Offener Brief an Bischof Huber

BERLIN. Die Initiative „Pro Ethik“ erhielt von Robert Dietrich einen Offenen Brief, den dieser an Bischof Dr. Huber geschrieben hat. Er bezieht sich darin auf das Massen-Info-Schreiben des Bischofs vom Dezember 2008 und nimmt Stellung zu diesem Pro-Reli-Text „6 Gründe für Wahlfreiheit“.

Robert Dietrich ist Informatiker und aktives Mitglied der Evangelischen Kirche in Berlin.

Im Folgenden dokumentieren wir den Brief von Robert Dietrich:

Ihr Massen-Info-Schreiben vom Dezember 2008

Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Huber,

ich empfinde Ihren Brief als schweren Missbrauch Ihres Amtes, so wie ich die Unterschriftensammlung „ProReli“ aus christlicher und gesellschaftspolitischer Verantwortung für verfehlt halte. Er degradiert das öffentliche Bild unserer Kirche als ein Lobbyverein, bestenfalls einer Gewerkschaft, die sich von fundamentalen Losungen wie „Besonnenheit“ oder „göttlichen Möglichkeiten“ meilenweit entfernt. In unserer Landeskirche ist noch lange nicht ausdiskutiert, was Sie durch diese Form des Aufrufes verkünden und massenhafter Infosendung für wert halten. Ihre formale Erklärung des Verfahrens ist schlicht unkorrekt und tendenziös, denn 170.000 Unterschriften sind meines Wissens nur der erste Schritt zu einer Volksabstimmung, deren Ergebnis unserem Ruf zumindest im Fall der Ablehnung viel mehr schaden wird als seinerzeit Tempelhof den paar Bonzen.

Die kirchliche Einmischung in politische Fragen hat meinen Lebenslauf seit der DDR-Zeit stark geprägt. Von ihrer Wirksamkeit bin ich noch immer zutiefst durch den Mauerfall beeindruckt, der sonst nicht in dieser Form stattgefunden hätte. Die damalige Zwanghaftigkeit in Meinungsdingen führte wohl (oder übel: für die mutigen Wortführer oft genug) zu lang bedachter Wortwahl bei moralisch absolut vertretbarem Minimalanspruch (-konsens) – ein einzigartiges Rezept für Wahrhaftigkeit. Denn nur, wenn sie verstanden – und nicht nur eben durchschaut – wird, kann sie im kollektiven Gedächtnis nachhaltig wirken. Darum geht es bei der Frage nach dem Ethikunterricht.
Wenn überhaupt, dann hätte ich mir in Ihrem Schreiben zumindest fundierte, praxisbezogene Argumente gewünscht, und nicht die Wiederholung einer inhaltsscheuen A4-Unterschriftsbogen-Kurzpolemik. Diese kommt nämlich nach meiner Diskussionserfahrung dem – ja eben – nicht religiösen Durchschnittsbürger unseres (einzigen Ost-UND-West-geprägten!) Bundeslandes nur als billige Absicherung amtskirchlicher Pfründe vor.

Damit konterkariert Ihre Aktion die Integrität kirchlichen (das ist meiner Erfahrung nach auch: mutigen Bürger-) Engagements bei gleichzeitiger frommer (das ist ja ursprünglich: nützlicher) Zurückhaltung in der Frage des Macht-Anspruchs auf die konkrete Umsetzung! Meinen Sie denn, unser Herr Jesus Christus hätte für diese Gesetzesinitiative gekämpft? Meiner jedenfalls nicht, weil er niemand „zu seinem Glücke zwingen“ würde! Mit Liebe und überzeugender Wahrhaftigkeit, meinetwegen auch mit Wunderheilungen tat er es, aber nicht mit Diffamierung ebenfalls wohl Meinender. NUR mit glaubwürdig gelebtem Glauben können wir diejenigen mit der echten Nützlichkeit des Frommseins beeindrucken, beschenken und überzeugen, die aus den verschiedensten, wohl aber oft auch nachvollziehbaren Gründen heute nicht mehr glauben wollen oder können. Das ist für mich als Christ die Definition von „Verkündigung“.

