achtung! geschützter Begriff) – Es gibt See-, Weltraum und Baumbestattungen. Individualisten empfiehlt sich die Kremation in Tschechien oder in Holland und Postversand der Urne zurück in die Heimat. Der Friedhofszwang zwingt nur noch die Einfallslosen und die Monopolisten vor Ort.

Da nun setzt die fünfte Neuerung ein. Sie hat mehrere Vorläufer, die inzwischen vielen „Hall of Memories“, Netz-Erinnerungs-Stätten, benannt nach „The Hall of Memory” (einem Haus) in Birmingham (England), gegründet von S.N. Cooke and W.N. Twist 1922/25, um an die über 12.000 Bürger des Ortes zu erinnern, die im 1. Weltkrieg umkamen.

Das Netz ist inzwischen voll mit diesen Friedhöfen. Wenn’s beliebt, bietet sich sogar dieser oder jener <Spezial-Orkus> an. Die neue digitale Erinnerungsform geht davon aus, dass die Kulturträger der Nation den ganzen Tag vor ihrem PC sitzen, wenigstens abends. Wo und wie auch immer Opa bestattet worden sein mag, sein Grab zu besuchen kostet zu viel Zeit und alle wohnen woanders. Downloaden wir uns ihn eben und senden das Mail an alle im Verteiler, die uns lieb sind und sagen: Hey, Schwester, hey Kind, wir sollten heute mal an Opa denken. Schaut doch mal auf www.dingsbumstatata und wir treffen uns anschließend im Chat.

Noch wichtiger: Der Single kann, mangels natürlicher Verwandtschaft oder weil es das Schicksal so wollte, dafür sorgen, dass an ihn erinnert wird im Falle des Falles und wie: Kaufen Sie schon jetzt, was die Welt denken soll, wenn Sie gegangen sind. Kommen Sie aus Ihrer Einsamkeit heraus ...

Man kann auch Denkmale errichten im Netz. Man kann zahlen, dass, wer das Portal aufruft, zuerst sichtbar wird. Berühmtheiten der eigenen Religion und Weltanschauung sind besonders hervorzuheben – und der Erbonkel zuerst. Alle Einfälle, die das Netz gestattet, sind machbar – wenn es der Weltanschauung oder der Religion des Betreibers nicht gründlich widerspricht. Das wird zu beobachten sein. Doch was jetzt schon zu konstatieren ist: Es entsteht die "Zwischenhalle" zur "Auferstehung" (wie vielleicht Christen meinen) oder ins Nirwana (wie Atheisten wissen).

Dieser Warteraum ist ganz und gar weltlich und hat verinnerlicht: Es bleibt, was wir taten. Wir bestimmen selbst und unser Umfeld, was erinnert wird. Und wo bleibt das Transzendente? Das kommt beim Netz-Zusammenbruch oder durch den Teufel Virus. Und ehe man sich’s versieht, ist die ganze schöne Erinnerung gelöscht, alles futsch. Da fragt man sich dann: Wohin ging es? Deshalb empfiehlt sich auch hier: Speichern Sie die Ihnen teure Erinnerungsanzeige rechtzeitig auf den Stick, legen Sie diesen auf den Stubenschrank und stellen Sie am Totensonntag eine Vase mit Blumen davor – bei allem, was Ihnen heilig ist.

Fritz Kummer