Die halbierte Emanzipation?

Konferenz zur Problematik der Retraditionalisierung von Geschlechterrollen und  der religiösen Renaissance in den letzten Jahrzehnten.

Das Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg und die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Marburg laden ein zur Konferenz „Die halbierte Emanzipation? Fundamentalismus und Geschlecht" vom 03.11.2006-04.11.2006, Alte Universität, Lahntor 3, 35037 Marburg. Anmeldeschluss ist der 20.10.2006

Die wachsende Bedeutung fundamentalistischer Überzeugungen in vielen Religionen und Regionen der Welt ist Teil der religiösen Renaissance in den letzten Jahrzehnten. Dabei sind die Retraditionalisierung der Geschlechterrollen wie der Sexualmoral und die Wertschätzung der patriarchalen Familie als Grundbaustein der Gesellschaft ein durchgehendes Kennzeichen aller religiös-fundamentalistischer Strömungen. Zugleich finden sich paradoxe Phänomene in diesem Zusammenhang:
- Neben ihrer göttlich legitimierten Festlegung auf die primäre Aufgabe als Ehefrau und Mutter nehmen Frauen ebenso wie Männer aktive und öffentliche Rollen in den fundamentalistischen Bewegungen ein.
- Innerhalb der fundamentalistischen Gruppen sind es nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die patriarchale Moral und Genderkonstruktion offensiv vertreten.
- Obwohl ihre wesentliche Rolle auf häusliche Aufgaben beschränkt wird und sie genötigt sind, ihre Körperlichkeit zu verhüllen, begreifen zahlreiche Frauen fundamentalistische Überzeugungen als ihren Weg der Emanzipation und nehmen die sich in modernisierenden Gesellschaften bietenden Bildungschancen wahr.
- Trotz des patriarchalen Geschlechterverhältnisses entwickeln sich teils auch spezifische Modelle einer Partnerschaft zwischen Frauen und Männern.
- Patriarchale Ordnungsprinzipien in fundamentalistischen Bewegungen reduzieren Frauen und Männer auf ihre herkömmlichen traditionellen Geschlechterrollen. Im gleichen Zuge werden Frauen jedoch als Mütter und Ehefrauen und Männer in ihrer neu etablierten Rolle als Familienoberhaupt idealisiert. Damit verbunden ist auch eine Domestizierung männlicher Gewalt- und Dominanzimpulse, die fortan einer strengen moralischen Kontrolle und Sanktion unterworfen werden.

Diese Paradoxien verweisen darauf, dass Fundamentalismen nicht einfach Rückgriffe auf traditionelle Lebensweisen darstellen, sondern spezifische und in sich durchaus spannungsreiche Reaktionsweisen auf die Erfahrungen eines dramatischen gesellschaftlichen Wandels sind.

Aus einer westlich-liberal oder feministisch geprägten Perspektive erscheint die fundamentalistische Moral befremdlich, mit der sich Männer und auch Frauen unterschiedlicher religiöser Herkunft identifizieren. Die Notwendigkeit aber, sich damit auseinander zu setzen und das, was uns befremdlich scheint auch zu verstehen, um schließlich nebeneinander und miteinander leben zu lernen, ist unausweichlich.

Aus unterschiedlichen Perspektiven reflektieren die Vorträge der Tagung den Zusammenhang von Geschlecht, Religion, Politik in verschiedenen kulturellen Kontexten. Angesichts der politischen Brisanz des Themas bietet die Tagung Möglichkeiten zur Information, zum wissenschaftlich-theoretischen Verständnis der Phänomene, zur Auseinandersetzung und zum Dialog.

Tagungsprogramm:

Freitag, 03.11.06
13.00 Anreise, Anmeldung
14.00 Begrüßung durch Direktorium, HLZ und Präsidium
14.30 Prof. Dr. Elisabeth Rohr / Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau (Marburg): Die Sehnsucht nach einem Fundament. Eine Einführung
15.45 Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr (Leipzig): Der Fundamentalismus und die symbolische Ordnung der Geschlechter
17.15 Prof. Dr. Katharina Liebsch (Frankfurt a. M.): Zwischen Sehnsucht und Langeweile. Zur Konstruktion von Wirklichkeit im protestantischen Fundamentalismus
18.30 Pause
20.00 Prof. Dr. Elisabeth Rohr (Marburg): Fundamentalismus als subjektive Konfliktlösung. Erfahrungen aus einem Forschungsprojekt in Lateinamerika

Samstag, 04.11.06
10.00 Dr. Dr. h. c. Gret Haller (Bern): Die politische Dimension verschiedener Fundamentalismen im US-amerikanischen Denken
11.30 Prof. Dr. Ulrike Prokop (Marburg): Rechtsradikalismus als politischer Fundamentalismus
12.45 Mittagspause
14.15 Dr. Susanna Keval (Frankfurt a. M.): Frauen im orthodoxen Judentum
14.45 Prof. Dr. Gritt Klinkhammer (Bremen): Die Islamisierung des Weiblichen als De-Patriarchalisierung des Geschlechterverhältnisses
15.15 Diskussion über die beiden Vorträge
16.00 Dr. Sabine Damir-Geilsdorf (Gießen): Palästinensische Selbstmordattentäterinnen: von Opfern zu Heldinnen?
16.30 Rabeya Müller (Köln): Fundamental weiblich. Muslimische Frauen im Spannungsfeld von patriarchalen Strukturen und religiösem Bewusstsein
17.00 Diskussion über die beiden Vorträge
17.30 Ausklang der Tagung
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weitere Informationen
Dr. Karola Maltry
Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung
06421/28 248 23
06421/28 248 41
genderzukunft@staff.uni-marburg.de