ProReli stützt sich wesentlich auf die gesetzliche Situation der Nachkriegszeit. Inhaltliche Aufgaben und Ziele gesamtgesellschaftlicher Normenvermittlung kommen leider nicht vor, obwohl (oder weil?) AUCH die von Ihrem Volksbegehren Angefeindeten darum ringen. Eigentlich geht es doch darum, eine bitter vermisste Normenlehre endlich RELEVANT zu machen. Statt dessen wird gegen die einzigen ebenfalls auf diesem Gebiet Engagierten ins Feld gezogen und dadurch das Ganze in den bedeutungslosen Abgrund der Zersplitterung gestoßen. Auf schuldeutsch heißen diese Fächer nämlich schon immer und dann wieder besonders begründet: „naja, Nebenfächer“ – irgendwie fakultativ, optional, zu vernachlässigen.
Ohne Kritik an den Qualitäten der amtierenden Religionslehrer/innen insbesondere unserer Kirche möchte ich sagen, dass die derzeitige wie auch die angestrebte Unterrichtsform durch den Zufall eines mehr oder weniger geschmacksorientierten Unterrichts einer vorsortierten Schülerklientel eben NICHT dazu beiträgt, dass verbindliche ethische Normen flächendeckend ankommen und verinnerlicht werden. So wird Klassengesellschaft anstelle gegenseitigen Verstehens propagiert – welches wohl die sicherste Grundlage des nötigen Respekts ist.

All die angestrengten Mühen der Unterschriftensammler wären fruchtbarer angelegt im Ergreifen der Chance, das nun endlich durch Erfahrung als wichtig erwiesene und sogar staatlich gewollte verbindliche Unterrichtsfach in der Praxis mit zu bespielen – eben weil Ethik und Religion so miteinander verwurzelt sind. Die fachliche Auseinandersetzung in Praxis und Lehre wäre ein Feld, das sogar außerhalb der Schule zu gesellschaftlicher Bereicherung führen könnte. Ein verlässlicher Rahmenplan in Verbindung mit entsprechenden Erläuterungen böte die Chance, auch Eltern mit Inhalten vertraut zu machen und sie mit alltagsrelevanten Denkanstößen zu versorgen.

Lieber Bruder Dr. Huber, ein verpflichtendes Ethikfach ist längst überfällig, wenn auch vor allem für alle, die bisher weder Religion noch Ethik besuchen. Die Frage, ob Religion im Raum der Kirche, der Schule oder ganz anderen Orten gelehrt wird, ist nur für uns Christen relevant. ProReli sieht nicht nur wie ein „letzter Aufschrei“ aus, wir laufen Gefahr, dass es auch wirklich das letzte ist, was wir verlieren können, selbst wenn es gewonnen wird. Denn was passiert dann? Die wenigen, die durch wahrhaftiges Interesse am Wohl unserer Gesellschaft in heilsamer Weise mitwirken, werden durch fundamentalistisches Gehabe zersplittert.
Ethik-, Religionsunterricht oder „wie auch immer“ und ihre Vertreter werden wieder zu Nebenfächern in der Wahrnehmung von Lehrerkollegien, Eltern und Kindern! Bei der äußerlichen Vielfalt von religiösen, weltlichen, fremdländischen, politischen Kulturen und Traditionen müssen wir erkennen, dass die Gemeinsamkeit der friedensliebenden, respektvollen und schöpfungsbewahrenden Menschen viel stärker und wichtiger ist als all ihre Erscheinungsformen.

Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass eine wirklich verlässliche Regelung zustande kommt, die nicht um der Tradition willen erkämpft wird, sondern alle Menschen erreichen will und kann. Nur so können wir den Ruf unserer Kirche als progressives, streitbares und nützliches Element des Berliner Geisteslebens bewahren.

Mit freundlichen Grüßen

Robert Dietrich am 10.01.09

Für Rückfragen erreichen Sie Herrn Dietrich unter der Tel.-Nr.: 47481717.

Für Gespräche bzw. Telefonate zum „Pro Reli“-Volksbegehren steht Ihnen in den
nächsten Tagen bis zum 21. Januar der Sprecher der Initiative „Pro Ethik“, Dr. Gerhard Weil,
Tel. 030 - 745 29 22, E-Mail gern zur Verfügung.